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Hydrologie: Ein See läuft über

Der Wasserspiegel des Devils Lake steigt seit 70 Jahren unaufhaltsam an. Längst werden im Norden der USA unter Hochdruck Abflüsse gegraben, während die Ursachen für die Flut wohl nichts mit dem aktuellen Klimawandel zu tun haben.
Devils Lake

Sie nennen ihn verhextes Wasser, Minne-waukan. Als sich die ersten weißen Siedler an seinen Ufern niederließen, wussten sie nicht mehr über den See als den Namen, den einheimische Siouxindianer ihm gegeben hatten. Die Neuankömmlinge nannten den See entsprechend Devils Lake, nicht ahnend, wie sehr der Name für diese scheinbar unberechenbare Region in North Dakota steht.

Das Gewässer liegt wie ein guter Teil des nördlichen US-Bundesstaats in der Prärie-Pothole-Region, einer Ebene mit ausgedehnten Feuchtgebieten und sanften Hügeln. Genau hier schob noch vor 11 000 Jahren der nordamerikanische Eisschild Sedimentfächer zusammen, während er immer weiter schmolz und dabei wenige große Blöcke aus Eis zurückließ: Sie drückten noch einige Zeit tiefe Kuhlen in den Boden, bevor sie sich in isolierte so genannte Toteisseen auflösten. Eine solche Kuhle füllt seitdem auch der Devils Lake – und unterscheidet sich dadurch von den meisten anderen Seen der Erde.

Der See ohne Abfluss

Wie der fast austrocknete Aralsee gehört auch Devils Lake zu den endorheischen Gewässern, die meist nur tief im Binnenland großer Kontinente vorkommen: Sie werden ausnahmslos von Regen oder Flüssen gespeist und haben keinen eigenen Abfluss. Regnet es zu viel, laufen sie voll, bleibt es lange trocken, sinkt der Pegel rapide. Dann verdunstet die Sonne immer mehr Wasser, was auch beim Devils Lake noch nicht lange her ist: In den 1930er Jahren breitete sich die Dust Bowl über Nordamerika aus. Ausgeprägte Trockenheit und landwirtschaftliche Fehler sorgten dafür, dass Teile der Großen Ebenen der USA und Kanadas versteppten und die verdorrte Vegetation den Boden nicht mehr halten konnte. Statt Regen brachten die gewaltigen Stürme, die zwischen den Subtropen und der Arktis durch den Mittleren Westen fegen können, nur noch Staub. Dadurch verwandelte sich das vorher frische Seewasser binnen weniger Jahre in eine salzige, lebensfeindliche Brühe. Der zuvor florierende Handel mit Hechten und Flussbarschen kam zum Erliegen, als beide Arten aus dem See verschwanden. Zurück blieben nur widerstandsfähige Salzstichlinge, während die Biodiversität des Devils Lake kollabierte. Viele Bewohner am Ufer machten sich auf den Weg gen Süden, um dort nach Arbeit zu suchen.

Wachsender See | Besonders seit 1993 wuchs der Devils Lake stark an. Nun droht er, überzulaufen und dabei noch mehr stark genutzte Landschaft zu verschlingen.

In dieser Zeit entstand am Missouri River weit im Westen jedoch ein gewaltiger Damm. Er ermöglichte einen neuen Umgang mit der großen Trockenheit, und der US-Kongress entschied, die Wirtschaft um den Devils Lake davon profitieren zu lassen. Ein Kanal sollte bis zum See gebaut werden, fast 200 Kilometer in Richtung Osten. Als die Dammpläne wegen Geldproblemen und ökologischer Bedenken in den 1980er Jahren schließlich platzten, war der See jedoch schon ganz von allein stark angewachsen – von der Größe des Chiem- auf die des Müritzsees. Dabei sank auch der Salzgehalt auf ein verträgliches Maß ab. Der Devils Lake schien wieder der Alte zu sein.

