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Medizin: HIV weiß, wie man sich gut versteckt

Ein kleiner Teil der HIV-Infizierten kommt überraschend gut mit dem Virus zurecht. Nun meinen Forscher, eine Erklärung dafür gefunden zu haben: Offenbar verkriecht sich der Erreger bei ihnen in schwer zugänglichen Abschnitten der DNA.
Viren in der Blutbahn

Es gibt Menschen, die das HI-Virus in Schach halten, ohne Medikamente dagegen einzunehmen. Wie das möglich ist, war Virologen bislang ein Rätsel: Ohne Behandlung löst der Erreger normalerweise die Immunschwäche Aids aus, die bei Betroffenen früher oder später zum Tod führt. Ein Team um die Immunologin Xu Yu vom Ragon Institute im US-amerikanischen Cambridge meint nun einen Grund für die verblüffende Widerstandsfähigkeit mancher Betroffener entdeckt zu haben: Offenbar steckt das Virus bei ihnen vorrangig in Bereichen des Erbguts, die nicht abgelesen werden, berichten die Wissenschaftler in der Fachzeitschrift »Nature«.

Bisher ist Aids nicht heilbar. Durch eine aufwändige Kombinationsbehandlung mit mehreren Medikamenten lässt sich die HIV-Last im Körper aber stark senken. Dadurch bricht die Krankheit nicht aus und Infizierte können auch keine weiteren Personen mehr anstecken. Dafür müssen sie die Medikamente, die teils starke Nebenwirkungen haben, allerdings ihr Leben lang einnehmen.

Knapp 0,5 Prozent der HIV-Infizierten schaffen es auch ohne Medikamente, die Vermehrung des Virus dauerhaft unter Kontrolle zu halten. Fachleute bezeichnen sie als »Elite Controller«. Auf den ersten Blick erscheinen Patienten, bei denen das Virus nicht ausbricht, gar nicht so ungewöhnlich: HIV ist ein Retrovirus, dessen Erbgut aus RNA besteht. Das bedeutet, es schreibt sein Erbgut in DNA um und integriert diese dann dauerhaft ins Genom einer Wirtszelle. Das Virus kann daher über Jahre unbemerkt in unseren Zellen schlummern.

HIV und Aids

Das humane Immundefizienz-Virus (HIV) befällt bestimmte Zellen in unserem Blut, so genannte T-Helferzellen. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr.

Es gehört zur Familie der Retroviren. Das bedeutet: Das Erbgut des Virus, das aus RNA besteht, wird in DNA umgeschrieben, die dauerhaft ins Erbgut der Wirtszelle eingebaut wird. Darin liegt eine große Gefahr: Das Virus kann über Jahre unbemerkt in unseren Zellen schlummern. Infizierte Personen sind oft lange Zeit symptomfrei. Für eine Weile gelingt es dem Körper, die Viren mit Hilfe von Antikörpern abzuwehren. Doch die Anzahl der T-Helferzellen geht immer weiter zurück. Erst im Endstadium tritt das aidstypische Krankheitsbild auf: Betroffene sind extrem anfällig für andere Krankheitserreger; häufig kommen auch Krebserkrankungen hinzu.

Die Immunschwächekrankheit Aids (acquired immune deficiency syndrome) trat Anfang der 1980er Jahre erstmals bei Menschen auf. Da zunächst vor allem Homosexuelle betroffen waren, vermuteten Ärzte und Forscher einen Zusammenhang. Doch es tauchten immer mehr heterosexuelle Patienten auf – und sogar Kinder. Im Jahr 1983 wurde das HI-Virus erstmals aus einem Patienten isoliert. Molekularbiologische Untersuchungen legen nahe, dass HIV-verwandte Viren im frühen 20. Jahrhundert mehrfach von Affen oder Menschenaffen auf den Menschen übertragen wurden. Daraus haben sich unterschiedliche HIV-Stämme entwickelt. In der Bevölkerung zirkulieren hauptsächlich Viren der Gruppe M von HIV-1, die ursprünglich aus einem Schimpansen stammen.

Von Mensch zu Mensch überträgt sich das Virus über Blut und andere Körperflüssigkeiten, etwa Sperma, Vaginalsekret und die Flüssigkeit auf der Darmschleimhaut. Am häufigsten geschieht das durch ungeschützten Geschlechtsverkehr. Das Virus kann auch von einer Mutter auf ihr Kind übertragen werden, etwa bei der Geburt. Körperkontakte im alltäglichen sozialen Miteinander stellen hingegen kein Infektionsrisiko dar.

Die Krankheit ist bis heute nicht heilbar. Die so genannte hochaktive antiretrovirale Therapie (HAART) ermöglicht jedoch, dass Aids nicht ausbricht und die Patienten ein weitgehend normales Leben führen können. Allerdings müssen die Infizierten lebenslang Medikamente einnehmen, die manchmal starke Nebenwirkungen haben.

