Hitzewellen: Wenn das Hirn heiß läuft
Katrin liebt den Winter über alles. Auf die wärmeren Monate könnte sie getrost verzichten. In den Ferien zieht es sie in die skandinavischen Länder, vor allem Skiurlaub in Finnland hat es ihr angetan. Wenn die Temperaturen im Sommer hochklettern, kann sie sich bei der Arbeit oft kaum noch konzentrieren. Ihr Freund Tobias ist hingegen ein echtes Sonnenkind. Für ihn gilt im Urlaub: »Je heißer, desto besser.« Am liebsten würde er den ganzen Tag am Strand liegen und in der Sonne braten – für Katrin eine wahre Horrorvorstellung.
Derartige Geschichten kennen wohl viele aus dem Bekanntenkreis. Das Wohlfühlklima einer Person unterscheidet sich von dem einer anderen teils deutlich. Der Temperaturbereich, in dem der menschliche Körper und insbesondere das Gehirn langfristig gut funktionieren können, ist jedoch überraschend schmal. Die durchschnittliche Körperkerntemperatur von Menschen liegt bei etwa 36,6 bis 37,5 Grad Celsius. Die Temperatur des Gehirns ist im Schnitt etwas höher und schwankt zudem je nach Hirnregion. Eine 1990 veröffentlichte Untersuchung der Neurochirurgen Pekka Mellergard und Carl-Henrik Nordström vom Universitätskrankenhaus in Lundt zeigte, dass das Gehirn von Gesunden um bis zu ein Grad wärmer als das Körperinnere sein kann. Und eine Studie eines Teams um die Neurowissenschaftlerin Nina Rzechorzek von der University of Cambridge aus dem Jahr 2022 fand noch höhere Werte. Demnach lag die mittlere Gehirntemperatur bei 38,5 Grad. Die höchsten Temperaturen, den die Fachleute in einzelnen Hirnarealen maßen, überstiegen sogar 40 Grad.
Die Normaltemperatur des Gehirns entspricht also einer Körperkerntemperatur, die bereits als leichtes Fieber gelten würde. Lässt sich daraus schließen, dass das Denkorgan es sowieso warm mag – und die globale Klimaveränderung es nur wenig beeinträchtigen wird? Keinesfalls! Die optimale Umgebungstemperatur liegt für das Gehirn nämlich deutlich unter seiner Kerntemperatur. In einem Übersichtsartikel von Januar 2024 analysierten Forschende um die Psychologin Catherine Thompson von der Liverpool Hope University zahlreiche Studien dazu, welche Umweltbedingungen für die kognitive Leistungsfähigkeit ideal sind. Je nach Arbeit begann diese oberhalb von 23 bis 27 Grad zu leiden.
Ist es noch heißer, kann es sogar passieren, dass unser Körper die Hirntemperatur nicht mehr ausreichend regulieren kann. Im Prinzip kann sie sich auf zwei Arten erhöhen: entweder von »innen«, etwa dann, wenn eine Entzündungsreaktion Fieber verursacht. Oder aber von »außen«, wenn die Erhitzung so stark ist, dass körperliche Regulationsprozesse sie nicht mehr aufrechterhalten können.
Die bekannteste Form von Letzterem ist sicherlich der Sonnenstich. Vor allem in den heißen Sommermonaten können sich die Hirnhäute und das darunterliegende Gewebe entzünden, wenn die Sonne auf den Kopf strahlt und ihn erhitzt. Das äußert sich in Kopfschmerzen, Schwindel und teils starker Übelkeit bis hin zum Erbrechen. In den schwersten Fällen kann das sogar zum Tod führen. Doch auch weniger extreme Hitze beeinflusst unser hochkomplexes und empfindliches Denkorgan. Man hat bereits mehrere Hirnprozesse identifiziert, die durch erhöhte Umgebungstemperaturen beeinträchtigt werden. Dazu zählen jene, die an Schlaf und höheren kognitiven Funktionen beteiligt sind. Zudem kann die Blut-Hirn-Schranke bei Hitze Schaden nehmen.
Hitze führt zu Schlafstörungen
In den häufiger werdenden Tropennächten möchte wohl niemand in einem nichtklimatisierten Dachgeschoss schlafen müssen. In heißen Nächten bringen dort selbst weit geöffnete Fenster keine merkliche Abkühlung. Den meisten Menschen fällt es schwer, unter solchen Bedingungen ein- und durchzuschlafen.
