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Kosmologie: Hubble-Kontroverse könnte sich schneller aufklären lassen als gedacht

Wie schnell expandiert das Weltall? Seit Jahren entzweit die Frage Astrophysiker. Eine neue Messmethode verspricht Aufklärung - möglicherweise schneller als gedacht.
Hubble Ultra Deep Field (HUDF)

Die Debatte ist die wohl spannendste der modernen Kosmologie: Expandiert das Weltall mit einer Geschwindigkeit von 74 Kilometern pro Sekunde und Megaparsec ((km/s)/Mpc), wie ein Team um den US-Astrophysiker und Nobelpreisträger Adam Riess vermutet? Oder wird die Raumzeit »nur« mit einer Rate von 67 (km/s)/Mpc auseinandergezogen, wie die Wissenschaftler des europäischen Satelliten Planck seit Jahren argumentieren?

Der Streit um den Wert der so genannten Hubble-Konstante mag nach einem trockenen Expertendisput klingen. Er wird jedoch mehr und mehr zu einer Bedrohung für das gängige Weltbild von Kosmologen. Schließlich liegt dort eine plausible Erklärung für den Dissens begraben: Die Analyse von Planck fußt auf Strahlung aus dem jungen Universum, von wo aus die Forscher mit Hilfe des weithin akzeptierten kosmologischen Standardmodells in die Gegenwart rechnen.

Adam Riess hingegen schaut sich mit Hilfe des Hubble-Weltraumteleskops variable Sterne und Supernova-Explosionen in unserer kosmologischen Nachbarschaft an (was ganz eigene potenzielle Fehlerquellen mit sich bringt). Sollte nun eine dritte, unabhängige Messung zu dem Ergebnis kommen, dass Riess und Kollegen den richtigen Wert für Expansion ermittelt haben, müssten Theoretiker wohl die Geschichte des Universums überdenken – und kämen möglicherweise neuen Naturgesetzen auf die Spur.

Aber was für eine Messung könnte solch eine Bestätigung bringen? Seit einigen Jahren haben viele Astrophysiker einen klaren Favoriten: Der Zusammenstoß von Neutronensternen in den Weiten des Alls. Die kolossalen Ereignisse ermöglichen eine unabhängige Bestimmung der kosmischen Expansionsgeschwindigkeit. Denn die Stärke der auf der Erde aufgefangenen Gravitationswellen verrät die Distanz zu ihrem Ursprung, und dank der Rotverschiebung der beim Crash freigesetzten Strahlung lässt sich die Fluchtgeschwindigkeit des fernen Sternsystems ermitteln. Mehr braucht man nicht, um die Hubble-Konstante zu berechnen.

Bisher hat die Menschheit jedoch erst ein einziges Mal solch ein Spektakel in all seiner Schönheit beobachten können. Die Analyse des Ereignisses vom 17. August 2017, Physiker sprechen von »GW170817«, lieferte nur einen sehr ungenauen Wert für die Hubble-Konstante. Experten schätzen, dass man zwischen 50 und 100 vergleichbare Ereignisse beobachten müsste, um einen ausreichend präzisen Wert für die kosmische Expansionsgeschwindigkeit ermitteln zu können.

Eine in »Nature Astronomy« veröffentlichte Studie weckt nun die Hoffnung, dass es auch etwas schneller gehen könnte. Ein Team um Kenta Hotokezaka von der Princeton University hat darin frische Beobachtungsdaten der Trümmerwolke von GW170817 ausgewertet und will so die Genauigkeit der Hubble-Konstanten-Messung verbessert haben.

Dank eines Zusammenschlusses von Radioteleskop-Observatorien habe man die Richtung des heißen Materieausflusses nach dem Crash genauer rekonstruieren können als bisher, berichten die Forscher. Nun könne man besser nachvollziehen, in welcher Ebene die beiden Neutronensterne einst ineinander gerast sind. Dies war in bisherigen Analysen eine die größte Unsicherheit bei der Deutung des Gravitationswellensignals und trug maßgeblich zur Ungenauigkeit der Hubble-Abschätzung bei.

Für sich genommen ist die Messung – sie liegt bei 70 (km/s)/Mpc – immer noch viel zu ungenau, ihre Messunsicherheit beträgt sieben Prozent. Nobelpreisträger Riess und Kollegen erreichen mit ihrer Methode mittlerweile weniger als zwei. 15 weitere Neutronensternzusammenstöße, die man ähnlich genau beobachten kann wie GW170817, sollten Hotokezakas Team zufolge jedoch ausreichen, um eine vergleichbare Genauigkeit zu erreichen. Damit ließe sich die Debatte um die kosmische Expansionsgeschwindigkeit vielleicht ein für alle Mal beenden.

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