Auf Dürre folgt Flut

Doch der Pegel hörte nicht auf zu steigen: Seit 1992 regnete es im nördlichen North Dakota so viel, dass der Devils Lake mittlerweile fast doppelt so groß ist wie der Bodensee. Er enthält mittlerweile 370-mal mehr Wasser als noch 1940 und vereinigte sich mit mehreren kleinen Seen im Osten. Minnewaukan, eine Ortschaft benannt nach dem mystischen indianischen Namen des Sees, lag noch 1992 über 13 Kilometer vom Ufer entfernt. Heute schützt ein drei Meter hoher und 915 Meter langer Damm die Bewohner.

Das für solche Arbeiten zuständige Army Corps of Engineers war trotzdem kaum in der Lage, den rasant wachsenden See im Zaum zu halten. Über eine Milliarde US-Dollar kosteten alle bisherigen Versuche, den See zu bändigen und die Gemeinden zu schützen. Dennoch verschlang er einen wichtigen Highway, Bahnlinien und viel fruchtbares Farmland. Noch immer wächst der See weiter: Der nationale Wetterdienst der USA warnte kürzlich davor, dass die feuchte Witterung in der Region zudem wegen des Klimawandels weiter anhalten dürfte.

Randvoll | Der Wasserstand des Devils Lake schwankte im 20. Jahrhundert stark. Steigt er noch um weitere zwei Meter, droht der See überzulaufen.

Mehr Wasser könnte jedoch zu einer Katastrophe führen. Dadurch, dass der Wasserstand schon in den letzten 20 Jahren um fast zehn Meter anstieg, ist nach oben nun kaum noch Luft. Stiege der Pegel um nur zwei weitere Meter, würde sich der See von selbst einen natürlichen Abfluss schaffen: Schätzungen des Geologischen Diensts der USA sagen für diesen Fall ein unkontrolliertes Überfließen beim Örtchen Tolna Coulee voraus, wo das Seeufer am flachsten ist. Das hindurchpreschende Wasser könnte den Uferwall in kurzer Zeit um weitere zwei Meter erodieren und schließlich den See um 2500 Kubikkilometer schrumpfen lassen – 40 Prozent seines gesamten Volumens.

Doch selbst wenn der Devils Lake in den kommenden Jahren nicht ganz überläuft: Zumindest das Frühjahrshochwasser könnte spielend die Barrieren – natürliche Hügel wie künstliche Dämme – überwinden. Anwohner und Behörden versuchen das nach Kräften zu verhindern. Ein erster Abfluss ging 2005 in Betrieb, der in vier Jahren rund acht Millionen Kubikmeter abpumpte, gerade mal ein Tausendstel des Gesamtvolumens. Längst sind drei weitere Kanäle geplant und sollen schon bald beginnen, Wasser abzuleiten, hinein in den Fluss Sheyenne rund 15 Kilometer entfernt.

Das Wasser aus dem launischen See wird allerdings auch am Sheyenne und weiter stromabwärts am Red River mit Argwohn betrachtet, in den der Sheyenne mündet. Das liegt einerseits am noch immer hohen Sulfatgehalt des Devils Lake. Der lag 2006 über dem zulässige Grenzwert für Fließgewässer, weshalb der frisch errichtete Auslass kurzerhand geschlossen gehalten wurde. Andererseits sind auch die Wassermassen selbst ein Problem: Erst 2009 wurde North Dakotas größte Stadt Fargo durch den Fluss überflutet, ohne dass Wasser aus dem See im Nordwesten dabei eine besondere Rolle gespielt hätte. Das Schadenspotenzial ist also hoch: Am Unterlauf von Sheyenne und Red River wohnen immerhin 200 000 Menschen, mehr als ein Drittel aller Einwohner des Bundesstaats.

Auch in Kanada gibt es Bedenken, wo der Red River schließlich in den fischreichen Lake Winnipeg fließt, den fünftgrößten Frischwassersee des Landes. Die dortige Regierung ringt seit Jahrzehnten mit US-Behörden um den richtigen Umgang mit dem überschüssigen Seewasser. Denn eigentlich verhindert ein bilaterales Abkommen von 1909, grenzüberschreitende Gewässer zu verschmutzen. Die kanadischen Behörden argumentieren, dass der Devils Lake seit Jahrhunderten von anderen Gewässern abgeschnitten gewesen sei. Nun könne er über die neuen Abflüsse bislang unbekannte Krankheitserreger mitführen, die einheimische Fischbestände gefährdeten. Eine gemeinsame und unabhängige Kommission bezeichnete dieses Risiko im vergangenen Herbst allerdings als äußerst gering.

