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Humanevolution: Eine Genvariante gegen die Kälte

Einer von fünf Menschen hat Muskeln, die nicht sehr schnellkräftig sind - und besonders häufig, wenn er aus dem kalten Norden stammt. Das hat Gründe: Sprinten und Frieren gehören zusammen.
Mann badet in zugefrorenem See

Irgendwann vor mehr weit als 50 000 Jahren brach eine »moderne« Variante des Menschen aus Afrika auf und besiedelte nach und nach schließlich die ganze Welt. Dabei veränderten sich die Auswanderer und die in Afrika zurückbleibenden Gruppen weiter – und manche dieser Veränderungen scheinen nicht zufällig geschehen zu sein, sondern echte Vorteile mit sich gebracht zu haben. Ein Beispiel sind Genveränderungen, die mit einer Kältetoleranz einhergeht, berichtet nun ein Forscherteam im Fachmagazin »American Journal of Human Genetics«: Sie haben dem an warme Durchschnittstemperaturen gewöhnten Menschen das Leben in höheren Breiten wahrscheinlich erleichtert.

Die Veränderung betrifft Gene, die den Einbau des Proteins Alpha-Actinin-3 in Muskelgewebe steuern. Das Forscherteam um Håkan Westerblad vom Karolinska-Institut in Schweden hat untersucht, warum dieses Protein bei rund einem von fünf Menschen weltweit schlicht nicht vorkommt und welche Konsequenzen das hat. Klar ist, dass sich bei diesen Menschen die Skelettmuskeln insgesamt eher langsamer kontrahieren: Sie sind weniger schnellkräftig und machen den Menschen unter anderem zu schlechteren Sprintern. Trotz dieser Nachteile ist die genetische Variante aber gerade bei Menschen mit einer Herkunft aus nordischen Regionen eher häufig.

Klar ist, dass in Muskeln von Menschen ohne Alpha-Actinin-3 deutlich mehr Muskelfasern vom langsam kontrahierenden Typ vorkommen. In diesen ist eine besondere Form des Motorproteins Myosin typisch: Der so genannte schwere Abschnitt des Myosins – das sich bei Muskelkontraktionen als »Köpfchen« einhakt – enthält häufiger eine Variante, die eher ein langsame Muskelkontraktion fördert. Weitere Veränderungen in Proteinen und eine etwas andere Aktivierungsschwelle bei den Muskeln sorgen dafür, dass die Muskeln dieses Typs eine generell höhere Muskelgrundspannung aufweisen.

Das hat offenbar Konsequenzen, wie die Forscher in Experimenten mit 42 Freiwilligen zeigen konnten – sämtlich Männern zwischen 18 und 40 Jahren. Diese mussten ein Bad in kaltem Wasser nehmen, bis ihre Körpertemperatur auf 35,5 Grad Celsius absank. Dabei maßen die Wissenschaftler verschiedene Muskeleigenschaften per Elektromyografie, zudem nahmen sie Gewebeproben, um den Muskeltyp exakt bestimmen zu können. Dabei zeigte sich ein deutlich höhere Kältetoleranz bei Menschen ohne Alpha-Actinin-3 mit ihren langsameren Muskeln: Sie hielten bei geringerem Energieaufwand die Körpertemperatur länger. Die Muskeln produzieren ohne schnelles starkes Muskelzittern mehr Abwärme.

Wahrscheinlich ist dieser langsame, aber kältetolerante und Energie sparende Muskeltyp in kalten Klimata von großem Vorteil, sagt Westerblad in einer Pressemeldung. Zwar seien Menschen mit diesem Muskeltypus kaum die besten Sprinter, dafür aber womöglich bei Ausdauersport im Vorteil. Es sei daher kaum verwunderlich, dass die Häufigkeit der Genveränderung sich in den letzten 50 000 Jahren auch abhängig von der geografischen Breite unterschiedlich stark durchgesetzt hat, wie verschiedene Studien schon gezeigt haben.

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