Kreuzmodale Wahrnehmung: Hummeln vernetzen ihre Sinneserfahrung
Viele Tiere assoziieren Formen mit Belohnungen oder Gefahren: Bunte Blütenformen sagen der Biene »Nektar! Essen!«, und der Umriss eines Greifvogels signalisiert der Maus »Lebensgefahr!«. Dieses Grundlagenwissen muss aber nicht in komplexeren Hirnregionen quervernetzt werden, in die weitere Sinneskanäle zusätzliche Informationen ablegen. Damit das schnelle Signal funktioniert, muss die Maus nicht den Ruf des Greifvogels mit dessen Umriss assoziieren, um sich wegzuducken; und die Biene muss nicht den Duft mit der Form der Blüte in Zusammenhang bringen, um zum Naschen zu landen, wenn sie eines von beiden erkennt. Tatsächlich wurde im Tierreich die komplexe, so genannte kreuzmodale Wahrnehmung selten nachgewiesen. Dabei weiß ein Tier dann, wie etwas aussieht, das es hört – oder wie das riechen sollte, was man gerade ertastet. Selbst Menschen lernen erst einige Zeit nach der Geburt, Sinnesempfindungen aus verschiedenen Kanälen zu koordinieren, um dann etwa zu erwarten, dass Lippenbewegungen und eine Stimme zusammengehören. Nur bei wenigen Arten mit hoch entwickeltem Nervensystem hat man die kreuzmodale Wahrnehmung bisher überhaupt nachgewiesen. Und so war das Forschertrio Cwyn Solvi, Selene Gutierrez Al-Khudhairy und Lars Chittka entsprechend überrascht, als sie die Fähigkeit nun bei Hummeln nachweisen konnten.
Im Fachblatt »Science« fassen sie ihre Erkenntnisse zusammen. Die Wissenschaftler haben ein Experiment durchgeführt, bei dem sie Hummeln zunächst mit Belohnungsreizen unterstützt beibrachten, zwei verschieden geformte Objekte zu unterscheiden, kleine Würfel und gleich große Kügelchen. Ein Teil der Tiere lernte dabei durch Fühlen und Ertasten der Formen im Dunkeln mit ihrem Rüssel, ein anderer im Hellen durch Betrachten der Objekte aus der Entfernung mit den Komplexaugen. Anschließend konnten jedoch Hummeln beider Gruppen die Formen auch anhand der nicht gelernten Sinnesmodalität erkennen: Die durch Sehen angeleiteten Tiere ertasteten die gelernte Form auch im Dunkeln korrekt. Das bedeutet, dass die Insekten in der Lage sind, sensorische Informationen in höheren Verarbeitungsregionen zu codieren – und auf diese Repräsentation des Gegenstandes unabhängig vom Sinneskanal zurückzugreifen, der den Wahrnehmungsprozess angestoßen hat.
Dies sei ein bemerkenswerter Fund, kommentieren Gerhard von der Emde von der Universität Bonn und Theresa Burt de Perera von der Oxford University in einem einordnenden Artikel zur Forschungsarbeit in »Science«. Das zentrale Nervensystem der Hummel besteht nur aus wenigen Millionen Neuronen. Immerhin ergibt es für die Insekten Sinn, beim Erkennen etwa von Blüten auf unterschiedliche Sinnesmodalitäten zu setzen, weil sie im Hellen ebenso wie in der Dämmerung auf Nahrungssuche gehen. Kreuzmodale Wahrnehmung ist sonst im Tierreich nur bei Primaten, Ratten und Delfinen gezeigt worden sowie beim Elefantenrüsselfisch, den von der Emde im Labor untersucht hat. Der Elefantenrüsselfisch Gnathonemus petersii kann sich in seiner Umwelt mit aktiver Elektroortung orientieren.
In diesem Fall und auch bei den Hummeln ist unklar, welche Prozesse im Gehirn der Tiere ablaufen, um die multisensorische Repräsentation eines Objekts zu sichern: Weder Fische noch Insekten haben Hirnregionen wie solche, in denen Menschen derartige Repräsentationen ablegen. Womöglich übernehmen die Pilzkörper der Insekten eine ähnliche Funktion. Vielleicht sind höhere Verarbeitungszentren aber auch gar nicht nötig, weil die basalen sinnesverarbeitenden Neuronen sich direkt quervernetzten, sagen die Autoren im Begleitartikel zur Studie. Für den Menschen haben Hirnforscher aber immerhin argumentiert, dass kreuzmodale Wahrnehmung eine Art von Bewusstsein voraussetzt: Denn hierbei werden mentale Abbilder bei Wahrnehmungsprozessen erzeugt. Wenn nicht einfachere Prozesse zu Grunde liegen, müsste diese Form des Bewusstseins dann auch den Hummeln zugesprochen werden.
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