Flut in Deutschland: »Es wäre völlig abwegig, Wasser in aktive Tagebaue zu leiten«
Bis vor wenigen Tagen war die Erft ein schmaler, weitgehend unbekannter Fluss, der aus der Eifel kommend westlich von Köln vorbei über 107 Kilometer hinweg in den Rhein fließt. Durch die Flutkatastrophe ist die Erftregion als Schauplatz eines schrecklichen Geschehens weltweit in die Nachrichten gekommen. Insgesamt 47 Tote hatte Nordrhein-Westfalen bis zum 21. Juli 2021 zu beklagen.
Mit im Zentrum des aktuellen Geschehens steht Bernd Bucher, Vorstand des Erftverbands, eines Zusammenschlusses von rund 250 Mitgliedern »aus Kommunen, Landkreisen, Elektrizitätswirtschaft, Gewerbe, Industrie, Wasserversorgung, Fischerei, Landwirtschaft und Bergbau«. Der Erftverband ist für die Wasserwirtschaft im Einzugsgebiet der Erft zuständig – und damit auch für den Umgang mit dem Kohletagebau. Im Interview spricht er über den vermeintlichen Plan, Tagebaue volllaufen zu lassen, und warum RWE sogar unter Hochwasserbedingungen gefahrlos entwässern kann.
»RiffReporter«: Das Hochwasser an der Erft hat die Region hart getroffen. Haben Sie schon Zeit für eine erste Analyse gehabt, was falschgelaufen ist?
Bucher: Nein, das wird uns über Wochen, Monate und länger beschäftigen. Wir müssen analysieren, warum unsere Rückhaltebecken überflutet wurden oder wie Hochwassermaßnahmen überlastet waren, die auf ein Ereignis ausgelegt wurden, das einmal pro 1000 Jahre passiert. Und wie Wasser sogar über Dammkronen laufen konnte. Wir werden uns genau anschauen müssen, wie wir das alles robuster oder anders machen können.
Welche Optionen gibt es?
Dafür, das genau zu sagen, ist es viel zu früh. Der Weg kann auf jeden Fall nicht sein, die Hochwasserbecken immer höher zu bauen, denn wenn sie dann im Katastrophenfall doch versagen und brechen, machen sie die Dinge noch schlimmer, als sie ohnehin schon sind – und schlimmer, als es ohne Becken wäre. Da braucht es sorgfältige Untersuchungen, und die schüttelt man nicht aus dem Ärmel.
In sozialen Medien kursiert die Behauptung, die RWE hätte, um ihre Tagebaue zu schützen und eine Überschwemmung wie in Inden zu vermeiden, Wasser in die Erft abgepumpt, aber damit das Hochwasser schlimmer gemacht. Stimmt das?
Es wird im Normalfall – also ohne Hochwasser – das so genannte Sümpfungswasser in die Erft eingeleitet. Und das geschieht grundsätzlich auch im Hochwasserfall. Die Tagebaue brauchen eine permanente Grundwasserabsenkung, und wenn im Fall von starkem Regen oder Hochwasser große Wassermengen in den Tagebau reinlaufen, dann müssen die wieder weg, damit die Böschung nicht kollabiert, sondern sicher bleibt.
Also stimmen die Behauptungen?
Nein, sie sind abwegig. Denn an der Erft gibt es schon seit den 1960er Jahren eine Überleitung von Erftwasser durch einen Stollen über den Kölner Randkanal zum Rhein, den so genannten Ville-Stollen. Diese Überleitung wird im Hochwasserfall aktiviert.
Was dann auch geschehen ist?
Ja, die RWE hat die Pflicht, im Hochwasserfall bei Kerpen mindestens so viel Wasser aus der Erft in den Rhein zu pumpen, wie sie weiter unten in die Erft einleitet. Der Ville-Stollen wurde extra dafür angelegt, erst kürzlich ertüchtigt und nun auch genau dazu eingesetzt.
Die RWE hat also so viel Wasser aus der Erft rausgenommen, wie sie reingepumpt hat?
Im jetzigen Fall war es sogar so, dass RWE rüberpumpt, was sie rüberpumpen kann, und damit sogar überkompensiert. Und selbst wenn, hätte RWE das Hochwasser nicht verstärkt, weil es dort, wo sie es einleiten, gar kein Hochwasser gab. Es ist weiter oben durch verschiedene Maßnahmen und Ereignisse sozusagen abgedämpft worden. Es gibt also zumindest dieses Mal keinen Grund, RWE auf die Anklagebank zu setzen.
