Wechseljahre: Irrungen und Wirrungen der Hormontherapie
Frauen in den 1990er Jahren hatten es in den Wechseljahren leicht: Bei der ersten Hitzewallung gingen sie zum Frauenarzt und bekamen Hormone verschrieben. Kein Zaudern, kein Zweifeln, sondern die Zuversicht, von nun an gesünder und angenehmer durch diese Lebensphase zu gehen. Hormone versprachen glatte Haut, volles Haar, guten Schlaf, keine Hitzewallungen und ein geringeres Risiko für Herzinfarkt, Alzheimer und Knochenschwund. "Ab 40 haben viele Frauen aktiv danach gefragt", erinnert sich Antje Huster-Sinemillioglu, niedergelassene Frauenärztin in Dortmund und Vorstandsmitglied des Arbeitskreises Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF). Kein Wunder also, dass Hormone damals zu den meistverkauften Medikamenten gehörten.
2002 wendete sich das Blatt radikal. Damals wurden die Ergebnisse der "Women's Health Initiative" (WHI)-Studie bekannt: Die Hormonersatztherapie erhöhe das Risiko für Brustkrebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und Thrombose. So sehr, dass die Studie mit mehr als 16 000 Teilnehmerinnen nach fünf Jahren vorzeitig abgebrochen wurde. Die anschließende öffentliche Diskussion hatte drastische Folgen: Frauen brachen die Therapie ab, die Hormonverschreibungen gingen je nach Land um 50 bis 70 Prozent zurück, die Therapie-Leitlinien für Frauenärzte wurden weltweit geändert.
Nun haben sich gleich zwei der WHI-Autoren zurückgemeldet: Im März erschien im "New England Journal of Medicine" ein Beitrag (PDF), in dem die Autoren beklagen, dass die WHI-Studie falsch interpretiert wurde. Infolgedessen müssten Hundertausende von Frauen während ihrer Wechseljahre unnötig leiden. Viele Frauen erhielten keine angemessene Therapie, obwohl der Nutzen die Risiken wahrscheinlich überwiege.
Gynäkologische Fachgesellschaften begrüßen die Wendung als Richtigstellung. Der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft AKF hingegen warnt in einer aktuellen Stellungnahme davor, die Hormontherapie wieder als Präventionstherapie zu etablieren. Mehr als zehn Jahre nach der WHI-Studie scheint noch immer kein Konsens gefunden, und betroffene Frauen fragen sich einmal mehr: Wem sollen sie vertrauen? Und wie gefährlich ist es wirklich, Hormone in den Wechseljahren einzunehmen?
"Die Wechseljahre sind eine Lebensphase, keine Krankheit"
Antje Huster-Sinemillioglu
Seit den 1970er Jahren mahnen Feministen, die Wechseljahre nicht als Hormonmangelkrankheit zu verstehen. "Die Wechseljahre sind eine Lebensphase, keine Krankheit", sagt auch Huster-Sinemillioglu. Die Menopause, also die letzte Regelblutung, findet durchschnittlich mit etwa 50 Jahren statt. Die Fruchtbarkeit versiegt, weil der Körper nach und nach die Östrogenproduktion einstellt. Sexualhormone steuern aber nicht nur die Fortpflanzung, sondern beeinflussen auch andere Organsysteme. Deswegen kann die Hormonumstellung, die bis zu zehn Jahren dauern kann, unangenehme Begleiterscheinungen mit sich bringen: Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Trockenheit in der Scheide, Haarausfall, Gewichtszunahme, Nervosität und Stimmungsschwankungen.
Symptome des Älterwerdens mischen sich mit denen der Wechseljahre
Als Faustregel gilt allerdings: Ein Drittel der Frauen hat keine, ein Drittel hat erträgliche und das letzte Drittel hat starke Beschwerden. Warum Frauen auf die nachlassende Östrogenproduktion so unterschiedlich reagieren, ist unklar. Ebenso, wo die Grenze liegt zwischen den Symptomen der Hormonumstellung und denen des Älterwerdens. Sicher ist: Die Wechseljahre fallen in eine oft problematische Lebensphase, in der die Eltern gebrechlicher werden, die Kinder ausziehen, die eigene Jugend sich verabschiedet.
