Baustoff: Holz in die Hütten
Glaubt man Politikern, dann ist die Lösung für die Wohnungsnot in Deutschlands Großstädten angeblich ganz einfach: Es muss mehr gebaut werden. Die Folgen dieser Politik lassen sich jedenfalls von München bis Hamburg beobachten: Neue Stadtteile entstehen, Gebäude werden hochgezogen, die Baubranche kann sich vor Aufträgen kaum retten. Und so wachsen die Städte derzeit weiter in die Höhe, wuchern ins Umland, schlucken Wälder und Felder, damit die Menschen ein einigermaßen bezahlbares Zuhause finden.
Es gibt allerdings einen klaren Verlierer dieses Baubooms: das Klima. Denn nach wie vor werden diese neuen Häuser hauptsächlich aus Stahl, Stein und Beton errichtet, was enorme Mengen Kohlendioxid freisetzt. Allein die Herstellung von Zement ist weltweit für acht Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Das entspricht in etwa der Hälfte dessen, was die Vereinigten Staaten in die Luft blasen. Zudem landen viele Baumaterialien am Ende auf dem Müll.
Glaubt man Wissenschaftlern, dann ist aber auch dieses Problems ebenfalls ganz einfach zu lösen. Und zwar mit Holz. Mit Holz? Aber natürlich. Das klingt zunächst ungewöhnlich, denn die meisten denken beim Stichwort Holzhaus an heimelige Chalets in den Alpen oder an rote Blockhütten in Kanada. Allerdings haben moderne Holzhäuser mit den Klischeevorstellungen von früher nichts mehr zu tun. Von außen sind sie von gewöhnlichen Bauten aus Stahl und Beton ohnehin nicht mehr zu unterscheiden, ihren wahren Kern sieht man ihnen meist nicht an.
Holzhäuser für Klimaziel
Klimaforscher interessieren sich überwiegend für das, was in ihnen steckt. Die verbauten Hölzer seien veritable CO2-Speicher, sie könnten für das Erreichen der Klimaziele enorm helfen, sagen sie. Und das gleich doppelt: Denn zum einen ließen sich dadurch klimaschädliche Treibhausgase von Beton- und Stahlbauten verhindern, und zum anderen könnte der Atmosphäre jene Mengen an Kohlendioxid aktiv entzogen werden, das die Bäume jahrzehntelang in sich speicherten. Zudem ist der Baustoff nachwachsend – und recyclingfähig. Es gibt aber eine Bedingung: Die Hölzer müssen aus nachhaltig bewirtschafteten Wäldern geschlagen werden – und bestenfalls zertifiziert sein, wie das Umweltbundesamt empfiehlt.
Forstwissenschaftler aus Yale rechneten jedenfalls vor vier Jahren vor, dass ein Umstieg auf Holz in der Baubranche die globalen Emissionen um 14 bis 31 Prozent drücken könnte. Das wäre ein großer Schritt, um das scheinbar ferne 1,5-Grad-Ziel doch noch zu erreichen. Als die Wissenschaftler diesen Vorschlag damals unterbreiteten, wurden sie von Politikern, Stadtplanern und Architekten müde belächelt. Doch auch diese Sichtweise hat sich mittlerweile geändert. Denn die Baubranche stehe gerade vor nichts weniger als einer Revolution, behaupten Architekten und Klimaforscher unisono. Behalten sie Recht, dann wäre der Umstieg von Beton, Stahl und Ziegelstein auf Holz allerdings eher eine veritable Renaissance. Und das hat nicht nur mit dem Klimawandel zu tun, sondern mit dem Werkstoff selbst.
Denn seit Menschen Häuser bauen, errichten sie diese aus Holz. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war Holz das mit Abstand wichtigste Baumaterial. Der alte Werkstoff garantiert höchste Tragfähigkeit, ist stabil und gleichzeitig elastisch, vergleichsweise leicht, fast überall verfügbar und isoliert prächtig. Allein diese Eigenschaften machen die Holzbauweise immer begehrter, weil damit bestehende Gebäude etwa in Innenstädten einfach aufgestockt werden können, ohne ihre Statik zu verlieren. Und dennoch hält sich ein Vorurteil über die Holzbauweise bis heute hartnäckig: dass solche Häuser leicht entflammbar wären und ein Brand wilde Feuerstürme in verdichteten Städten auslösen könnte.
Wer sich mit Tom Kaden darüber unterhält, der bekommt eine Ahnung davon, wie schwer es nach wie vor ist, die alten Denkweisen zu durchbrechen. »Holz ist immer noch mit großen Vorurteilen verbunden«, sagt der Berliner Architekt. Dazu zählt er den seiner Meinung nach übertriebenen Brandschutz, aber auch das überholte Image: »Der Holzbau war lange in der Ökonische, doch das hat sich geändert.« Ihm ist es wichtig, den Werkstoff zu entideologisieren, und er legt Wert auf die Feststellung, selbst kein Ideologe zu sein. Die Holzbauweise sei etwas, das nicht nur in die Alpen oder aufs Land gehöre, sondern auch in die Städte.
