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Marine Mikrobiologie: Hungernde Bakterien gewinnen Lichtenergie

Chlorophyll ist nicht das einzige Biomolekül, das Licht in für Organismen nutzbare Energie umwandeln kann. Neben dem Pflanzenfarbstoff gibt es unter anderem die Proteorhodopsine, die mit Hilfe von Licht Protonen durch eine Membran transportieren und so einen elektrochemischen Gradienten aufbauen, der den Energiehaushalt der Zelle antreibt. Diese Proteinklasse kommt weltweit in Meeresbakterien vor; welche ökologische Bedeutung ihnen zukommt, war bisher allerdings ungeklärt. Jetzt haben Wissenschaftler an einem Meeresbakterium aus dem Indischen Ozean gezeigt, dass diese Proteine ihren Besitzern möglicherweise einen enormen Fitnessvorteil verschaffen: In Zeiten des Mangels können sie sich mit Hilfe von Licht "ernähren". Das Fotosynthese treibende Phytoplankton verliert damit seine Sonderstellung als Primärproduzent der marinen Nahrungsketten.

Das untersuchte Bakterium stammt aus dem Genus Vibrio, zu dem unter anderem auch das pathogene Bakterium Vibrio cholerae – der Choleraerreger – gehört. Seine Verwandten im marinen Umfeld nutzen offensichtlich Licht, wie ein schwedisch-spanisches Forscherteam in Untersuchungen des vor den Andamanen aus dem Meer gefischten Meeresbakteriums entdeckten.

Um zu überprüfen, ob das in ihnen enthaltene Proteorhodopsin die Bakterien in die Lage versetzt, auf Licht als Energielieferant für die Biomasseproduktion umzustellen, testeten die Forscher das Wachstum der Mikroben in Licht und Dunkelheit.

Solange reichlich Nährstoffe zur Verfügung standen, konnten sie keinen Unterschied feststellen. Wenn die Forscher die Bakterien jedoch auf Diät setzten, änderte sich das. Zuerst reduzierten die Mikroben die Größe der einzelnen Zellen, die dadurch energieeffizienter wurden. Nach zehn Tagen begann die Zahl der Zellen in den Probenbehältern abzunehmen, da die Bakterien irgendwann verhungerten. Hier allerdings hatten die unter Licht gehaltenen Mikroben einen klaren Vorteil: Von ihnen lebten nach der Diät noch mehr als doppelt so viele Zellen wie in der abgedunkelten Kultur. Dieser Vorteil zeigte sich in allen Varianten des Versuchs, zum Beispiel mit Hell-dunkel-Zyklen oder auch bei extrem schwachem Licht, wie es am unteren Rand der photischen Zone der Ozeane auftritt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Proteorhodopsine der Vibrionen Teil eines physiologischen Mechanismus sind, der das Überleben unter Mangelbedingungen begünstigt. Damit ist das Phytoplankton seiner Sonderstellung am Anfang der marinen Nahrungskette beraubt. Ihm zur Seite gestellt sind jetzt die Bakterien. Aber wie groß ist ihre Bedeutung? Ein solches System bedeutet für einen auf unzuverlässige Nahrungsquellen angewiesenen Organismus einen enormen Fitnessgewinn, und deswegen erwarten die beteiligten Forscher, dass sich die Ergebnisse am Vibrio-Stamm aus dem Indischen Ozean auch auf viele andere verwandte Bakterien übertragen lassen, bei denen bis jetzt nur Gensequenzen auf die Existenz eines Proteorhodopsins hinweisen. Sollte sich die große Bedeutung der Proteorhodopsine in den marinen Bakterien bewahrheiten, dann hätte dieses System möglicherweise einen beträchtlichen Einfluss auf die Energie- und Stoffflüsse in den Ökosystemen des offenen Ozeans. (lf)
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