Ausbreitung des modernen Menschen : Homo sapiens besiedelte Europa um Jahrtausende früher
Vor etwa 40 000 Jahren, zu Beginn der jüngeren Altsteinzeit, wanderte der moderne Mensch vom Nahen Osten nach Europa ein – so der bisherige Forschungsstand. Wie aber neueste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, traf Homo sapiens schon einige Jahrtausende früher in Süd- und Westeuropa ein und breitete sich zudem rasch auf dem gesamten Kontinent aus – dort wo bis dahin nur der Neandertaler gesiedelt hatte.
Den Anstoss für die Neudatierung gaben Überreste von Muscheln, Steinwerkzeugen und die Bruchstücke zweier Milchzähne, die Archäologen bereits 1964 in der süditalienischen Grotta del Cavallo entdeckt hatten. Sie wiesen die Funde der so genannten Uluzzien-Kultur des Neandertalers zu, die bislang auch als Belege für die fortgeschrittenen kognitiven Fähigkeiten des Homo neanderthalensis galten. So habe er Muschelschmuck und ausgereifte Steingeräte gefertigt, wozu in dieser Zeit nur der moderne Mensche in der Lage gewesen sei.
Überdies gelang es den Forschern, die Zähne – über Umwege – zeitlich genauer einzuordnen. Da diese nicht ausreichend Material für eine Radiokohlenstoffdatierung enthielten, bestimmte Katerina Douka von der University of Oxford das Alter der Muschelreste, die in derselben archäologischen Schicht wie die Zahnfragmente geborgen wurden. Ihrer Untersuchung zufolge sind die Milchzähne zirka 43 000 bis 45 000 Jahre alt! "Der moderne Homo sapiens war offensichtlich schon vor dem Beginn der jüngeren Altsteinzeit in das von Neandertalern besiedelte Europa eingewandert", folgert Ottmar Kullmer vom Forschungsinstitut Senckenberg. Damit entfällt auch die These, der Neandertaler hätte zu diesem Zeitpunkt bereits dem modernen Menschen ähnliche Verhaltensweisen entwickelt.
Doch konnten die Wissenschaftler das Alter anhand von Tierknochen ermitteln, die sich in den archäologischen Schichten über- und unterhalb des Kieferfragments fanden. Einmal mehr verblüffte das Resultat – der Kiefer ist zwischen 41 000 und 44 000 Jahre alt. "Dieses Stück Kieferknochen ist der früheste direkte Beweis für den modernen Menschen in Nordwesteuropa – an der äußersten Grenze der ersten Ausbreitungswelle unserer Spezies", so Tom Higham. Die Forscher räumen jedoch ein, dass zwar 13 von 23 Merkmalen der Zähne sowie des Kiefers denen des modernen Menschen entsprechen, drei Charakteristika indes zum Neandertaler passen. Die übrigen seien nicht eindeutig zuzuordnen.
Laut Katerina Harvati lassen die neuen Ergebnisse auf ein anderes Szenario der Besiedlung Europas schließen: "Unter Berücksichtigung der Resultate von Tom Higham denke ich, dass sich der moderne Mensch entlang verschiedener Wege nach Europa ausbreitete – und das ziemlich zügig, wobei eine der frühen Routen wahrscheinlich an der Mittelmeerküste verlief."
Auch für das Rätsel um die Entstehung der frühesten Kunstwerke der Menschheit, die Archäologen 2008 in Höhlen der Schwäbischen Alb entdeckt hatten, ist man wohl einer Aufklärung näher gekommen. Meinten Forscher bisher, Homo sapiens habe relativ plötzlich nach Eintreffen in Europa vor bis zu 40 000 Jahren, Figurinen von Mensch und Tier geschnitzt, so legen die neuen Untersuchungen nahe, dass er die künstlerischen Fähigkeiten über eine längere Zeitspanne hinweg entwickelte.
Daniel Koch
Nature 479, 2011, doi:10.1038/nature10617
Nature 479, 2011, doi:10.1038/nature10484
Den Anstoss für die Neudatierung gaben Überreste von Muscheln, Steinwerkzeugen und die Bruchstücke zweier Milchzähne, die Archäologen bereits 1964 in der süditalienischen Grotta del Cavallo entdeckt hatten. Sie wiesen die Funde der so genannten Uluzzien-Kultur des Neandertalers zu, die bislang auch als Belege für die fortgeschrittenen kognitiven Fähigkeiten des Homo neanderthalensis galten. So habe er Muschelschmuck und ausgereifte Steingeräte gefertigt, wozu in dieser Zeit nur der moderne Mensche in der Lage gewesen sei.
