Höhlenforschung: Spezialisten der Unterwelt
Der Abstieg in die Unterwelt ist ihre Leidenschaft – viele Meter bis zu Kilometer Strecke in natürlicher Dunkelheit in die Hohlräume der Erdkruste vorzudringen. Nicht umsonst bildet eine Karbidlampe das Logo des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher (VdHK). Die Öffentlichkeit nimmt davon kaum etwas wahr, denn die Arbeit der Höhlenforscher oder "Speläologen" (von lateinisch "Spelaeum" für "Höhle" oder "Spelunca" für "Grotte") findet wortwörtlich im Verborgenen statt.
"Einmal ist es natürlich die Schönheit der Welt unter Tage"
Stefan Zaenker
Was treibt Menschen dazu, nicht bloß so genannte Schauhöhlen als Touristen zu besuchen, sondern sich als Wissenschaftler in die Tiefen der Kruste unseres Planeten hinabzubegeben? "Einmal ist es natürlich die Schönheit der Welt unter Tage", sagt Stefan Zaenker vom Landesverband für Höhlen- und Karstforschung Hessen e. V., der in Fulda ansässig ist: "Man robbt eine scheinbar ewig lange Zeit durch ein dunkles Loch und kommt dann plötzlich in einen Raum, wo herrliche Tropfsteine hängen, die noch ganz weiß, weil unberührt sind. Dann ist natürlich für uns auch ganz wichtig, Unbekanntes zu entdecken, wie zum Beispiel spezielle Lebewesen."
Ein ganz besonderer Lebensraum
Denn Höhlen sind nicht nur eine Welt aus Gestein und Wasser: Knapp 750 Arten umfasst die gerade erstellte Liste der Höhlentiere in Deutschland – also jener, die nicht zufällig durch Hineinfallen in die dunklen Tiefen geraten sind. Neben Höhlengästen wie Fledermäusen gibt es auch echte Höhlenspezialisten, die ihr ganzes Leben dort verbringen. Viele dieser Tiere sind sehr hell oder gar weiß: Farbpigmente werden mangels UV-Strahlung nicht gebildet. Auch der Sehsinn ist meist unterentwickelt, dafür haben die Höhlenbewohner meist einen guten Geruchs- und Tastsinn.
Für Zaenker zählt noch ein weiterer Punkt: Schließlich sei es erholsam, auf diese Weise auch einmal dem Alltag zu entfliehen. "Unter der Erde ist es halt ruhig; und wenn man das Licht einmal ausmacht, dann hört man das Tropfen des Wassers von irgendwelche Tropfsteinen herab – sonst nichts."
Höhlenforschung ist interdisziplinär
Deutschland ist ein höhlenreiches Land. Rund 11 000 Höhlen sind katastermäßig erfasst. Doch trotz dieses Fundus: Den Beruf des Höhlenforschers gibt es nicht, und er kann auch nicht studiert werden. Das hat zwei Gründe, erklärt der Fachmann: "Höhlenforschung ist eine interdisziplinäre Wissenschaft, die viele Teilbereiche zusammenführt. Das sind zum Beispiel Archäologie, Biologie, Geografie, Geologie, Hydrologie, Klimatologie oder Paläontologie. Unter all diesen Aspekten werden Höhlen erforscht. Aber auch technische Gebiete spielen hier hinein, wie Vermessungstechnik oder Klettertechnik und sogar die Tauchtechnik."
Der andere Grund liegt in der Finanzierung: Es gebe niemanden, der so etwas bezahlen würde, so Zaenker – und wahrscheinlich auch nicht könnte, weil viel Zeit, vor allem viel Freizeit, in dieser Profession stecke. Höhlenforschung in Deutschland ist rein ehrenamtlich, ausgeübt von den Mitgliedsvereinen des VdHK.
Was Höhlenforschung leisten kann, zeigt sich am Beispiel der Tropfsteinhöhlen. Tropfsteine (Speläotheme) sind wie das Eis der Pole und Gebirgsgletscher, Baumringe oder Warven (Sedimentablagerungen eines Sees oder Meeres) ein hervorragendes Klimaarchiv. Sie können exakt datiert werden und speichern in ihrer Isotopenzusammensetzung von Sauerstoff und Kohlenstoff Informationen mit sehr guter Auflösung über den Niederschlag und die durchschnittliche Temperatur (Sinterchronologie). So wissen Forscher inzwischen, dass das Höhlenklima gar nicht so konstant ist, wie allgemein vermutet wird.
Spezialausbildung und -ausrüstung sind ein Muss
Die deutsche Definition von Höhlen als "ein mindestens fünf Meter langer, von Menschen begehbarer Hohlraum, der natürlich entstanden und von festem Gestein umgeben ist" lässt nur erahnen, welche ausgedehnten Systeme sich dahinter verbergen von Gängen, Schluchten, ja sogar Wasserläufen und Seen, die sich sogar kilometerweit hinziehen können. So beträgt die Ganglänge der Riesending-Schachthöhle – deshalb so genannt, weil man senkrecht in sie einsteigen und auch in dieser Richtung oft durchqueren muss – 19,2 Kilometer und die Tiefe 1148 Meter. Sie ist damit die derzeit längste und tiefste bekannte Höhle hier zu Lande.