"Hormone sind keine Allheilmittel, aber sie reduzieren bestimmte Symptome", erklärt Olaf Ortmann, Direktor der Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe in Regensburg. Zum Beispiel Hitzewallungen: Sie entstehen, weil Östrogene auch das Temperaturregulationszentrum im Gehirn beeinflussen. Nimmt die Hormonkonzentration ab, kann es zu einer Deregulierung kommen: "Der Körper denkt, er hat eine zu hohe Körpertemperatur, und stellt auf Kühlung", erklärt Ortmann. "Auch nachts sind Frauen nicht davor gefeit, was den Schlaf erheblich stören kann. Wer noch mitten im Beruf steht, hat dann ein echtes Problem. Und Hormone helfen nun einmal zuverlässig ", sagt Jutta Schurig, niedergelassene Frauenärztin in Freiburg.
Am effektivsten lassen sich Hitzewallungen mit Hormonen behandeln, so steht es auch in den Leitlinien zur Hormontherapie, die von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) herausgegeben werden. Die Leitlinien dienen als Wegweiser und haben laut AKF "den höchsten wissenschaftlichen Anspruch: Es wird auf Unabhängigkeit von Interessenskonflikten geachtet, es werden möglichst alle Fachgesellschaften und Patientenvertretungen einbezogen, und es wird nur auf Ergebnisse zurückgegriffen, die mit größter Sicherheit belegt werden können." Die Leitlinien werden bis Ende 2016 überarbeitet. "Inhaltlich wird sich nicht viel ändern", so Ortmann, Vorsitzende der zuständigen Kommission, "Sie sollen noch praxistauglicher werden und damit möglichst viele Frauenärzte und Patientinnen erreichen."
Denn die Beratung von Frauen in den Wechseljahren ist komplex: Nicht jede Frau braucht das gleiche Präparat in der gleichen Dosierung für die gleiche Zeit. "Einer Frau mit Übergewicht verschreibe ich andere Hormone als einer mit Akne. Leidet eine Frau an einer trockenen Scheide, reicht oft eine Östrogencreme aus", erklärt Schurig. "Grundsätzlich gilt: Hormone bewirken keine Wunder. Niemand nimmt damit 20 Kilogramm ab und bleibt ewig jung. Aber an den Bedürfnissen der Frau ausgerichtet, bewirken sie eine Verbesserung des Wohlergehens."
Auch Huster-Sinemillioglu verschreibt gelegentlich Hormone: wenn die Patientin ernsthaft beeinträchtigt ist und ihr Risikoprofil es zulässt. "Aber Frauen muss klar sein, was sie da machen: Die Hormontherapie ist keine lebensnotwendige Therapie, keine Frau muss Hormone nehmen."
Geringe, aber vorhandene Steigerung des Krebsrisikos
Denn die Ergebnisse der WHI-Studie lassen sich nicht wegdiskutieren: Wer Hormone nimmt, erhöht sein Risiko für bestimmte Erkrankungen. Die Geister scheiden sich allerdings an der Frage, ob das Risiko vertretbar ist oder nicht. In absoluten Zahlen erlitten innerhalb eines Jahres 7 von 10 000 Frauen zusätzlich einen Herzinfarkt, wenn sie Hormone einnahmen. 8 Frauen mehr erkrankten an Brustkrebs und Schlaganfall, 18 an Thrombose. Um solche Zahlen einordnen zu können, hat eine Expertengruppe der WHO Kategorien definiert, die bei der Interpretation von Risiken helfen sollen: Danach gelten weniger oder gleich 10 Ereignisse pro 10 000 pro Jahr als selten.