Der Grund dafür liegt in der Art und Weise, wie unser Gehirn auf die Umgebungstemperatur reagiert. Viele Körperfunktionen unterliegen dem zirkadianen Rhythmus: Eine Vielzahl physiologischer Vorgänge findet nach einem bestimmten Ablauf statt, der sich täglich wiederholt. Der 24-Stunden-Rhythmus synchronisiert etwa, wann welche Hormone ausgeschüttet werden. Auch unsere Körpertemperatur unterliegt periodischen Schwankungen. Denn obgleich sie durchschnittlich bei 37 Grad liegt, weicht sie innerhalb des Tages um etwa 0,5 Grad nach oben sowie nach unten ab. So erreicht sie ihren Tiefstand in den frühen Morgenstunden, am Abend klettert sie auf das Tageshoch, über die folgenden Stunden sinkt sie wieder stetig ab. Das Auf und Ab ist wichtig, um Schlaf auszulösen. Kann der Körper nachts nicht wie vorgesehen abkühlen, haben wir Probleme einzuschlafen.
Wenn ein Raum geringfügig zu warm ist, bereitet das dem Körper normalerweise noch keine Schwierigkeiten. Um seine Kerntemperatur abzusenken, nutzt er die Thermoregulation, bei der die erhöhte Umgebungstemperatur zuerst bestimmte Rezeptoren in der Haut aktiviert. Der entstehende Reiz wandert über das Rückenmark in zwei unterschiedliche Hirnregionen. Die erste ist der somatosensorische Kortex. Hier entsteht die Wahrnehmung, dass es gerade etwas zu warm ist. Die zweite Region, der Hypothalamus, kontrolliert willentlich nicht direkt beeinflussbare physiologische Vorgänge. Zudem steuert er die Hormonausschüttung im Körper. Er ist auch das Areal, in dem die Thermoregulation hauptsächlich stattfindet.
Treffen Signale ein, die anzeigen, dass es gerade zu heiß ist, leitet der Hypothalamus Abkühlmaßnahmen ein. Dafür schickt er an die Schweißdrüsen Botenstoffe, die die Schweißproduktion ankurbeln. Das dient dazu, den Körper durch die Verdunstung der Flüssigkeit abzukühlen. Zudem bewirkt er, dass sich die kleinen Adern in der Haut erweitern. So gelangt Blut in größeren Mengen an die Körperoberfläche und kann Wärme an die Umgebung abgeben. Gleichzeitig verengen sich die Gefäße in den Organen, damit nicht mehr Blut als nötig ins Körperzentrum fließt. Das verhindert in der Regel, dass sich die Körpertemperatur erhöht.
Steigen Temperatur und Luftfeuchte der Umgebung jedoch über einen gewissen Bereich, bringt selbst die beste Thermoregulation nicht mehr ausreichend Abkühlung. Dann fährt der Körper am Abend nicht oder nur verzögert herunter. Betroffene wälzen sich derweil schweißüberströmt in dünnen Laken und fürchten die Müdigkeit am kommenden Morgen. Und das ist auch gerechtfertigt, denn: Länger andauernde Schlafprobleme erhöhen nachweislich das Risiko, an einer Depression zu erkranken. Zudem leidet die Leistungsfähigkeit, weil die nächtliche Erholung fehlt. Betroffene verlieren eher die Nerven und neigen vermehrt zu Wutausbrüchen. Sogar ein Zusammenhang mit erhöhter Suizidalität ist belegt. Der Einfluss von Hitze auf die Schlafqualität sollte also nicht vernachlässigt werden. Insbesondere wenn Hitzeperioden zunehmend intensiver und länger ausfallen, könnte das auf die Psyche vieler Menschen in Deutschland schlagen.
Wenn Konzentrieren unmöglich wird
Hitze wirkt sich nicht nur indirekt über das Schlafdefizit auf die Leistungsfähigkeit aus. Ist es tagsüber zu warm, fällt es Menschen generell schwerer, sich zu konzentrieren. Zudem braucht man für dieselben Aufgaben im Schnitt länger als sonst, und es passieren dabei häufiger Fehler. So stellte 1983 eine Arbeitsgruppe um Jerry Ramsay von der Texas Tech University fest, dass es bei hohen Umgebungstemperaturen in Industriehallen zu deutlich mehr Arbeitsunfällen kam.