Wer Höhlen erforschen will, braucht unbedingt eine von den Vereinen durchgeführte Spezialausbildung: "Hier lernt der Anwärter zum Beispiel den Gebrauch der Spezialausrüstung. Dazu gehört der Helm gegen Steinschlag, an dem die Stirnlampe befestigt ist. Die auf dem Verbandslogo abgebildete Karbidlampe verwenden wir aus Umweltschutzgründen nicht mehr. Stattdessen haben wir LED-Leuchten, deren Technik inzwischen so gut ist, dass man wirklich große Hallen damit ausleuchten kann. Und davon hat man mindestens zwei, so dass, wenn eine ausfällt, man auf die andere umschalten kann", betont Zaenker.
Nicht weniger wichtig, ja überlebenswichtig, ist eine reißfeste, wasserdichte und wärmende Spezialkleidung in Form eines Overalls, "Schlaz" genannt. Für Wasserhöhlen sind Neoprenanzüge und eine Taucherausrüstung notwendig, ihr gefrorenes Pendant, die Eishöhlen, werden mit Thermoanzügen, Steigeisen und Eisschrauben erkundet. Dass unbedingt ausreichend Proviant und Erste-Hilfe-Material mitgeführt werden muss, versteht sich von selbst. Doch anders als bei den Bergsteigern im Rucksack, wird es in so genannten Schleifsäcken transportiert, ein besonders strapazierfähiger Rucksack, den man in Engstellen "nachschleifen" kann.
Und dann sind da noch die verschiedenen Kletter- und Steighilfen. Wurden bis in die 1970er Jahre Schächte wie die in der Riesending-Höhle mit Hilfe von Drahtseilleitern bewältigt, geschieht das heute mit dem Höhlensitzgurt, Brustgurt, Sicherungsset, verschiedenen Steigklemmen und selbst blockierenden Abseilgeräten oder "Racks". Mit ihnen können Schachtstrecken sicher, rasch und Kraft sparend hinunter bewältigt werden.
Trotzdem hat wie bei den Alpinisten das Seil seine Bedeutung nicht verloren, aber – so Zaenker: "Anders als die Bergsteiger benutzen wir in der Höhlenforschung so genannte statische Seile; denn bei uns kommt immer der Dreck dazu, ebenso das Wasser. Bergsteigerseile würden sich dann einfach ausdehnen, die statischen Seile nicht."
Nicht die Orientierung verlieren
Alpinistische Qualifikationen sind also von Vorteil, wenn man Höhlenforscher werden will. "Man darf natürlich keine Klaustrophobie haben und muss vor allem körperlich fit sein", betont Zaenker. "Man sah jetzt auch an der Berichterstattung, was man können muss: zum Beispiel eine Leiter in Schächte hinunterklettern, man muss durch Engstellen – Schlufe heißt das bei uns – kriechen können." Nicht zuletzt sind zahlreiche Sicherheitsmaßnahmen das A und O, sagt Zaenker. "So muss man draußen immer irgendjemandem Bescheid sagen, in welcher Höhle man ist, und wie lange man vorhat, drin zu bleiben."
"Man darf natürlich keine Klaustrophobie haben und muss vor allem körperlich fit sein"
Stefan Zaenker
Ist man drin und hat nach dem Zwängen durch enge Tunnel eine faszinierende Halle entdeckt, sollte man, bevor man zu staunen beginnt, eines nicht vergessen, warnt der Höhlenforscher: "Zurückschauen und sich fragen, aus welcher Engstelle man in den großen Raum hineingekommen ist, damit man den Rückweg wieder findet. Denn das ist eigentlich die größte Gefahr: dass man sich von der Höhle so beeindrucken lässt und überhaupt nicht mehr darauf achtet, wie man zurückkommt!"
Wichtig sei ferner, dass man zumindest zu dritt in eine Höhle geht, damit im Notfall einer bei dem Verletzten bleibt und einer Hilfe holen kann. Handy und GPS funktionieren im Innern der Erde nicht. "Man kann zwar, wie jetzt geschehen, SMS senden, aber das ist ein sehr aufwändiges technisches und teures Verfahren."
Gefahren sind nicht zu unterschätzen
Und so ist auch das Risiko entsprechend groß: Außer Steinschlag, wie jetzt passiert, gibt es Wassereinbrüche; und auch die medizinischen Gefahren sind nicht zu unterschätzen: "Man denke da nur an den Fuchsbandwurm; denn Höhlen werden natürlich auch von Füchsen genutzt; und wenn wir da durchrobben, ist natürlich das Risiko, dass wir so etwas einatmen, nicht gerade klein."
Dieser immer wieder aufgefrischten Spezialausbildung ist es zu verdanken, dass Unglücksfälle wie der in der Riesending-Schachthöhle bei den organisierten Höhlenforschern die bisher berühmte Ausnahme von der Regel geblieben sind, betont Stefan Zaenker: "Meiner Meinung nach ist die Gefahr größer gewesen, dass ein Höhlenforscher mit Auto auf dem Weg zu dieser Schachthöhle verunglückt, als in der Höhle selbst."
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.