Kaden ist ein Pionier, er baut gegen die Zeit an, wie erstmals vor zehn Jahren in Berlin. Damals entstand im Stadtviertel Prenzlauer Berg das E3, das erste mehrgeschossige Holzhaus Deutschlands. Der Bau ist 25 Meter hoch und hat sieben Stockwerke, rein äußerlich sieht man ihm seinen Holzkern nicht an. Es ist ein Haus, das es nach Berliner Bauordnung eigentlich nicht geben dürfte.
Denn nach wie vor benötigen Architekten in Deutschland eine Ausnahmegenehmigung, wenn sie ein mehrgeschossiges Holzhaus mit mehr als fünf Etagen errichten wollen. Die Angst vor den Feuerstürmen der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte hat in den Landesbauordnungen überdauert. In Berlin musste Kaden vor zehn Jahren hohe Brandschutzauflagen erfüllen, ehe die Bauarbeiten beginnen durften. Dazu gehörte ein offenes Treppenhaus aus Beton, das vom eigentlichen Holzgebäude getrennt wurde.
Die Angst vor dem Brand
Mittlerweile sind viele Auflagen gelockert, aber nach Ansicht der Architekten immer noch übertrieben hoch. Wer höher als 22 Meter hinaus will, muss in den meisten Bundesländern noch immer etliche Hürden überwinden, ehe man mit dem Spatenstich beginnen kann. Ausnahmen hiervon bilden Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin, die ihre Bauordnungen mittlerweile novelliert haben. Dies aus gutem Grund: Denn massive Holzbalken lassen sich nicht so leicht entzünden und brennen im Gegensatz zu mit Kunststoff verschaltem Stahlbeton wenigstens kontrolliert ab, zudem entwickeln sie keine giftigen Dämpfe. »Ein Feuerwehrmann geht lieber in ein brennendes Holzhaus als in ein Haus mit herkömmlichen Baustoffen hinein«, drückt es Kaden aus. 60 bis 90 Minuten müssen Wände, Decken, Stützen und Treppen einem Brand standhalten, je nach Anforderung des Bundeslands.
Der Berliner Pionierbau hat also etwas verändert. Ob bei den Betonköpfen in den Behörden oder bei den Architekten – die Renaissance des Baumaterials Holz ist im Gang. »Holz ist geradezu prädestiniert, um Gebäude aufzustocken und damit die Nachverdichtung in den Städten voranzutreiben«, sagt Kaden. »Wenn es die Politik ernst meinen würde, würde es andere politische Maßnahmen in der Baubranche geben«, betont er, denn Holz sei den meisten Baustoffen einfach überlegen. Dennoch ist der Trend nur ein Anfang. Denn nach wie vor ist der Anteil der mehrgeschossigen Holzhäuser mit mehr als drei Wohneinheiten in Deutschland marginal, er liegt nach Angaben des Berliner Branchenverbands Informationsdienst Holz bei nur 3,7 Prozent, bei fünfgeschossigen Gebäuden sogar noch niedriger (1,7 Prozent). Dabei setzt traditionell der Süden mehr auf Holz als der Norden des Landes.
Deren Vorsitzender Jörg Bühler sieht immer noch etliche Hürden, die überwunden werden müssen, um Holzbauweise in Deutschland richtig zu etablieren. Viele Bauherren hätten klare Vorstellungen ihres Neubaus: »Ein Haus muss massiv sein, da gehört Stein auf Stein«, hört er immer wieder. Zudem würden sie bei einem Holzhaus an anfällige Leichtbauten aus Amerika denken, die schon beim kleinsten Windstoß auseinanderfallen. Aber diese Vorstellung sei eben vor allem eines: falsch.
Holzhäuser trotzen Orkanen und können 1000 Meter hoch sein
Skeptischen Bauherren erklärt Bühler dann gerne, dass Holzhäuser ebenfalls massiv seien, dass sie Orkanen trotzen, möglichen Erdbeben standhalten (besser als manches Stein- oder Betonhaus), im Einfamilienhaus zehn Prozent mehr Platz bieten und chemische Holzschutzmittel längst der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig muss er aber auch zugeben, dass manche Landesbehörden immer noch hohe Auflagen verlangen und die Gesamtstruktur des Holzbaus in Deutschland außerordentlich kleinteilig aufgestellt sei.
Trotzdem herrscht derzeit ein veritabler Höhenrausch; ein Wettbewerb um das höchste Holzhaus schafft Träume aus Holz. Seit 2011 steht im oberbayerischen Bad Aibling ein 25 Meter hohes Holzhaus, etwa doppelt so hoch ragt im norwegischen Bergen das »Treet« in den Himmel. Noch höher ist derzeit weltweit nur das Studentenwohnheim UBC Brock Commons in Vancouver, mit 53 Metern. Anfang des kommenden Jahres wird es durch das HoHo in Wien abgelöst, jenem Holzhochhaus mit 24 Stockwerken und 84 Meter Höhe.