Steigende Temperaturen können das Gehirn also ganz schön aus der Bahn werfen. Doch woran liegt das? Hinter höheren kognitiven Fähigkeiten wie Aufmerksamkeit und logischem Denken stecken komplexe neuronale Netzwerke, an denen zahlreiche unterschiedliche Hirnregionen mitwirken. Ist die Kommunikation zwischen einigen Arealen oder Netzwerkteilen gestört, kann das solche Funktionen einschränken. Das so genannte dorsale Aufmerksamkeitsnetzwerk steuert vor allem die Konzentration. An ihm beteiligte Hirnareale werden aktiv, sobald eine Person sich auf eine komplexe Aufgabe fokussiert. Sein Gegenstück ist das Default Mode Network (zu Deutsch Ruhezustandsnetzwerk). Dessen Aktivität steigt an, wenn wir gerade nichts tun oder unsere Gedanken schweifen lassen. Die neuronale Aktivität wechselt ständig zwischen diesen beiden Netzwerken, je nachdem, ob sich jemand auf eine Aufgabe konzentriert oder nicht.
Mittels Magnetresonanztomografie untersuchte ein Team um Shaowen Qian von der Army Medical University in Chongqin 2020, ob die Raumtemperatur das Zusammenspiel der beiden Netzwerke beeinflusst. Daten aus den Hirnscans deuteten darauf hin, dass das tatsächlich der Fall war. Außerdem schnitten Versuchspersonen umso schlechter in einer Aufmerksamkeitsaufgabe ab, je stärker die Kommunikation zwischen den beiden Netzwerken beeinträchtigt war. Bei Hitze kommen also normalerweise fein aufeinander abgestimmte Hirnnetzwerke durcheinander. Das trägt eventuell dazu bei, dass die Konzentration leidet.
Es gibt mehrere Erklärungsansätze für das Phänomen, die mögliche biologische Mechanismen aufzeigen. Eine These beruht auf der Beobachtung, dass die Sauerstoffsättigung des Bluts mit steigender Kerntemperatur abnimmt. Das Gehirn hat einen hohen Sauerstoffbedarf – es macht zwar nur etwa zwei Prozent unseres Körpergewichts aus, verbraucht im körperlichen Ruhezustand für seinen Stoffwechsel jedoch rund 20 Prozent des im Blut transportierten Sauerstoffs. Sinkt dessen Konzentration durch Hitze, wäre es denkbar, dass das Denkorgan nicht ausreichend versorgt und folglich in seiner Funktion eingeschränkt wird. Die Thermoregulation könnte dies noch verschärfen, weil sie bei Hitze Blut eher zur Haut als zu den innen liegenden Organen leitet.
Eine andere Hypothese postuliert, dass Hitzestress selbst Aufmerksamkeit auf sich zieht. Da Letztere eine begrenzte Ressource darstellt, würde so weniger für sonstige Aufgaben übrig bleiben. Manche Fachleute schlagen eine weitere Alternative vor: Vielleicht lässt sich die sinkende Konzentration dadurch erklären, dass eine geringere Menge des Neurotransmitters Dopamin produziert wird, der in vielen unterschiedlichen Hirnprozessen eine Rolle spielt. Die Hypothesen schließen sich gegenseitig nicht aus, und noch ist nicht abschließend geklärt, welche Vorgänge die Hirnnetzwerke in welchem Maß stören. Es braucht also weitere Studien, die unser Wissen dazu erweitern – und womöglich sogar Optionen aufzeigen, wie sich der negative Einfluss von Hitze auf die Aufmerksamkeit dämmen lässt.
