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Hitze: Vom Sommerspaß zur Lebensgefahr

Extrem heiße Tage und Nächte machen dem Körper zu schaffen. Jedes Jahr gibt es deshalb tausende hitzebedingte Todesfälle in Deutschland. Wie der nationale Hitzeaktionsplan gefährdete Personen künftig schützen will, warum Deutschland derzeit hier noch schlecht aufgestellt ist – und was man selbst tun kann.
Eine Frau hält schützend die Hand über den Kopf ihres Kindes, weil die Sonne sehr stark scheint.
Kinder sind besonders hitzeempfindlich auf Grund ihres unreifen Thermoregulationssystems, höheren Stoffwechsels und eingeschränkten Schwitzens. Deshalb ist es wichtig, sie bei hohen Temperaturen gut zu schützen und ausreichend mit Flüssigkeit zu versorgen.

Es gibt sie noch in vielen Medien: die Bilder von Kindern, die fröhlich ins strahlende Licht blinzeln und draußen ausgelassen toben. Oder von Menschen, die dicht an dicht am Strand in der Mittagssonne brutzeln. Toll, endlich warm, endlich Sonne!

Doch immer mehr rückt auch die andere Seite in den Fokus: Statistiken zu Hitzetoten, Berichte über Dürren und Waldbrände, Erzählungen von kollabierten Menschen in Zügen wegen ausgefallener Klimaanlagen, Tipps gegen die Hitze im Büro oder zu Hause. Und daneben das Wissen, dass durch den Klimawandel immer häufiger Hitzeperioden stattfinden werden, auch bei uns in Deutschland. Im Jahr 2022 erlebten wir den viertwärmsten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1881. Das Robert Koch-Institut (RKI) schätzt die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle in 2022 auf rund 4500. Beim Rekord-Hitzesommer 2018 waren es etwa 8300 Menschen.

Gemessen wird die hitzebedingte Sterblichkeit in den heißen Wochen, ab einem bestimmten Temperaturschwellenwert, der im Mittel in Deutschland etwa 20 Grad Celsius beträgt, aber je nach Region ermittelt wird. Kompliziert ist auch, zu erfassen, wie viele Personen durch Hitze zwar nicht sterben, aber erkranken. Im Durchschnitt der Jahre 2001 bis 2021 verzeichnete das Statistische Bundesamt rund 1500 Krankenhausbehandlungen pro Jahr auf Grund von Hitzschlag, Sonnenstich und anderen hitze- oder sonnenbedingten Schäden.

In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland immer wieder Hitzerekorde gebrochen, die Zahl der hitzebedingten Sterbefälle korreliert. Doch neu ist das Problem nicht. Bereits 2003 sprach man in Deutschland vom »Jahrhundertsommer«. Schätzungen zufolge gab es in jenem Jahr 70 000 Hitzetote in ganz Europa, 7500 davon hier zu Lande. Frankreich stellte 2004 bereits einen Hitzeaktionsplan vor.

»Es muss aufhören, dass jedes Jahr tausende Menschen den Hitzetod sterben«Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister

Wie Hitzeaktionspläne vulnerable Personen schützen sollen

Doch erst jetzt, 20 Jahre später, wird in Deutschland über einen solchen nationalen Hitzeschutzplan diskutiert. Wie der Bundesgesundheitsminister auf der Website des Ministeriums verlauten ließ, ist unter anderem der französische Aktionsplan ein Vorbild für künftige Maßnahmen in Deutschland. Dort gibt es vier Warnstufen, die je nachdem, wie stark eine Hitzewelle ausfällt, Schutzmaßnahmen in verschiedenen Regionen auslösen – sie reichen von gekühlten Räumen, die Personen aufsuchen können, über spezielle Maßnahmen für Pflegeeinrichtungen und Kliniken bis hin zu persönlichen Anrufen bei den vor allem gefährdeten älteren Menschen, um sie über mögliche Schutzmaßnahmen zu informieren und sie daran zu erinnern, regelmäßig zu trinken. Wie der HItzeschutzplan für Deutschland konkret aussehen könnte, besprach Karl Lauterbach Ende Juni mit Vertreterinnen und Vertreter aus der Pflege, der Ärzteschaft, der Kommunen sowie Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft. »Es muss aufhören, dass jedes Jahr tausende Menschen den Hitzetod sterben«, so der Minister.

