Hitzewellen: Klimawandel lässt Hitzerekorde Sprünge machen
Das größte Problem am Klimawandel ist nicht, dass die Erde wärmer wird, sondern wie schnell sie wärmer wird. Ein Beispiel für dieses Prinzip liefert nun eine Untersuchung über die extremsten der extremen Hitzewellen – solche, die vorherige Rekorde nicht nur überbieten, sondern »zerschmettern«, wie es die Klimaforscher Erich Fischer, Sebastian Sippel und Reto Knutti von der ETH Zürich ausdrücken. Laut ihrer jetzt in »Nature Climate Change« erschienenen Analyse steigt die Wahrscheinlichkeit von Hitzewellen wie jener in Nordamerika, bei der vorherige Rekorde um bis zu fünf Grad überboten wurden, mit der Rate des Temperaturanstiegs.
Demnach steigt im Szenario RCP8.5 mit hohen Treibhausgasemissionen die Wahrscheinlichkeit einer Hitzewelle, die den vorherigen Rekord – nicht den Mittelwert – um mindestens zwei Standardabweichungen überbietet, bis 2050 um mehr als das Vierfache. In Zentraleuropa entspreche eine Standardabweichung etwa 1,2 bis 1,4 Grad, erklärt Koautor Erich Fischer, die Hitzewelle 2003 zum Beispiel, der mehr als 70 000 Menschen zum Opfer fielen, sei ein 2,5-Sigma-Rekord gewesen. Bis zum Jahr 2080 wird die Chance, dass ein Zwei-Sigma-Rekord irgendwo in den gemäßigten Breiten der Nordhalbkugel auftritt, jedes Jahr etwa 50 Prozent betragen, prognostiziert das Team.
Der entscheidende Punkt ist dabei, dass sich solche potenziell katastrophalen Ereignisse – die ohne Klimawandel nahezu unmöglich wären – anders verhalten als normale Hitzewellen. Durch den Klimawandel treten höhere Temperaturen allgemein öfter auf, weil es weltweit wärmer wird. Zum Beispiel könnte eine Hitzewelle, die normalerweise alle 1000 Jahre aufträte, bei einer um ein Grad höheren globalen Mitteltemperatur stattdessen alle 100 Jahre stattfinden. Ein neuer Rekord verbessert den alten jedoch meist nur um eine kleine Spanne, etwa wie Rekorde im Sport. Durch die höheren Temperatur werden zwar auch Temperaturrekorde häufiger, weil viele Höchstwerte noch aus der kühleren Referenzperiode stammen, doch wenn die Mitteltemperatur beim höheren Wert konstant bliebe, würden sie mit der Zeit auch wieder seltener.
Wir leben jedoch in einer sich weiter erwärmenden Welt, so dass es auch in Zukunft mehr Rekorde geben wird. Manche Fachleute befürchten nach der extremen Hitze in Nordamerika, dass sich Hitzewellen auf einem heißer werdenden Planeten anders verhalten und womöglich schwerer einzuschätzen sind. Die Arbeit der drei Schweizer Forscher scheint diese Hypothese zu stützen. Höchsttemperaturen, die vorherige Rekorde um einen großen Betrag übertreffen, werden demnach drastisch häufiger, wenn das globale Temperaturmittel schnell steigt. Das zeigten die drei Forscher, indem sie die mathematische Beschreibung der Wahrscheinlichkeit von Temperaturrekorden so umformulierten, dass sie auch die Differenz zum vorherigen Rekord beschreibt. Das Ergebnis überprüften sie anhand eines Klimamodell-Ensembles für Nordamerika – in diesem zeigte sich, dass tatsächlich die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen, die den vorherigen Rekord um einen gegebenen Wert überschreiten, umso höher ist, je schneller sich die Erde erwärmt.
Während auch normale Hitzewellen ernste Konsequenzen haben, können die Folgen katastrophal sein, wenn vorherige Rekorde um einen großen Wert überschritten werden. Denn Gesellschaften neigen dazu, sich an den bekannten historischen Höchstwerten für Extremereignisse zu orientieren. Das ist zwar sinnvoll, wenn die immer nur um kleine Werte überboten werden – Ereignisse, die weit jenseits bisheriger Rekorde liegen, werden von solchen Maßnahmen jedoch nicht abgedeckt. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Geschwindigkeit des globalen Temperaturanstiegs beschleunigt, was bedeuten würde, dass der Effekt bereits jetzt zum Tragen kommt. Die Resultate von Fischer, Sippel und Knutti legen deswegen nahe, dass man sich womöglich besser schon jetzt auf Hitzewellen vorbereitet, die weit jenseits dessen liegen, was heute als plausibles Szenario erscheint.
Bisher ist nicht sicher, ob das gleiche Prinzip auch für andere Extremereignisse wie Starkniederschläge zutrifft. Das hängt unter anderem davon ab, ob diese sich statistisch ähnlich verhalten wie Temperaturen. »Grundsätzlich gelten die Aussage in erster Näherung auch für Niederschlagsextreme«, sagt Erich Fischer. Allerdings spiele die große Schwankungsbreite bei Regenfällen eine wichtige Rolle. »Oft sind 70 bis 100 Jahre Messzeitraum zu kurz, um ein 1000-jähriges Ereignis exakt abzuschätzen, und deshalb sind wir oft schon aufgrund der Variabilität von Rekorden überrascht.« Das heißt, wegen der hohen Schwankungsbreite ist nicht klar, ob ein bestimmtes Starkregenereignis den vorherigen Rekord »zerschmettert« oder noch in den Rahmen eines normalen Rekords fällt.
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