Hirnforschung: Schön ist, was im Innersten berührt
Wenn wir innerlich bewegt sind, wird das so genannte Ruhezustandsnetzwerk im Gehirn aktiv. Was uns berührt, ob Natur, Kunst- oder Bauwerk, spielt dabei keine Rolle. Zu diesem Ergebnis kommt eine bildgebenden Studie in den »Proceedings of the National Academy of Sciences«. Das Team um Edward Vessel vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik vermutet deshalb, es könnte einen universellen Code für ästhetisches Erleben geben.
Der Neurowissenschaftler und seine vier Kolleginnen und Kollegen aus den USA zeigten 16 Freiwilligen Bilder von Landschaften, Kunst- und Bauwerken und erfassten ihre Hirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomografie. Dann verglichen sie die neuronalen Reaktionsmuster der Probanden auf Bilder, die diesen entweder sehr oder gar nicht gefallen hatten. Ergebnis: Aus der Aktivität des so genannten Default-Mode-Netzwerks ließ sich ableiten, wie die Versuchspersonen das betreffende Bild beurteilt hatten. »Das Default-Mode-Netzwerk repräsentiert den ästhetischen Reiz über verschiedene visuelle Inhalte«, berichtet das Team. Ganz anders die Aktivität in den Bereichen von Hinterhaupt- und Schläfenlappen, die für die visuelle Verarbeitung zuständig sind: Dort zeigte sich das Wohlgefallen an Natur, Kunst und Bauwerken jeweils in unterschiedlichen Mustern. Darüber hinaus entdeckten die Forschenden Aktivität im Vorderhirn, die nur etwas über das Gefallen an Kunst und Architektur, nicht aber an Landschaften verriet.
Die Aktivität im Default-Mode-Netzwerk sei wahrscheinlich »ein Merkmal für bewegende ästhetische Erfahrungen«, kommentierte Koautorin Amy Belfi schon in einer gemeinsamen Studie von 2018, bei der die Versuchspersonen aber lediglich Kunstwerke beurteilt hatten. Auch kreatives Schaffen hat dort seinen Ursprung, wie Experimente zeigten. Das Netzwerk wird in der Regel dann aktiv, wenn wir die Augen schließen, die Gedanken schweifen lassen oder über uns selbst nachdenken. Wann immer wir unsere Aufmerksamkeit nach innen auf die eigene Person richten, scheint es beteiligt zu sein. Es verstummt hingegen, wenn wir uns mit unserer Umgebung beschäftigen.
Dass die Aktivität bei ästhetisch ansprechender Kultur und Natur ähnlich ausfällt, lasse auf eine abstrakte Informationsverarbeitung schließen: »einen ästhetischen Code«, wie die Forschungsgruppe schreibt. Unklar sei, ob das nur für sichtbare oder auch für hörbare Schönheit gilt. Die Ästhetik von Musik und Gedichten wollen Vessel und Kollegen deshalb als Nächstes untersuchen.
Die fMRT zählt zu den »bildgebenden Verfahren«, den verbreitetsten Messmethoden der Hirnforschung. Ein Magnetresonanztomograf bildet die Arbeit von Nervenzellen ab, indem er den Sauerstoffgehalt im Blut der betreffenden Region erfasst. Dieser dient als Indikator für den Grad der Durchblutung eines Hirnareals. Bei der funktionellen Magnetresonanztomografie stellt ein Bild die Veränderung in der Hirnaktivität dar, die sich aus dem Vergleich von einer Tätigkeit mit dem Ruhezustand ergibt. Anders als in der medizinischen MRT-Diagnostik veranschaulichen Hirnforscher damit in der Regel die durchschnittliche Veränderung der neuronalen Aktivität bei einer Gruppe von Versuchspersonen.
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