Naturschutz: Hunde, pflanzt an!
Es ist eine weltweit einmalige Idee: In einer vom Feuer verwüsteten Naturlandschaft in Chile sollen drei Border Collies zerstörtes Terrain wieder mit Blumen und Bäumen begrünen. Anfang 2017 hatten im fernen Andenstaat die heftigsten Brände der Geschichte getobt: Mehr als 200 Feuer zerstörten riesige Wälder und Grünflächen; der Schaden liegt bei mindestens 300 Millionen Euro. Zwischen Januar und Februar rollten über das Zentrum die schlimmsten Feuerwalzen und verbrannten mehr als 580 000 Hektar, wie die staatliche Umweltbehörde Conaf ermittelte. Wertvolle Häusern und mit kostbarer Flora dicht bewachsene Grundstücke wurden zerstört, und es kamen elf Menschen und eine unbekannte Zahl von Tieren ums Leben. Die Überlebenden fanden nach den Flammen ein düsteres Bild vor. Denn der bisherige Lebensraum der Tierarten ist ausradiert. Füchse, Kaninchen, Mäuse, Eidechsen und alle Arten Vögel und Insekten haben kein Habitat mehr. Nach Angaben des Umweltministeriums sind mehr als 185 Tierarten betroffen. Heute gibt es eine staatliche Untersuchungskommission, die der Frage nach dem Warum nachgeht. Denn viele Feuer wurden absichtlich gelegt. Immerhin: Etliche Brandstifter sitzen bereits in Haft oder warten auf die Verhandlung. Auch marode Stromleitungen waren für die Katastrophe mitverantwortlich.
Pflanzrucksack Marke Eigenbau
Nun geht man die Sache mit dem pflanzlichen Neustart – im nicht allzu reichen Land – kreativ an. Die Idee geht so: Man nehme drei Hunde und statte sie mit speziellen, rieselfähigen Baumwollrucksäcken aus. Darin verstaut man die für die Region passenden Pflanzen- und Baumsamen, sende die Tiere auf die verwüsteten Flächen – und lasse der Natur ihren Lauf, sobald die Samen auf dem Boden verstreut sind. Fertig ist die Wiederaufforstung per Hundepfote.
Der erste Ort, an dem die neue Methode zum Einsatz kommt, findet sich ungefähr 20 Kilometer von der Stadt Talca entfernt, in der Kommune Maule. Die Idee hatte Francisca Torres. Die 32-jährige Hundeausbilderin und Trainerin arbeitet für die Organisation Pewos. Dabei war es die Not eines Nachbarn, die Torres aufhorchen ließ. "Eines Tages kam ein Pferdebesitzer aus der am stärksten betroffenen Gegend zu mir und erzählte, dass alles verbrannt sei und er nun nichts mehr hätte, um seine Pferde zu füttern." Darauf kam ihr in den Sinn, es mit den Hunden zu versuchen, denn sind die verbrannten Flächen wieder ergrünt, können Menschen und Tiere zurückkehren. Die Sache nahm Gestalt an. Einige Skeptiker und Miesmacher dachten, das würde nicht klappen. "Als wir die Idee vorschlugen, hieß es, dass der Boden doch sauer wäre. Wir hörten alle Arten von Kritik, beschlossen aber trotzdem, es zu versuchen. Niemand wollte uns helfen." Etliche Briefe an Regierungsbehörden, in denen sie um Hilfe bat, blieben unbeantwortet. Keiner kümmerte sich – außer den Geschwistern von Francisca Torres. Sie beschlossen, es zu versuchen. "Wir haben das freiwillig gemacht – und eine Menge Zeit in das Projekt investiert. Uns ging es nicht um Geld, sondern um Unterstützung".
