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Hochwasser und Klimawandel: »Die Klimamodelle haben das von Anfang an gezeigt«

Einzelereignisse dem Klimawandel zuzuschreiben sei schwierig, sagt der Klimaforscher Reto Knutti. Der wichtigste Effekt dabei sei aber gut verstanden. Das eigentliche Problem sieht er vielmehr darin, dass Menschen nicht sehr vorausschauend sind.
Zerstörungen in Mayschoß, Rheinland-Pfalz.

Mehr als 170 Menschen starben bis zum 20. Juli durch Hochwasser und Sturzfluten nach den Starkregenfällen in Deutschland. Für viele gilt nun als sicher: Hinter der Katastrophe steckt der Klimawandel. Auch der Klimaforscher Reto Knutti von der ETH Zürich befasst sich mit dem menschlichen Einfluss auf Wetterextreme. Im Interview erklärt er, warum es gar nicht so einfach ist, ein einzelnes Ereignis dem Klimawandel zuzuschreiben, und wieso er trotzdem sicher ist, dass der Klimawandel solche Ereignisse häufiger macht.

»Spektrum.de«: Starkregen hat zu verheerendem Hochwasser im Westen Deutschlands geführt. Lässt sich dieses Extremwetterereignis dem Klimawandel zuordnen?

Reto Knutti: Die Frage ist eigentlich falsch gestellt. Die Grundfrage unserer Forschung lautet zunächst: Inwiefern hat der Klimawandel die Häufigkeit und/oder die Stärke eines Ereignisses beeinflusst? Oder anders gefragt: Hat der Klimawandel dieses Ereignis schlimmer oder weniger schlimm gemacht? Ausschläge sind in beide Richtungen möglich. Die Attributionsforschung, also die Erforschung des menschlichen Einflusses, fragt nach den Wiederkehrperioden. Ein Beispiel: Eine besondere Hitzewelle findet durch die Erderwärmung statistisch alle 5 Jahre statt – statt alle 50 Jahre.

Ihre Kollegen von der World Weather Attribution Group (WWA) vergleichen das Wetter unserer heutigen Welt mit einer Welt, die es geben würde, wenn wir nicht Treibhausgase emittieren würden. Ist das die typische Herangehensweise?

Genau, dieses Prinzip wenden wir an. Man simuliert in den Modellen, wie oft das Ereignis mit Klimawandel vorkommt – und wie oft ohne Klimawandel. Daraus kann man ableiten, um wie viel häufiger ein Ereignis geworden ist und wie groß der Beitrag des Menschen ist. Große Hitzewellen beispielsweise kommen im heutigen Klima fünfmal häufiger vor, also sind 80 Prozent der Hitzewellen vom Menschen gemacht. Beim Starkregen haben unsere Analysen ergeben, dass der Einfluss global bei 15 bis 20 Prozent liegt. Wir müssen dabei allerdings nach Ort, Wetterlage und Jahreszeit unterscheiden. Generell lässt sich sagen: Hitzewellen und Starkregenfälle nehmen zu, Einzelereignisse muss man sich aber genau anschauen.

Reto Knutti | Der Klimaforscher ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und erforscht neben Klimasensitivität und Klimadynamik auch den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Extremwetter. Er war einer der Leitautoren des Vierten und Fünften Sachstandsberichts des IPCC.

Ohne eine eingehende Untersuchung des Einzelereignisses lässt sich ein bestimmtes Extremwetter auch nicht zuordnen?

Ja, eine detaillierte Studie braucht typischerweise Zeit. Selbst das, was die WWA-Kollegen in einer »rapid attribution« machen, benötigt mindestens eine Woche. Sie machen das extrem sorgfältig, doch es erlaubt keine neue Methode zu entwickeln und keine neue Modellsimulation zu machen. Es erlaubt nur, ein vordefiniertes Rezept durchzuspielen und durchzurechnen. Man wertet bestimmte Datensätze und Modellsimulationen aus – und kommt meistens zu dem Schluss, den die Fachleute ohnehin kennen und erahnen: Hitzewellen werden extrem viel häufiger oder Starkniederschläge nehmen zu. Solche generellen Aussagen kann ich machen, bevor ich mir das Wetterereignis angeschaut habe.

Dann können Sie uns ja grob sagen, wie die Schuldfrage bei der Hochwasserkatastrophe aussieht. Haben Sie das Unglück kommen sehen?

