Ausbreitung des Menschen: Hungerstrecke zwischen den Eismassen
Die Wanderung von Asien nach Amerika über einen eisfreien Korridor am Ende der letzten Eiszeit war für Menschen erst tausende Jahre später möglich als bisher angenommen. Das belegen neue Ergebnisse eines Forschungsteams um Eske Willerslev. Seine Studie zeigt, dass größere Pflanzen und Tiere erst vor rund 12 600 Jahren dort wuchsen, wo man lange die Hauptroute der Erstbesiedlung Amerikas vermutet hatte. Noch früher hätten Migranten auf dieser Strecke also keine Nahrung jagen oder sammeln können und kaum Überlebenschancen gehabt. Die Ergebnisse bekräftigen, dass es eine frühe alternative Route entlang der Pazifikküste gegeben haben muss.
Der eisfreie Korridor verlief einst durch das Gebiet des heutigen Westkanadas und war am Ende der letzten Eiszeit abgetaut, so dass er eine durchgehende Wanderroute von Sibirien über Alaska auf den amerikanischen Kontinent frei gab. Man glaubte lange, dass darüber auch die späteren Gründer der Clovis-Kultur, die vor rund 13 000 Jahren in Amerika auftauchten, als erste Menschen den Kontinent erreichten. Jedoch entdeckten Forscher längst viel ältere Spuren menschlicher Kulturen an verschiedenen Orten Nord- und Südamerikas, einige Funde sind um die 18 000 Jahre alt. Der eisfreie Korridor kann demnach kaum das Einfallstor dieser Uramerikaner gewesen sein, weil er erst später – vor 14 000 bis 15 000 Jahren – freitaute; stattdessen sind die ersten Pioniere vielleicht entlang der Pazifikküste gewandert.
Wie die neuen Ergebnisse zeigen, hätten aber auch spätere Einwanderungswellen – etwa die Clovis-Ahnen – den eisfreien Korridor sehr lange nicht nutzen können, da es dort noch tausende Jahre lang weit und breit weder Pflanzen noch Tiere gab: Wandernde Jäger und Sammler wären auf dem 1500 Kilometer langen Weg verhungert. Dies belegt die Analyse von Bodenproben aus der Region des ehemaligen eisfreien Korridors, die von dem Forscherteam gesammelt wurden, um deutlich gründlicher als bei früheren Untersuchungen nach Überresten einstigen Lebens zu forschen. Mit Hilfe von Karbondatierung klärten sie das Alter der Bodenproben ab und suchten darin zunächst nach Blütenstaub und kleinsten Fossilien. Anschließend durchforsteten sie die Bodenschichten nach eDNA (kurz für environmental DNA), die alte Lebensspuren sehr sensibel anzeigt. Die eDNA-Fragmente von Tieren zum Beispiel stammen von Ausscheidungen oder von Haut- und Haarzellen, die sich in der Umgebung verteilen.
Über Jahrtausende fehlt aber im Korridor jedes Anzeichen von größeren Tieren oder Pflanzen: Die neue Studie zeigt, dass sich dort erst vor 12 600 Jahren eine Steppenvegetation entwickelte. Weniger als 100 Jahre später siedelten sich dann die ersten Tiere an. Unter ihnen waren Bisons, Wühlmäuse und Hasen. Erst zu diesem Zeitpunkt war die Route dann wohl auch für Menschen passierbar, weil die Jäger und Sammler nun genügend Nahrung finden konnten.
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