Hätte man Tagebaue als Zwischenspeicher für Flutwasser nutzen können?
Nein, das geht nicht. Man kann nicht Wasser wild die steilen Böschungen eines Tagebaus runterlaufen lassen. Das ist ja die höchste Gefahr. Erst wenn Tagebaue aufgegeben werden, werden die Böschungen als Restseemulden sehr viel flacher gemacht als zuvor beim Abbau. Das wird etwa im Tagebau Hambach so gemacht, wo seit ein paar Jahren kaum noch Kohle herausgeholt wird. Dort werden hauptsächlich flachere Böschungen modelliert, damit man später das Wasser einleiten kann.
Mancher Klimaschützer wünscht sich wahrscheinlich, dass Tagebaue sehr schnell zu Seen werden …
Es wäre völlig abwegig, Wasser in aktive Tagebaue zu leiten. Da stehen auch Großbagger und die so genannten Absetzer, die können Sie ja nicht einfach absaufen lassen. Das sind Hirngespinste.
Sie sagten, das Erft-Hochwasser sei abgedämpft worden. Wodurch?
Die Schutzgebiete Kerpener Bruch und Parrig haben viel Wasser aufgenommen. Wir haben zudem ein Regenrückhaltebecken in der Nähe von Kerpen-Mödrath, das zum Einsatz kam, und wir haben eine riesige Ausdehnungsfläche, die ja viel Wasser aufgenommen, aber auch zu den Problemen (wie dem Volllaufen der Sandgrube in Erftstadt-Blessem, Anm. d. Red.) geführt hat. Diese Überschwemmungen oberhalb halfen den Ortschaften weiter unten, den Unterliegern. Das ist zwar makaber, aber es ist so.
Man kann also froh sein, dass es diese Schutzgebiete gibt?
Ja. Durch die große Grundwasserabsenkung für den Tagebau ist der Wasserspiegel in diesem Gebiet sehr niedrig, und deshalb gibt es viel Kapazität. Aber natürlich wird sich das ändern, wenn der Einfluss der RWE zurückgeht. Gegen Ende des Jahrhunderts wird auch die Grundwasserabsenkung dort vorbei sein. Deshalb haben wir ja weiter unten entsprechende Becken zum Hochwasserschutz gebaut. Die können wir theoretisch noch erweitern und höher machen.
»Das Problem ist, dass Hochwasser überraschend schnell aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwinden«
Bernd Bucher
Müssen künftig natürliche Ausdehnungsflächen eine noch größere Rolle spielen, Stichwort Renaturierung?
Natürliche Ausdehnungsflächen für Wasser sind sicher ein wichtiger Beitrag zum Hochwasserschutz. Wir wollen ja insgesamt Gewässer renaturieren, ihnen mehr Platz geben. Aber man sollte sich keine Illusionen über die Effekte machen. Wir haben ja heute auch Siedlungen und Infrastruktur in den Auen, die kriegt man ja nicht einfach wieder raus. Darum wird man alles brauchen. Ein Rückhaltebecken hat etwa den Vorteil, dass man es steuern kann und sagen, jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um aufzumachen und Wasser abzulassen.
Sie stehen vor riesigen Aufgaben, einer ähnlichen Katastrophe vorzubeugen.
Ja, aber das Problem ist, dass Hochwasser überraschend schnell aus dem Gedächtnis der Öffentlichkeit verschwinden. Das ist zumindest unsere Erfahrung. Dann nehmen die Menschen nur noch hässliche Dämme und Bauwerke in der Landschaft wahr, und es kann sein, dass sich Genehmigungsverfahren sehr lange hinziehen und es sehr mühsam wird, Hochwasserschutz umzusetzen.
Bietet der Kohleausstieg insgesamt mehr Chancen oder mehr Risiken für den Hochwasserschutz in Ihrer Region?
Mehr Chancen, denn man hat nicht mehr die Zwänge wie das Sümpfungswasser zum Beispiel. Der Kohleausstieg schafft einen gemeinsamen Willen und zudem Druck im Kessel, um solche Pläne auch umzusetzen. Wir wollen vor allem unsere Erft renaturieren. Wir bauen sie ja bereits zurück und geben ihr mehr Raum. Wir möchten die Erftaue nutzen, um die Region naturnäher und attraktiver zu machen. Das kann die Region gut gebrauchen.
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