Für wie lange, ist unklar. Denn schon stoßen Architekten in noch höhere Dimensionen vor. Bald sollen sogar Wolkenkratzer aus Holz entstehen. 300 Meter soll der Oakwood Timber Tower in London in den Himmel wachsen, in Chicago könnte der River Beech Tower eines Tages 244 Meter erreichen. Beide Projekte sind geplant, ob sie allerdings wirklich realisiert werden, ist unklar. Die Grenze solcher Holzbauten liegt nach Ansicht von Bauphysikern theoretisch bei 1000 Metern.
Höchstes deutsches Holzhaus entsteht in Heilbronn
So hoch will Tim Kaden nicht hinaus. Es geht ihm nicht um eine Rekordhatz im Holzhochhausbau, sondern um die Etablierung eines Baustoffs. Sein Architekturbüro zählt zu den größten Planern von Holzbauten im Land, in Heilbronn wird gerade ein von ihm entworfenes Hochhaus aus Holz errichtet. Das Skaio am Neckarbogen wächst 34 Meter in die Höhe, im Oktober 2018 wurde Richtfest gefeiert, bei der BUGA 2019 zählt es als Leuchtturmprojekt. Das Gebäude wird mit zehn Geschossen vorläufig das höchste Holzhaus in Deutschland sein. Das tragende Skelett des Baus ist aus Massivholz, Treppenhaus und Aufzugsschacht hingegen bestehen aus Stahlbeton – der Brandschutzauflagen wegen.
Ein reines Holzhaus ist in Heilbronn also nicht entstanden, sondern ein so genanntes Hybridhaus. Das bedeutet, dass auch andere Materialien verwendet werden, darunter eben Stahlbeton, aber auch Gipsplatten für die Verkleidung. Trotz anderer Baustoffe ist ein Hybridhaus aber hauptsächlich aus Holz gefertigt.
Bei Holzhochhäusern reichen einfache Bretter für die Tragfähigkeit des mehrgeschossigen Gebäudes nicht mehr aus. Stützen werden deshalb meist aus Brettschichtholz gefertigt, sie werden auch Leimbinder oder Leimholz genannt. Bei der Technik werden mehrere Bretter in gleicher Faserrichtung gestapelt und verleimt. Dazu werden Massivhölzer verwendet, hier zu Lande bestehen sie meist aus Fichte oder Douglasie. Moderne Hölzer haben mit den ursprünglichen Hölzern aus dem Wald nicht mehr viel zu tun. Sie sind längst ein Industrieprodukt. Dazu gehört auch das so genannte Brettsperrholz, auch Kreuzlagenholz genannt, das bei der Tafelbauweise niedriggeschossiger Bauten zum Einsatz kommt. Dazu werden im Werk mehrere Bretter kreuzweise gestapelt und miteinander verleimt. Brettsperrhölzer kommen vor allem als Wand-, Decken- oder Dachplatten zum Einsatz.
Steckbauprinzip mit Hightech-Hölzern
Diese Hightech-Hölzer werden aber nicht erst auf der Baustelle hergestellt, sondern schon in speziellen Werken vorgefertigt. Maßgeschneidert werden so die einzelnen Stützen, Träger, Decken und Wände schon an der Baustelle angeliefert und müssen nur noch zusammengesetzt werden. Diese modulare Bauweise spart Ressourcen, Zeit und schont die Nerven der Anwohner. Denn dank dieser Fertigung – einer Art Steckbauprinzip – werden Präzision und Ausführungsqualität gesteigert und mögliche Konstruktionsfehler reduziert.
Kein Handwerker muss also mehr bei Kälte oder Sturm Maßarbeit leisten, das übernehmen die Hightech-Maschinen in der Fabrik, wie etwa im Schweizerischen Dübendorf, wo Roboter sogar schon ein ganzes Haus fertiggestellt haben. Zudem ist ein Bau deutlich schneller fertig – was in verdichteten Großstädten die Akzeptanz der Anwohner erhöht und Geld spart. Es ist insofern kein Zufall, dass viele Flüchtlingsunterkünfte aus Holz gebaut wurden. Am Ende könnte dieser Zeitvorteil jedenfalls die sonst etwas teurere Holzbauweise wieder ausgleichen. Denn eigentlich kostet ein Holzhaus 6 bis 15 Prozent mehr als ein herkömmlicher Bau.
Ist Holz also die Zukunft? Ganz so schnell wird es nicht gehen. Das wiederum liegt weniger am etwas höheren Preis, sondern an verkrusteten Vorstellungen, mächtigen Beton- und Bauunternehmen, rückständigen Politikern und einer im Vergleich dazu heterogenen wie kleinteiligen Holzbranche, die sich gerade erst richtig findet und erfindet. Und die noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss.
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