Dennoch sprechen Gegner der HT von einem unnötigen hohen Risiko, und das Deutsche Krebsforschungszentrum empfiehlt, auf die Hormontherapie in den Wechseljahren zu verzichten, um das Brustkrebsrisiko nicht weiter zu erhöhen. "Ich würde das etwas differenzierter ausdrücken: Frauen, die keine Beschwerden haben, sollten darauf verzichten", warnt Ortmann. Nach dem Absetzen der Therapie sinkt das Risiko wieder auf den Wert einer Frau, die keine Hormone eingenommen hat. Denn Hormone sind nicht per se Krebs erregend. Vielmehr kurbeln sie das Wachstum bereits vorhandener Krebszellen an.
"Man muss sauber trennen zwischen der Gabe von Hormonen zur Vorbeugung bestimmter Krankheiten – nach heutigem Wissensstand und laut Leitlinie keine Indikation für eine Hormontherapie – und der Gabe von Hormonen bei ausgeprägten Beschwerden in den Wechseljahren", sagt Ortmann. Mit der WHI-Studie habe man prüfen wollen, ob eine solche Therapie Vorteile für die Gesundheit von Frauen nach den Wechseljahren hat. Entsprechend waren die Studienteilnehmerinnen bei Beginn durchschnittlich 63 Jahren alt, hatten ihre Wechseljahre also längst hinter sich. Etwa die Hälfte der Frauen war außerdem mit Risikofaktoren wie Rauchen, Bluthochdruck, Übergewicht oder Diabetes belastet. Die Studie zeigte, dass die Nachteile einer Hormontherapie unter diesen Umständen größer sind als die Vorteile, auch wenn Hormone das Risiko für Osteoporose und Dickdarmkrebs reduzieren.
Ergebnisse lassen sich nicht eins zu eins auf gesunde Frauen übertragen
Allerdings ließen sich die Ergebnisse nicht eins zu eins auf gesunde Frauen in den Wechseljahren übertragen. Bei einer erneuten Auswertung, in die nur die Daten gesunder Frauen zwischen 50 und 59 einflossen, zeigte sich, dass das Risiko für Brustkrebs und Herzinfarkt in den ersten fünf Jahren der Therapie wenig ansteigt und das höhere Risiko für eine Thrombose durch die transdermale Hormoneinnahme, also als Pflaster oder Salbe, verringert werden kann. Das heißt, es spielt eine Rolle, wann Frauen mit einer Therapie beginnen und wie und wie lange sie die Hormone einnehmen. "Hormone haben geringe Risiken, wenn gesunde Frauen die Therapie in den Wechseljahren beginnen", sagt Ortmann.
"Bei jüngeren Frauen ist das Risiko geringer, aber nicht null", hält Huster-Sinemillioglu dagegen. Sie befürchtet, dass das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen könnte: "Immer wieder ist von einer Renaissance der Hormontherapie zu lesen. Aber was wollen wir denn erreichen? Rund 20 Prozent aller Frauen nehmen heute Hormone ein – müssen es unbedingt mehr werden?"
Die entsprechenden Hersteller würden sich vermutlich über ein Umsatzplus freuen. Allerdings hat sich nach der WHI-Studie ein anderer, nicht weniger lukrativer Markt entwickelt: "Die Frauen, die das entsprechende Portmonee haben, gehen zum Heilpraktiker, machen zum Beispiel Bioresonanztherapien oder nehmen pflanzliche Präparate, die zum Teil teuer sind und deren Wirkung umstritten und nicht nachgewiesen ist", sagt Schurig. "Diejenigen, die sich das nicht leisten können, sind darauf angewiesen, dass ihr Frauenarzt sie ordentlich berät." Das einhellig erklärte Ziel aller lautet denn auch: Jede Frau sollte eine ausführliche Beratung erhalten, in der individuelle Risiken ebenso berücksichtigt werden wie persönliche Wünsche. Entscheidet sich die Frau für eine Hormontherapie, lautet die goldene Regel: so gering dosiert wie möglich, so lange wie nötig.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.