Blut-Hirn-Schranke in Gefahr
Das Blut transportiert lebenswichtige Nährstoffe und Sauerstoff, doch in ihm können sich auch Toxine und Keime tummeln. Eine natürliche Barriere verhindert, dass sie ins Zentralnervensystem gelangen: die Blut-Hirn-Schranke. Bestimmte Transportmechanismen schleusen hier spezifisch nur die dort gebrauchten Stoffe ins Gehirn, während der Rest draußen bleiben muss. Die Schutzschicht ist allerdings nicht unzerstörbar. Extreme Hitze sowie eine erhöhte Körpertemperatur können ihre Filterfunktion beeinträchtigen. Dadurch diffundieren mehr Schadstoffe vom Blut ins Gehirn. Sie werden von dessen Immunsystem bekämpft – dabei kommt es zu einer Entzündung von Hirngewebe (Neuroinflammation). Das dient dazu, das Organ zu schützen und die Eindringlinge schnellstmöglich zu beseitigen. Bei einer hohen Konzentration an Toxinen oder Keimen gerät die Immunreaktion allerdings außer Kontrolle. Die überschießende Abwehr greift dann auch Hirnzellen an, mit fatalen Folgen.
Hitze kann die Blut-Hirn-Schranke beeinträchtigen, wodurch mehr Schadstoffe aus dem Blut ins Gehirn dringen
Störungen der Blut-Hirn-Schranke sind deshalb ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko und können zu schweren neurologischen Schäden führen. Hari S. Sharma und Prasanta K. Dey untersuchten 1987 an der Banaras Hindu University im indischen Varanasi, wie sich Hitze auf die Funktion der Blut-Hirn-Schranke von Ratten auswirkt. Dazu setzten sie die Tiere vier Stunden lang einer Temperatur von 38 Grad Celsius aus. Das reichte aus, um die Durchlässigkeit der Barriere maßgeblich zu erhöhen. In Anbetracht dessen, dass die Anzahl der Hitzetage in Deutschland seit einigen Jahrzehnten stetig steigt, wird schnell klar, dass die Sommermonate zunehmend eine Gefahr für unsere Blut-Hirn-Schranke darstellen.
Länger andauernde Hitzewellen sind sogar in einer weiteren Hinsicht schädlich für das Gehirn: Der häufig dabei auftretende Mangel an Niederschlag begünstigt auch eine Austrocknung der oberen Bodenschicht und eine Zunahme von Waldbränden. Beides trägt dazu bei, dass die Luftverschmutzung sowie die Schadstoffbelastung steigen. Das kann zusammen mit der beeinträchtigten Blut-Hirn-Schranke in einen Teufelskreis münden: Über die Lunge gelangen mehr Toxine ins Blut und durch die brüchige Barriere dann weiter ins Gehirn. Ein zusätzlicher Mechanismus feuert das Ungleichgewicht noch an: Mikroglia, die Immunzellen des Gehirns, senden bei Überlastung eine Art molekularen Hilferuf an die Abwehrzellen des restlichen Körpers. Zugleich gibt das Gehirn den Befehl, die Blut-Hirn-Schranke zu öffnen, damit diese Zellen zu den Entzündungsherden gelangen können. Dadurch haben Schadstoffe ein leichtes Spiel, in noch größerer Menge ins Gehirn zu strömen. Das kurbelt die Entzündung weiter an.
Damit wird klar, dass die Auswirkungen von Hitze auf das Gehirn weit über den berühmten Sonnenstich hinausgehen. Über Jahrmillionen haben wir uns evolutionär optimal an ein Leben in einem relativ engen Temperaturbereich angepasst. Wenn wir ihn durch die menschengemachte Klimakrise zunehmend verlassen, finden wir uns in einer Umwelt wieder, auf die unser Körper mitunter nicht vorbereitet ist. Von dieser enormen Veränderung sind alle Menschen betroffen – sowohl Katrin, die Hitze hasst, als auch Tobias, der sie liebt. Doch was können wir daraus schließen? Natürlich ist es wichtig, dass wir unseren Körper und unser Gehirn an heißen Tagen so gut es geht schützen – etwa indem wir genug Wasser trinken, die pralle Sonne meiden und zwischendurch Abkühlung suchen. Das beste Mittel, um die zunehmende Belastung zu vermeiden, ist aber wie so oft die Prävention: Jedes verhinderte zehntel Grad an Erderwärmung rettet Menschenleben. Wir sollten also unsere gebündelte Hirnpower nutzen, um möglichst wirksame Klimaschutzmaßnahmen auf den Weg zu bringen.
Literaturtipp
Metzen, D., Ocklenburg, S.: Die Psychologie und Neurowissenschaft der Klimakrise. Springer Verlag, 2023
Dorothea Metzen und Sebastian Ocklenburg beleuchten, wie unser Gehirn auf Klimaveränderungen reagiert.
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