Starke Zweifel an dieser These meldeten nun Forscher um den Anthropologen Stefano Benazzi von der Universität Wien an. Zusammen mit Wissenschaftlern der Universitäten Tübingen und Oxford sowie des Forschungsinstituts Senckenberg in Frankfurt am Main erstellten sie ein dreidimensionales Computermodell der beiden Milchzähne. Anschließend verglichen die Anthropologen Merkmale wie Zahnschmelzdicke oder Umrissform der Krone mit den Zahneigenschaften moderner Menschen sowie der Neandertaler – und kamen zu einem überraschenden Ergebnis: "Unsere Analyse zeigt eindeutig, dass die Zahnüberreste von einem modernen Menschen stammen – deshalb muss die Uluzzien-Kultur Homo sapiens, nicht dem Neandertaler zugeordnet werden", erklärt Katerina Harvati von der Universität Tübingen.
Überdies gelang es den Forschern, die Zähne – über Umwege – zeitlich genauer einzuordnen. Da diese nicht ausreichend Material für eine Radiokohlenstoffdatierung enthielten, bestimmte Katerina Douka von der University of Oxford das Alter der Muschelreste, die in derselben archäologischen Schicht wie die Zahnfragmente geborgen wurden. Ihrer Untersuchung zufolge sind die Milchzähne zirka 43 000 bis 45 000 Jahre alt! "Der moderne Homo sapiens war offensichtlich schon vor dem Beginn der jüngeren Altsteinzeit in das von Neandertalern besiedelte Europa eingewandert", folgert Ottmar Kullmer vom Forschungsinstitut Senckenberg. Damit entfällt auch die These, der Neandertaler hätte zu diesem Zeitpunkt bereits dem modernen Menschen ähnliche Verhaltensweisen entwickelt.
Überraschend finden diese Ergebnisse nun auch Zustimmung von Seiten britischer Forscher. Objekt ihrer Untersuchung war das Fragment eines Oberkiefers mit drei Zähnen, das in der Höhle Kents Cavern beim englischen Torquay zum Vorschein kam. Bereits 1989 hatten Wissenschaftler die Zähne dem modernen Menschen zugeschrieben und das Alter mit Hilfe einer C-14-Datierung auf etwa 35 000 Jahre bestimmt. Jüngst stellte eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Archäologen Tom Higham von der University of Oxford und Chris Stringer vom Natural History Museum in London die Datierung jedoch in Frage: Das Knochenstück war zu Konservierungszwecken mit Leim bestrichen – und somit kontaminiert worden. Eine naturwissenschaftliche Datierung sei ausgeschlossen.
Doch konnten die Wissenschaftler das Alter anhand von Tierknochen ermitteln, die sich in den archäologischen Schichten über- und unterhalb des Kieferfragments fanden. Einmal mehr verblüffte das Resultat – der Kiefer ist zwischen 41 000 und 44 000 Jahre alt. "Dieses Stück Kieferknochen ist der früheste direkte Beweis für den modernen Menschen in Nordwesteuropa – an der äußersten Grenze der ersten Ausbreitungswelle unserer Spezies", so Tom Higham. Die Forscher räumen jedoch ein, dass zwar 13 von 23 Merkmalen der Zähne sowie des Kiefers denen des modernen Menschen entsprechen, drei Charakteristika indes zum Neandertaler passen. Die übrigen seien nicht eindeutig zuzuordnen.
Laut Katerina Harvati lassen die neuen Ergebnisse auf ein anderes Szenario der Besiedlung Europas schließen: "Unter Berücksichtigung der Resultate von Tom Higham denke ich, dass sich der moderne Mensch entlang verschiedener Wege nach Europa ausbreitete – und das ziemlich zügig, wobei eine der frühen Routen wahrscheinlich an der Mittelmeerküste verlief."
Auch für das Rätsel um die Entstehung der frühesten Kunstwerke der Menschheit, die Archäologen 2008 in Höhlen der Schwäbischen Alb entdeckt hatten, ist man wohl einer Aufklärung näher gekommen. Meinten Forscher bisher, Homo sapiens habe relativ plötzlich nach Eintreffen in Europa vor bis zu 40 000 Jahren, Figurinen von Mensch und Tier geschnitzt, so legen die neuen Untersuchungen nahe, dass er die künstlerischen Fähigkeiten über eine längere Zeitspanne hinweg entwickelte.
Daniel Koch
Nature 479, 2011, doi:10.1038/nature10617
Nature 479, 2011, doi:10.1038/nature10484
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