News: Ich bin aber gelb und du nicht!
Die Tests begannen damit, daß den Kindern zweier Klassen willkürlich ein T-Shirt in blau oder in gelb zugewiesen wurde, das dann ihr "Arbeitshemd" für die nächsten sechs Wochen sein sollte. In dem einem Klassenzimmer, der sogenannten Kontrollklasse, ignorierten die Lehrer die Farbe der Hemden. Im anderen Klassenzimmer, der experimentellen Klasse, machten die Lehrer eingehend Gebrauch von den Hemdfarben, um ihre Klasse zu organisieren – von der Sitzplatzverteilung bis hin zu speziellen Ereignissen. Dabei erwähnten sie oft die Farbgruppen, wenn sie die Schüler ansprachen. Sie bevorzugten jedoch keine Gruppe und förderten auch nicht den Wettbewerb der Gruppen untereinander.
In Tests nach dem Sommerkurs verglich Bigler die Unterschiede der beiden Klassen. Sie bemerkte, daß die Kinder der experimentellen Klasse ihrer eigenen Farbgruppe mehr positive Eigenschaften zuwiesen als der anderen Gruppe. Außerdem stellte sie bei den einzelnen Mitgliedern jeder Farbgruppe viel weniger Individualität fest als bei der Kontrollklasse. Insgesamt war bei den Kindern der experimentellen Klasse die Wahrscheinlichkeit höher, zu glauben, daß "alle" Kinder ihrer Hemdfarbe positive Eigenschaften besaßen und daß "keiner" negative Eigenschaften aufwies – im Gegensatz zu den Kindern der Kontrollklasse.
"Und dies passierte, ohne daß die Lehrer je irgendwelche Wertunterschiede zwischen den beiden Farbgruppen geäußert hätten", sagt Bigler. Allein die Existenz dieses sichtbaren Unterschiedes innerhalb der Klasse, in Verbindung mit der Tatsache, daß die Lehrer sich diesen Unterschied zunutze machten, brachte diese Vorurteile in Gang. Sie fügt hinzu: "Was wir den Kindern allerdings durch einige dieser organisatorischen Dinge sagten, war: Wenn die Erwachsenen ihre Aufmerksamkeit darauf lenken, dann muß wohl etwas dahinter stecken." Daraufhin begannen die Kinder zu glauben, daß blau anders wäre als gelb. Sehr schnell danach kommt dann die Schlußfolgerung, die eine Farbe sei besser als die andere.
Im Sommer zuvor befaßte sich eine ähnliche Klassenzimmerstudie von Bigler mit der Dynamik von Mehrheit und Minderheit. In der experimentellen Klasse erhielten die meisten Schüler ein Hemd derselben Farbe, während zwei Schüler eine andere Farbe tragen mußten. In den abschließenden Interviews sagten die beiden Kinder mit dem "Minderheitenhemd" oft, daß sie unglücklich seien und ihre Hemdfarbe wechseln wollten (Die beiden wurden übrigens sehr schnell Freunde). Bigler führte noch weitere Variationen ihrer Klassenzimmerstudien durch, unter anderem eine, bei der das Klassenzimmer nach Geschlecht aufgeteilt wurde. In dieser Studie bewerteten die Kinder in den "Geschlechterzimmern" Berufe eher als Männer- oder Frauenberufe und neigten auch eher zu Extremen bei der Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Eigenschaften innerhalb ihrer Gruppe.
Nach Ansicht von Bigler müssen sowohl Eltern als auch Lehrer gewissenhafter über die Unterschiede, die Kinder sehen, reden und Aktivitäten sorgfältiger organisieren. Und Lehrer sollten lieber zweimal darüber nachdenken, bevor sie ein Klassenzimmer nach Geschlecht aufteilen, sagt sie.
Jeweils am Ende der Sommerkurses erklärten die Forscher den Kindern die zugrundeliegende Idee mit den T-Shirts. "Wir versuchen immer, es mit einer Lektion zu verknüpfen, die sie den Rest ihres Lebens gebrauchen können. Nur Menschen, die einmal irgendwelche Vorurteile gehegt haben, werden verstehen, wie hartnäckig sie sein können."
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