Das Unwetter wurde sehr präzise vorausgesagt, obwohl die Wettersituation insgesamt schwierig einzuschätzen war. Ich habe das verfolgt, und man konnte in der Schweiz über Tage kommen sehen, was sich anbahnt. Verhindern hätte man die Katastrophe zwar nicht können, doch es hätte reichen sollen, um die Menschen vor Ort zu evakuieren. Das ist zwar nur ein Nebeneffekt, aber die Vorhersagen haben enorme Fortschritte gemacht. Ich kann mich erinnern, dass wir bei den großen Hochwassern 1999 und 2005 in der Schweiz vorher deutlich weniger wussten über das Potenzial einer möglicherweise verheerenden Lage. Zudem war die Erfassung der Pegelstände damals kantonal geregelt. Die Vorhersagen, die Warnsysteme und die Vorbereitung für die Feuerwehr haben sich verbessert und sind nun organisiert.

»Generell lässt sich sagen: Hitzewellen und Starkregenfälle nehmen zu, Einzelereignisse muss man sich aber genau anschauen«

In der Schweiz scheint es immerhin zu funktionieren.

In der Schweiz sind die Schäden seit 100 Jahren etwa konstant, und die Todeszahlen nehmen ab. Das Schadenspotenzial ist immer eine Kombination von der Häufigkeit und der Stärke eines Ereignisses und der Verwundbarkeit. Wenn man sich also vorbereitet, kann man die Schäden und Opferzahlen klein halten.

Es wird gerade sehr viel über den Klimawandel diskutiert, aber kaum über andere Faktoren wie die Versiegelung oder das Bauen in der Aue. Müsste man sich diese Einflüsse nicht genauer anschauen, um daraus zu lernen?

Ich kann das schwer beurteilen, man wird sich das nun sicher genauer anschauen. Die thermodynamischen Faktoren sind jedenfalls gut verstanden, und dann gibt es noch die dynamischen Einflüsse, die mit der Wetterlage zusammenhängen. Schließlich kommt hinzu, was am Boden passiert, etwa die Versiegelung oder die Begradigung von Flüssen.

Lassen Sie uns das einzeln durchgehen. Was ist bei Thermodynamik gut verstanden?

Die Thermodynamik sagt: Es wird wärmer. Und damit nehmen zum Beispiel Hitzeereignisse zu. Zudem kann wärmere Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen und transportieren, weshalb das Risiko für Starkregen steigt. Sechseinhalb Prozent pro Grad macht dieser Effekt aus, nachgewiesen erstmals von Clausius und Clapeyron 1834. Das ist das, was mich immer ein bisschen frustriert: Dieses Physikwissen ist über 180 Jahre alt. Die Klimamodelle haben das von Anfang an gezeigt, schon Ende der 1980er Jahre.

Damals sahen wir bereits eine Zunahme in den Starkregenfällen, obwohl die Sommer in Mitteleuropa tendenziell trockener werden. Wenn es dann regnet, kommt viel zu viel auf einmal. Im Prinzip kann man sagen: Das gleiche Gewitter bei zwei Grad Erwärmung bedeutet 15 Prozent mehr Wasser. Ich hoffe, dass hier irgendwann der Groschen fällt. Das ist der dominierende und völlig verstandene Effekt, den Klimatologen schon lange vorausgesagt hatten und den man heute in allen Datensätzen einwandfrei sieht.

Und dann gibt es noch den Einfluss des Klimawandels auf die atmosphärische Zirkulation. Wie ist es mit diesem Effekt?

Hier geht es um die Häufigkeit der Wetterlage und die so genannte Persistenz, also die Frage, wie lange eine bestimmte Wetterlage bestehen bleibt.

Stichwort: Jetstream-Diskussion. Manche Klimaforscher sagen, er werde schwächer durch die starke Erwärmung der Arktis – und dadurch blieben Hochs und Tiefs länger an Ort und Stelle.

Die Meinungen hierzu gehen auseinander. Die eine Seite sagt, das sei völlig klar. Stefan Rahmstorf, Michael Mann und Jennifer Francis gehören dazu. Die Hypothese ist plausibel: Wenn die Differenz zwischen Pol und Äquator abnimmt, dann treibt es den Jetstream weniger stark an und er mäandriert häufiger. Die Frage ist jedoch, wie groß der Effekt ist. Es könnte sein, dass der Einfluss doch klein ausfällt. Einige Klimaforscher argumentieren, er sei nachweisbar in den Klimamodellen. Die meisten Modelle zeigen das aber bislang nicht oder nur sehr schwach.