Bisher ist Deutschland bei dem Thema im Vergleich zu anderen europäischen Ländern denkbar schlecht aufgestellt: Der Hitzeschutz ist Sache der Kommunen, von denen bislang aber nur wenige handfeste Pläne erstellt und umgesetzt haben. Zwar gebe es Förderprogramme von der Bundesregierung, die dabei helfen sollen, sagt Hans-Guido Mücke vom Umweltbundesamt, doch dabei handle es sich um Anschubfinanzierungen. »Was gut funktioniert, muss dann nach Projektende noch dauerhaft und nachhaltig umgesetzt werden.« Das wiederum benötige politische Beschlüsse auf kommunaler Ebene zu Budget, Personal und Infrastruktur. »Das Entscheidende ist, viele Akteure auf eine Seite zu bringen: zum Beispiel das Gesundheitsamt, den öffentlichen Gesundheitsdienst, das Stadtplanungsamt, das Sozialamt, aber auch niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser und die stationäre und ambulante Pflege«, sagt der Umweltmediziner. Eine weitere Herausforderung dabei ist, einen über mehrere Jahre ausgearbeiteten Hitzeaktionsplan (HAP) dann auch in die Praxis umzusetzen.

Immerhin muss nicht jede Kommune bei der Planung ganz von vorne beginnen. Das Umweltbundesamt hat 2017 unter der Leitung von Hans-Guido Mücke »Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit« herausgegeben. Eine 2023 abgeschlossene Analyse von bisherigen HAPs in Deutschland im Auftrag des Umweltbundesamts zeigt allerdings, dass in den Kommunen nur etwas mehr als die Hälfte des Verwaltungspersonals diese Empfehlungen überhaupt kennt und zudem das Wort »Hitzeaktionsplan« teils recht unterschiedlich auslegt. Es bleibt also noch viel zu tun.

Warum Hitze den Körper so belastet

Dabei ist schon lange klar, dass Hitze die Gesundheit gefährdet. Besonders Perioden mit vielen Tagen über 30 Grad Celsius und so genannten Tropennächten, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt, machen den Menschen zu schaffen. Die warmen Nächte beeinträchtigen den Schlaf, was sich wiederum auf den gesamten Organismus auswirkt. Tagsüber muss der Körper hart arbeiten, um seine Temperatur auf etwa 37 Grad Celsius zu halten. »Wir fangen dann an zu schwitzen und verlieren über die Verdunstung Wärme«, erklärt Beate Müller, Professorin und Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uniklinik Köln. »Die Gefäße weiten sich, um mehr Wärme abzugeben. Dazu erhöht sich der Herzschlag, die Pulsfrequenz geht hoch.« Das habe unerwünschte Nebeneffekte, etwa dass sich das Blut in die Extremitäten verlagert. So entstehen mitunter geschwollene Füße und Hände, außerdem fehlt die Versorgung an anderer Stelle: Die Organe werden nicht mehr so gut durchblutet. »Ist das Gehirn unterversorgt, können wir uns schlechter konzentrieren, und auch die Nieren leiden unter dem Blutmangel. Das ist besonders für Menschen gefährlich, die bereits an einer Nierenerkrankung leiden«, so die Medizinerin. Neben potenziellen Hitzekrämpfen, Sonnenstich und Hitzschlag können also bestehende Erkrankungen verschlimmert werden.

Hinzu kommt: Wassermangel lässt das Blut dicker werden, was unter anderem das Risiko für einen Schlaganfall erhöht. Herz-Kreislauf-Erkrankungen werden ebenfalls wahrscheinlicher. Wichtig ist bei Hitze deshalb, die Warnzeichen zu erkennen und zu handeln. Das können Kreislaufbeschwerden, Schwindel und Kopfschmerzen sein, Muskel- oder Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, ein erhöhter Puls oder ein trockener Mund. »Oft sind die Menschen dann auch sehr müde und schlapp, vielleicht sogar schon etwas verwirrt«, sagt Beate Müller. »Wenn es bedrohlich wird und in Richtung Hitzschlag geht, wird der Körper sehr heiß.« Irgendwann höre der Körper auf zu schwitzen, um weiterem Wasserverlust vorzubeugen.