Durch die neuen Kanäle sind jedoch auch umgekehrte biologische Folgen denkbar: Fische könnten genauso in den Devils Lake einwandern. Karpfen aus dem Lake Winnipeg und dem Red River sind in der Lage, gegen den Strom zu wandern, und hätten als Raubfische im Devils Lake keine natürlichen Feinde.

Das Klima schwankt schon lange

Doch eine Alternative für die Drainage gibt es bislang nicht – und selbst bei den laufenden Kanalarbeiten bleibt unklar, ob sie ein unkontrolliertes Überlaufen noch verhindern können. Bisher tragen die neuen Wasserstraßen kaum mehr als ein leises Tröpfeln hinaus, während Regen und Schmelzwasser ungleich mehr Nachschub liefern. Die Ursachen für die immer neuen Wassermengen sind dabei noch unklar: Eine Studie zweier Wasserbehörden in North Dakota gibt offen zu, dass selbst "Daten aus den letzten 100 Jahren nicht einwandfrei ableiten lassen", warum "der Pegel von Devils Lake so dramatisch schwankt".

Trockengelegt | Ursprünglich war die Landschaft in North Dakota von Feuchtgebieten dominiert, heute wird sie intensiv landwirtschaftlich genutzt. Das könnte nun zum Problem werden.

Es scheint sogar plausibel, dass der bewegte Wasserstand durch den momentanen Klimawandel allenfalls verschärft wird, indem er etwa Niederschlagszonen leicht verschiebt: Die Limnologin Kathleen Laird von der University of Minnesota veröffentlichte dagegen 1996 eine Studie, die sich erstmals längerfristigen Klimaschwankungen in der Region widmete. Sie arbeitete am Moon Lake im Osten North Dakotas, der ebenfalls keinen eigenen Abfluss besitzt. Die Forscherin untersuchte im Bett abgelagerte Kieselalgen, die empfindlich auf einen wechselnden Salzgehalt reagieren. Die Fossilienschalen geben somit indirekt Aufschluss über die Niederschlagsmengen der Region: Laird stellte fest, dass die Regenmengen nie wirklich konstant waren. Stattdessen war das Klima in den letzten 200 Jahren genauso launisch wie in den letzten 2000 Jahren – und gehört damit seit Langem zur örtlichen Umwelt.

Lange vor der Trockenlegung vieler Feuchtgebiete, der intensiven Landwirtschaft und dem Bau von Straßen und Städten schien sich die Natur darauf eingestellt zu haben: Bis Ende des 19. Jahrhunderts bestand dieser Teil der Prärie-Pothole-Region aus weitaus mehr ausgedehnten Feuchtgebieten und Auen. Sie konnten regelmäßig über die Ufer tretende und dann wieder austrocknende Seen vertragen, indem sie überschüssiges Wasser aufnahmen, es speicherten und in trockeneren Zeiten wieder abgaben.

Ein Großteil dieser Feuchtgebiete ist zu Gunsten intensiver Landwirtschaft verschwunden. North Dakota produziert heute so viel Gerste, Hartweizen und Hafer wie kein anderer US-Bundesstaat. Die in nur einem Jahrhundert entstandene Kulturlandschaft könnte den Naturgewalten nun nicht mehr gewachsen sein, weil sich das Klima hier in deutlich längeren Zeiträumen beständig wandelt: Geologen bestimmten anhand von Sedimentschichten, dass der Devils Lake innerhalb der letzten 4000 Jahre mindestens fünfmal komplett austrocknete und zweimal überlief – das letzte Mal vor rund 2000 Jahren. Es wäre also vielleicht schlicht wieder an der Zeit.

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