Spektrum erklärt: Jetstream

Veröffentlicht am: 11.10.2019

Laufzeit: 0:02:29

Sprache: deutsch

Lässt er sich denn in den Beobachtungen nachweisen?

Nein. Die Beobachtungslage ist unklar. Das liegt nicht daran, dass die Beobachtungen zu schlecht wären, sondern dass die natürlichen Schwankungen so groß sind: Sollte ein Signal da sein, schimmert es noch nicht durch. Die Variationen sind von Jahr zu Jahr eben sehr groß.

Wie stehen Sie zu der Hypothese?

Ich bin eher skeptisch. Wir haben alle Modelle für die Schweiz und Mitteleuropa ausgewertet – und wir haben keine Veränderung der Wetterlagenhäufigkeit gefunden und ebenso wenig eine Veränderung der Persistenz. Ich würde es aber nicht ausschließen, dass Blockadelagen häufiger werden, wie das Hoch über Skandinavien, das dort seit mehr als zwei Wochen sitzt und sich nicht bewegt. Das wäre allerdings gar nicht so wahnsinnig entscheidend, es würde das Problem nur noch etwas verschärfen.

»Sobald wir bei komplexen Fragen sind, geht es nicht um Wahrheit, sondern immer um Anhäufung von Evidenz«

Im ZDF haben Nachrichtenmoderator Claus Kleber und Meteorologe Özden Terli die Hypothese über den schwächelnden Jetstream bereits als Fakt dargestellt. Ist das nicht unlauter?

Ich würde das nicht als Fakt darstellen. Es ist ein möglicher Effekt, doch gesichert ist er nicht. Man kann nicht eine Publikation hernehmen und daran glauben und sich einzig darauf berufen. In wissenschaftlich komplexen Fragen ist eine Publikation keine Publikation. Das Vertrauen ist immer graduell. Sobald wir bei komplexen Fragen sind, geht es nicht um Wahrheit, sondern immer um Anhäufung von Evidenz.

Ich würde daher unterscheiden zwischen etwas, was von einzelnen Personen, von einzelnen Modellen und von einzelnen Studien gesehen wird, und auf der anderen Seite von einem Konzept, wie es in den UN-Klimaberichten steht. Dort bezieht man sich auf dutzende, wenn nicht hunderte Studien – dagegen kann man keine Gegenargumente mehr haben.

Hitze ist wissenschaftlich besser abgesichert. Bei der Hitzewelle in den USA und Kanada haben sich die Attributionsforscher von der WWA in ihrer jüngsten Studie ja eindeutig festgelegt: Die Extremtemperaturen wären ohne Klimawandel praktisch unmöglich gewesen. Hitze lässt sich mittlerweile leicht zuordnen, oder?

Ja, aber es gibt die gleiche Diskussion. Wir hatten eine außergewöhnliche Wetterlage, von der die einen sagen, sie wird häufiger, und die anderen, dass es unklar sei. Doch selbst wenn man das nicht weiß, lässt sich grundsätzlich sagen: Bei zwei Grad höherer Temperatur wird auch die Hitze zwei Grad höher ausfallen, wahrscheinlich sogar noch mehr, weil die Spitzen noch stärker ausfallen. Denn dazu kommt, dass die geringere Bodenfeuchte die Hitze verstärkt.

Anfang Juli wurde in Kanada der Hitzerekord um fünf Grad Celsius übertroffen. In Lytton in British Columbia waren es 49,6 Grad Celsius, bevor der Ort in Flammen aufging. Hat Sie das Ausmaß dieser Hitzewelle überrascht?

Nein, denn meine Forschungsgruppe hat solche Phänomene erforscht. Man kann es in den Beobachtungen zeigen. Der heiße Sommer 2003 war so ein Ereignis, und auch der trockene Sommer 2018 bei uns oder die Hitzewelle 2010 in Russland. In den letzten 10, 15 Jahren gab es einige Ereignisse, bei denen wir uns ernsthaft gefragt haben, was da geschehen ist. Es überstieg alles, was wir erwartet hätten. Und man sieht das auch in den Klimamodellen.

Und dennoch sind wir schockiert, wenn es passiert.