Wer durch Hitze in hohem Maße gefährdet ist

Besonders gefährlich ist es an Orten mit vielen versiegelten Flächen. Tagsüber nehmen Asphalt und Betonspeicher die Hitze auf und geben sie nachts kaum ab, es wird immer heißer. So können sich Hitzeinseln in Städten bilden. Solche äußeren Faktoren verdeutlichen auch den finanziellen Aspekt: Wer sich Klimaanlagen leisten oder außerhalb der Stadtkerne wohnen kann oder gar einen überdachten Swimmingpool im Garten hat, kommt besser durch die heißen Tage. Finanziell schlechter Gestellte hingegen haben oft keine Wahl, als sich der Hitze auszusetzen, mit wenig Möglichkeiten zur Erholung. Die Berufswahl ist ebenfalls entscheidend. Auf dem Bau oder in der Landwirtschaft müssen die Menschen häufig mit harter Arbeit in der prallen Sonne zurechtkommen. Manchmal ist die Hitzebelastung von außen weniger deutlich: Eine Paketzustellerin der Deutschen Post hat ihre eigenen Erfahrungen. »Die Leute machen oft große Augen, wenn sie hören, dass wir in den Paketautos keine Klimaanlage haben«, erzählt sie. »Die Anzeige vorne steigt im Sommer nicht selten auf mehr als 50 Grad.«

»Noch wissen wir nicht genug darüber, welche Medikamente besonders problematisch bei Hitze sind«Beate Müller, Allgemeinmedizinerin

Säuglinge, Kleinkinder und Schwangere gehören ebenfalls zu den Risikogruppen. Und auch das Alter spielt eine wichtige Rolle, erklärt Hans-Guido Mücke: »Bei älteren Menschen funktioniert die thermophysiologische Regulation nicht mehr optimal, weswegen sie weniger schwitzen. Gleichzeitig trinken sie häufig zu wenig.« Einerseits fehle ihnen schlicht das Durstgefühl, andererseits wollten sie Toilettengänge vermeiden, wenn sie etwa in der Bewegung eingeschränkt seien. Und: Ältere Menschen nehmen oft Medikamente ein, was bei einem hitzebedingten Flüssigkeitsmangel ebenfalls zu einem Problem werden kann. »Noch wissen wir nicht genug darüber, welche Medikamente besonders problematisch bei Hitze sind und wie man am besten darauf reagiert«, sagt Beate Müller. Diuretika führten etwa dazu, dass der Körper Wasser verliert – schwitzten die Patientinnen und Patienten mehr, müsse daher die Dosis verringert werden. Aber wie stark? Halbieren? Vierteln? Nur jeden zweiten Tag einnehmen? Das sei bisher zu wenig untersucht. Ein anderes Beispiel: Insulin, das in die Bauchdecke gespritzt wird, wirkt an warmen Tagen schneller als an kalten. Menschen mit Diabetes könnten dann leichter unterzuckern. Im Januar 2024 startet Beate Müller deshalb ein Forschungsprojekt, das untersucht, welche Medikamente in Hitzeperioden wie angepasst werden sollten.

Mit Warnsystemen und interaktiven Karten gegen die Hitze

Die Forschung zum Thema Hitze ist Teil der Empfehlungen für HAPs und des zukünftigen bundesweiten Plans. Daneben gibt es eine Liste verschiedener Maßnahmen, mit denen die Bevölkerung geschützt werden soll. Mittel- und langfristig geht es vor allem um bauliche Lösungen, etwa neue Grünflächen oder Gewässer in Städten. Solche Projekte sind wichtig, um für weitere Hitzewellen besser aufgestellt zu sein. »Aber aus gesundheitlicher Sicht müssen wir das Hauptaugenmerk erst einmal auf die Akutreaktionen legen«, betont Hans-Guido Mücke. Besonders gut funktionieren laut einer Analyse des Europäischen Büros der Weltgesundheitsorganisation bereits die Warnsysteme. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) gibt Hitzewarnungen heraus, »wenn eine starke Wärmebelastung vorhergesagt wird und eine ausreichende nächtliche Auskühlung der Wohnräume nicht mehr gewährleistet ist«. Karl Lauterbach kündigte zudem an, auch digitale Warnlösungen wie Apps oder SMS zu prüfen.