Heute streichen die drei Hündinnen Das, Summer und Olivia immer wieder durch das unwegsame Gelände – und verbreiten nebenbei Samen von Blumen wie Löwenzahn oder von Bäumen wie Andentanne und Quillay. Diese Bäume wachsen langsam, und doch waren die Gewächse in jener chilenischen Region bis zu den Feuern heimisch. Jeden Tag absolvieren die Tiere bis zu 20 Kilometer – in eher langsamem oder etwas schnellerem Trott. Der Trick: Die Hunde wurden über zehn Jahre lang auf menschliche Kommandos trainiert. Daher laufen sie genau an jene Stellen, an die sie ihre Trainerinnen schicken. "Der Gehorsam der Tiere ist sehr wichtig. Andere Hunde wittern ein Kaninchen oder einen Fuchs und verschwinden. Dann landen die Samen nicht dort, wo sie hingehören. Diese Tiere besitzen die Fähigkeit, deutliche weitere Strecken zu laufen als wir."
Nicht alle Hunde sind Gärtner
Jeder Hund lässt sich in der Regel trainieren, doch mancher ist lernfähiger als ein anderer, erklärt Trainerin Torres. "Es gibt Hunde, die sehr intelligent 'eigene' Probleme lösen. Zum Beispiel Terrier." Die seien schwer abzurichten. Und schließlich gehe es ja darum, "dass der Hund das tut, was Sie von ihm möchten. Terrier tun in der Regel Dinge, die sie selbst wollen", so Torres. Das ist bei Rassen wie Labradoren, Golden Retrievern oder Border Collies anders.
Außerdem passten den Collies die selbst entwickelten Rucksäcke perfekt. Das Musterexemplar stammt aus dem Laden, doch wurden die Backpacks nachträglich so bearbeitet, dass die Samen nur noch langsam und peu à peu aus den Taschen kullern. "Das System, wie die Samen aus dem präparierten Rucksack bis auf die Erde gelangen, ist allein von uns erfunden und entwickelt worden. Dass das so gut funktionieren könnte, hätten wir gar nicht gedacht", sagt Torres.
Das prächtige Resultat ihrer Bemühungen gibt den Vordenkern heute Recht: Überall sticht sattes Grün ins Auge, dazwischen leuchten immer wieder bunte Blumenfarbtupfer auf. Tatsächlich stellten sich die spektakulären Ergebnisse sogar erstaunlich bald ein: Fast sechs Wochen nach den schweren Feuern, Ende März, wurden die ersten Samen verteilt. Auch Vögel und Kaninchen leben wieder im Gebiet. Und kommen jene Tiere zurück, dann folgt der Fuchs.
Die Zukunft der Samenlieferhunde
In Deutschland ist man von der südamerikanischen Idee angetan. "Die Geschichte mit den Hunden ist sehr spannend und ein wirklich neuer Ansatz", sagt Professor Dr. Martin Guericke. Der Leiter des Studiengangs Forstwirtschaft an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde sagt: "Die Ausgangssituation ist die: Große Flächen müssen wieder bewaldet werden. Doch wie gehe ich das Ganze an? Entweder überlässt man das der Natur, die es selbst richtet. Oder der Mensch wird aktiv – durch Pflanzungen oder eine Saat. Die bei Förstern stets erste Option, die Naturverjüngung, funktioniert hier nicht, weil es keine Mutterbäume – also Samenbäume – mehr gibt. Wenn die Bedingungen stimmen, können sich aus der 'Hundesaat' erste, unregelmäßige Waldstrukturen entwickeln. Windruhe, Schatten und sich verändernde Feuchtigkeitsverhältnisse schaffen ein neues Innenklima." Dieser "Vorwald" mit den verwendeten Baumarten hat "Pioniercharakter", mittelfristig kehren auch andere Baumarten und Tiere wieder zurück, und der "neue Wald" entsteht. Der Experte spricht auch über "Pflanzungen mit Drohnen", die das Material aus der Luft zielgerichtet abwerfen – eine allerdings teure Lösung.
Und in Chile, wie geht es dort weiter? Francisca Torres hat Pläne: "Ich hoffe, dass bis Ende 2018 noch mehr Blumen und Bäume für Bienen und andere Insekten keimen und wachsen werden. Ich bin sehr glücklich." Sie, ihre Schwester Constanza Torres und die drei Hundedamen werden weiter daran arbeiten, blühendes Leben in die verwüsteten chilenischen Wälder zurückzubringen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.