Diese Wetterereignisse schockieren uns, weil wir im bekannten Rahmen des Geschehenen denken und uns daran anpassen. Der Mensch ist nicht sehr vorausschauend. Wir haben die Tendenz, an den bestehenden Rekordwert zu denken, den Worst Case, und gehen typischerweise davon aus, dass ein neuer Rekord den alten nur um ein paar zehntel Grad reißt. Aber weil wir uns in einem sich stark ändernden Klima befinden, kann es eben vorkommen, dass ein Rekord um zwei, drei, vier oder noch mehr Grad gebrochen wird. Das trifft uns hart, weil wir völlig unvorbereitet sind.

»In den letzten 10, 15 Jahren gab es einige Ereignisse, bei denen wir uns ernsthaft gefragt haben, was da geschehen ist. Es überstieg alles, was wir erwartet hätten«

Das heißt, der aktuelle Hitzerekord von 41,2 Grad Celsius in Deutschland wird schon bald gerissen – um einige Grad.

Es müssen nicht gleich mehrere Grad sein, es können natürlich weiterhin auch nur ein paar zehntel sein. Aber was in Kanada passierte, entspricht dem, was bei uns im Sommer 2003 geschah.

Ist es also neben der grundsätzlichen Strategie, Emissionen einzusparen und wirksamen Klimaschutz anzustreben, nicht genauso wichtig, sich schnell anzupassen an das, was uns bevorsteht?

Unbedingt. In der Schweiz erlebe ich das als andauernde Auseinandersetzung, wir haben eine lange Tradition mit Gefahrenkarten. Wir haben aus unseren Erfahrungen gelernt. Wenn man sich anpasst, kann man die Schäden reduzieren. Aber es gibt natürlich Hürden, wie jene, dass wir die lokalen Veränderungen des Klimawandels nur schwer voraussagen können. Bei der Frage, wo das Hochwasserrisiko stärker steigt, am Rhein oder an der Donau, stoßen wir an Grenzen.

Wo noch?

Es ist extrem schwierig, der Politik und der Gesellschaft zu sagen, dass etwas passieren könnte und dass man sich darauf vorbereiten sollte. Wenn etwas noch nie passiert ist, trifft man meistens auf taube Ohren. Rückversicherer versuchten über Jahre mit der Stadt New York zum Thema Wirbelstürme zu verhandeln: Bitte sorgt vor! Irgendwann kommt einer. Ihnen wurde nie geglaubt. Und dann kam Sturm »Sandy«.

Wie sieht es in Deutschland aus? Sind unsere Städte gegen Extremhitze und Starkregen gewappnet?

Ich kann nicht genau beurteilen, was in Deutschland passiert. Es gibt eine langfristige Anpassung wie die Renaturierung von Flussläufen. Gegen Hitze versucht man Grünflächen zu schaffen und Neubauten nicht in Frischluftschneisen zu bauen. Diese langfristigen Anpassungsstrategien zielen darauf, die Menschen zu schützen, lange bevor das Ereignis kommt. Die kurzfristigen Warnungen sind auch extrem wichtig, man hat aus dem Jahr 2003 viel gelernt, 70 000 Menschen sind damals gestorben. Heute haben wir häufig ähnliche Temperaturen, und es stirbt fast niemand mehr. Die Altersheime werden vorgewarnt. Man kann sich schlau verhalten.

Wie erleben Sie die Politisierung der Klimaforschung? Die Attributionsforschung klärt ja, wer schuld ist an einem Extremwetterereignis.

Die Klimaforschung ist schon lange nicht mehr unpolitisch. Wenn ich sage, die Schweiz muss ihre Emissionen bis 2050 auf netto null bringen, dann ist das eigentlich eine streng naturwissenschaftliche Folgerung aus der Tatsache, dass wir das Abkommen von Paris ratifiziert haben. Wir haben uns verpflichtet zu einer politischen Entscheidung auf Grundlage naturwissenschaftlicher Fakten. Aber wenn ich das so ausdrücke, ist das natürlich eine hochpolitische Forderung. Solange man allerdings offen die Annahmen kommuniziert und die Unsicherheiten benennt und auch mögliche verschiedene Interpretationen zulässt, sehe ich das nicht als Problem. Es ist die Aufgabe der Forschung, die Fakten auf den Tisch zu bringen. Die Politik kann sie dann immer noch ignorieren.

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