Das Virus baut sein Erbgut in unseres ein

Die Frage ist, warum diese Latenz bei den meisten Betroffenen früher oder später endet, bei Elite-Controllern hingegen nicht. Um eine Antwort zu finden, hat das Team um Yu 64 Elite-Controller genau untersucht. Die Viruskonzentration in ihrem Blut war jeweils so gering, dass man den Erreger seit mindestens neun Jahren mit Standardmethoden nicht mehr nachweisen konnte. Als Vergleichsgruppe dienten 41 HIV-Patienten, die über denselben Zeitraum hinweg Medikamente eingenommen hatten. Im Kern ihrer Zellen konnte man wie erwartet noch Viruserbgut aufspüren. Das galt aber auch für die Elite-Controller: Mit Hilfe hochsensibler Methoden wiesen die Forscher im Erbgut ihrer Blutzellen intakte HIV-DNA nach.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, schaute sich das Team die Sequenz der Virusgenome genauer an. Dabei fiel auf, dass die einzelnen Personen jeweils nur wenige Stämme – manchmal sogar nur einen einzigen – in sich trugen. Das ist ungewöhnlich: Normalerweise findet man in HIV-Infizierten eine Vielzahl unterschiedlicher Stämme, denn beim Kopieren des Viruserbguts passieren viele Fehler, die zu Mutationen führen können.

Dass es bei den Elite-Controllern anders aussieht, lässt sich aus Sicht der Forscher mit einer besonders tiefen, lang anhaltenden Latenz erklären. Das Virus habe sich – außer durch normale Zellteilung – nicht weiter vervielfältigt oder verändert. Möglicherweise hat das etwas mit den Stellen zu tun, an denen das Virus sein Erbgut in unseres eingebaut hat: Bei den Elite-Controllern taucht das Viruserbgut häufig innerhalb so genannter Satelliten-DNA auf.

Gemeint sind sich mehrfach wiederholende Basenabfolgen, die keine Bauanleitung für Proteine liefern und daher nicht abgelesen werden. In der Regel ist das Erbgut in diesen Bereichen sehr dicht gepackt. Dass sich das HI-Virus in solche Bereiche integriert, ist eigentlich sehr selten. Bei den Elite-Controllern befanden sich dagegen etwa 20 Prozent aller Virusgenome innerhalb von Satelliten-DNA und weitere 10 Prozent in der Nähe solcher Sequenzen.

Die restlichen Virusgenome orteten die Wissenschaftler zwar innerhalb von Genen, aber fast immer in so genannten Introns. Das sind jene Sequenzen, die vor dem Umschreiben der RNA in DNA herausgeschnitten werden, also nicht Teil des fertigen Proteins sind. Außerdem lag die Virus-DNA bei den Elite-Controllern immer relativ weit entfernt von den Stellen, an welchen die Transkription üblicherweise startet. An diesen ist das Erbgut leicht zugänglich und kann darum gut abgelesen werden.

Die Balance ist wichtig

Das Team um Yu vermutet, dass sich das Virus bei den Elite-Controllern nicht einfach nur ungünstige Stellen des Erbguts ausgesucht hat. Vielmehr sei es dem Immunsystem dieser Menschen wahrscheinlich gelungen, jene Virusgenome, die sich in günstigere Bereiche integriert hätten, zu beseitigen. Das hält auch der Virologe und Immunologe Nicolas Chomont von der kanadischen Université de Montréal für plausibel: Die Studie weise darauf hin, dass ein kontinuierlicher und lang anhaltender Druck des Immunsystems den Pool an virusbeherbergenden Zellen stark verkleinert habe, schreibt er in einem begleitenden Kommentar in »Nature«. Demnach tragen die Elite-Controller die HIV-DNA noch in sich, aber das Virus sei nur schwer zu reaktivieren. Entsprechend sollten künftige Therapieansätze nicht nur darauf zielen, die aktuelle Viruslast zu reduzieren, sondern auch das Reservoir latent infizierter Zellen zu begrenzen und diese in einen möglichst schwer aktivierbaren Zustand zu versetzen, findet Chomont.