Welche Maßnahmen in den jeweiligen Kommunen sinnvoll sind, ist allerdings sehr individuell. In Mannheim etwa wurde im Jahr 2022 ein HAP veröffentlicht, der vor allem auf Aufklärung und Information setzt, über die gesundheitlichen Gefahren, praktische Tipps, aber auch über konkrete Möglichkeiten zur Hitzevermeidung: Dazu gibt es eine interaktive Karte, auf der kühle Orte ausgewiesen sind. »Die Stadt hat außerdem mit Aufklebern oder Spray auf dem Boden markiert, wo es zu den nächsten Brunnen geht und wo es Stationen gibt, an denen man seine Wasserflasche auffüllen lassen kann«, so Hans-Guido Mücke. Dafür seien die Städte auf die Mithilfe der Cafés, Restaurants und anderer Einrichtungen angewiesen. Und auch die Toilettensituation müsse mitbedacht werden, damit niemand absichtlich weniger trinkt, weil keine Erleichterungsmöglichkeiten vorhanden sind.

Wie man sich selbst schützen kann

Die eine wichtigste Lösung gebe es allerdings nicht, sagt Hans-Guido Mücke. »Es ist eine Mischung aus vielen Maßnahmen, die am Ende des Sommers bewertet und gegebenenfalls angepasst werden müssen.« Informationen und Aufklärung sind jedenfalls ein Schlüsselelement. Denn mit oder ohne Trinkbrunnen: Die Menschen müssen erst einmal die Gefahr und ihre Anzeichen erkennen und möglichst wissen, wie sie sich bei Hitze verhalten sollten. Tatsächlich gibt es schon eine ganze Menge Kleinigkeiten, die jede Person selbst tun kann. Das sind teils banale Dinge, wie ausreichend Wasser zu trinken, im Schatten zu bleiben, leichte Kleidung zu tragen und keine schweren Mahlzeiten zu essen. Das Umweltbundesamt hat dazu bereits mehrere Ratgeber mit detaillierten Tipps herausgegeben, außerdem den »Hitzeknigge«, den auch Städte und Gemeinden für sich anpassen und mit weiteren Informationen ergänzen können. Neben dem Selbstschutz gilt es, auf die Mitmenschen zu achten, besonders auf gefährdete Personen. Zeigt jemand typische Symptome einer Überhitzung, sollte er möglichst schnell an einen kühlen Ort gebracht und mit Flüssigkeit versorgt werden. Bei Menschen mit Vorerkrankung ist es zudem ratsam, einen Notarzt zu rufen. »Vor allem in längeren Hitzephasen kann sich der Körper oft nicht mehr richtig regenerieren, selbst durch Kühlen und Trinken«, sagt Beate Müller. »Dann sollte schneller die 112 gewählt werden.« Eine weitere Information, die nicht oft genug wiederholt werden kann: Niemals sollten Kinder und Tiere – nicht nur in Hitzewellen – allein im Auto gelassen werden, da dort schnell sehr hohe Temperaturen entstehen und es dann für sie lebensgefährlich wird.

Um die Bevölkerung besser zu informieren, hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) eine Website zum Thema Hitze unter dem Namen »Klima Mensch Gesundheit« erstellt. Dazu kommt ein »Hitze Service« des Bundesministeriums für Gesundheit, der Kommunen praxisnahe Hilfe zur Erstellung von eigenen HAPs liefern soll. Weitere Maßnahmen hat Karl Lauterbach noch für den Sommer 2023 angekündigt.

Doch ob es tatsächlich so schnell gehen kann? Das Umweltbundesamt startet aktuell ein neues Projekt, mit dem geprüft werden soll, inwieweit ein Hitzeaktionsplan auf nationaler Ebene in Deutschland überhaupt möglich ist. »Die fundierte Prüfung der dafür notwendigen wissenschaftlichen und rechtlichen Grundlagen benötigt etwa zwei bis drei Jahre«, sagt Hans-Guido Mücke. In dieser Zeit müsse man mit den Nachbarländern in Kontakt treten und sich zu ihren Erfahrungen und Erkenntnissen informieren. Zusätzlich sei die Frage zu klären, was auf Bundesebene umgesetzt werden kann und was in die Zuständigkeit der Kommunen fällt. Beate Müller findet zudem, bei all den Plänen dürfe die gegenseitige Hilfe nicht vergessen werden. »Wir Ärzte und Ärztinnen wissen zwar teils, bei wem die Risiken besonders hoch sind, aber wir können gar nicht so viele Hausbesuche machen, um alle gefährdeten Menschen zu besuchen.« Der Blick auf das eigene Umfeld, möglicherweise gefährdete Personen aus der Familie, der Nachbarschaft oder dem Freundeskreis ist also gerade in Hitzeperioden wichtig.

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