Auch der Virologe Frank Kirchhoff vom Universitätsklinikum Ulm hält die neue Studie für einen interessanten Beitrag: Die Daten seien in dieser Genauigkeit noch nicht verfügbar gewesen. »Im Grunde bestätigen sie aber vor allem, was bereits vermutet wurde«, sagt Kirchhoff, der mit seinem Team ebenfalls die Latenz von HIV untersucht. Dass das Virusreservoir – zumindest jenes im Blut – einiger Elite-Controller so klein war, berge aber einen Hoffnungsschimmer: »Vielleicht kommt es in sehr seltenen Fällen doch zur vollständigen Eliminierung vermehrungsfähiger Viren.«

Bislang sind weltweit lediglich zwei Menschen bekannt, die als von HIV geheilt gelten. Einer davon ist der »Berliner Patient« Timothy Brown, der 2011 für Schlagzeilen sorgte. Er war nicht nur HIV-positiv, sondern litt auch unter Leukämie. Um die Krebserkrankung zu behandeln, erhielt er im Jahr 2007 eine Stammzelltransplantation. Das Besondere daran: Die Zellen des Spenders trugen eine Mutation, die sie vor einer Infektion durch das HI-Virus schützte. Obwohl er seine HIV-Medikamente absetzte, ist das Virus bei Brown seither nicht mehr nachweisbar.

Im März 2019 berichtete »Nature« von einem ähnlichen Fall: Bei einem britischen Patienten waren nach einer Stammzelltransplantation 18 Monate lang keine Viren mehr nachweisbar. Damals zögerten die Ärzte noch; ein Jahr später wurde auch der »Londoner Patient« für geheilt erklärt. Bei jedem HIV-positiven Menschen eine Stammzelltransplantation durchzuführen, ist jedoch aus Sicht von Experten keine Option, zumal nur wenige Spender die benötigte Mutation mitbringen.

Mediziner hoffen daher nach wie vor darauf, HIV auch auf anderem Weg zu besiegen. Studien wie die von Xu Yu sind zweifellos ein Schritt in diese Richtung, auch wenn man ihre Bedeutung wohl nicht überbewerten darf. So ist unter Fachleuten durchaus umstritten, ob es wirklich ein großer Gewinn ist, wenn man die Viruszellen mit Medikamenten in einen schwer aktivierbaren Zustand versetzt, ähnlich wie es bei Elite-Controllern der Fall ist.

»Wenn man die Reaktivierung des Virus durch Therapeutika verhindert, hat man im Prinzip wenig gewonnen«, sagt Frank Kirchhoff. Man müsse dann ja weiterhin dauerhaft Medikamente einnehmen. Besser wäre es, latent infizierte Zellen aufzuwecken und sie vom Immunsystem »vollständig ausräumen« zu lassen.

Experten wie Kirchhoff bezeichnen das als »Kick and Kill«-Strategie. In klinischen Studien habe man durch verschiedene Wirkstoffe bereits eine gewisse Aktivierung latenter Viren erreicht, erzählt der Ulmer Virologe. Zu einer effizienten Reduktion der Reservoirs hätte dies allerdings bisher nicht geführt. »Für eine Heilung müssten die latenten, vermehrungsfähigen Viren komplett eliminiert werden.«

Alle Viren gleichzeitig aufzuwecken, wäre aber sicherlich zu viel für das Immunsystem. »Bei Elite-Controllern gibt es anscheinend eine gute Balance aus Aktivierung und Eliminierung«, sagt Kirchhoff. Vermutlich stellen auch sie hin und wieder infektiöse Viruspartikel her. So gelang es auch dem Team um Yu, aus den Blutzellen der Probanden vermehrungsfähige Viren zu gewinnen. Bedingt durch ihre besondere Position im Wirtserbgut werden aber wahrscheinlich nur so wenige Viren hergestellt, dass ihr Immunsystem sie rasch beseitigen kann.

Möglicherweise hängt das mit einer bestimmten Sorte von Immunzellen zusammen, den T-Killerzellen. Sie sind bei Elite-Controllern besonders effektiv. In seltenen Fällen scheint es sogar möglich zu sein, dass sich das Immunsystem nahezu komplett von dem Retrovirus befreit. Bei einem der Probanden, der sich vor mehr als 24 Jahren mit HIV infiziert hatte, konnte das Team um Yu kein einziges intaktes Virusgenom (lediglich ein paar kaputte) nachweisen, obwohl sie mehr als 1,5 Milliarden seiner Blutzellen untersucht hatten.

Als geheilt gilt der Patient damit aber noch nicht. Man müsse bei der Interpretation solcher Daten sehr vorsichtig sein, sagt auch Kirchhoff. Es sei nicht gesagt, dass ein Elite-Controller dies für sein ganzes Leben bleibt. Auch wenn sich das Virus kaum vermehrt, könnten nach längeren Zeiträumen Mutationen auftreten, die das Virus aktiver machen. Zudem nehme die Funktion des Immunsystems mit dem Alter ab. Und: Die meisten latent mit HIV-infizierten Zellen befinden sich nicht im Blut, sondern in den lymphatischen Geweben. Dazu gehören etwa die Lymphknoten, die Milz und das Knochenmark. Proben hiervon hat das Team um Yu noch nicht ausgewertet, will dies aber in Zukunft nachholen.

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