Raumsonden: "Ich war sicher, dass das Signal kommen würde"
SuW: Herr Accomazzo, gestern wurde Rosetta aus dem Tiefschlaf geholt. Wie hat man es sich vorzustellen, wenn bei so einer Raumsonde der Wecker klingelt?
Andrea Accomazzo: An Bord von Rosetta gibt es vier Uhren, die jede Sekunde zählen. Der Bordcomputer, der auch in dem Tiefschlafmodus der Sonde nicht ausgeschaltet ist, gleicht alle 15 Minuten sein Zeitsignal mit diesen ab. Wir hatten einen Zeitpunkt vorprogrammiert, für den der Computer weiß: "Jetzt heißt es, wieder aufwachen und alle technischen Funktionen auf Normalstatus hochfahren."
SuW: Dieser Zeitpunkt war für 11:00 Uhr MEZ vorgesehen. Warum galt es von da an noch ungefähr sechs Stunden zu warten, bis man sicher sein konnte, dass Rosetta auch wirklich wieder voll aktiviert wurde?
Accomazzo: Zunächst brauchte Rosetta rund sechs Stunden Zeit zum Aufwärmen, dann musste die Sonde ihre Position so ausrichten, dass sie zur Erde funken kann. Das Signal selbst ist von ihr bis zur Erde 45 Minuten auf der Reise.
SuW: Warum war Rosetta überhaupt in einen Tiefschlafmodus versetzt worden?
Accomazzo: Jenseits einer Entfernung von mehr 675 Millionen Kilometern von der Sonne sind die Sonnensegel einfach zu klein, um die Energieversorgung für die gesamte Sonde über einen längeren Zeitraum sicherzustellen. Im Prinzip wäre es zwar durchaus möglich gewesen, Rosetta weiterhin im Normalbetrieb laufen zu lassen. Hätte es jedoch Probleme jedweder Art gegeben, hätte die Energie nicht ausgereicht, um diese zu beheben und gleichzeitig die restlichen Instrumente weiterhin zu versorgen. – Und es treten bei Weltraummissionen in der Regel immer unvorhergesehene Ereignisse auf. Im Winterschlafmodus dagegen ist das Lageregelungs-Kontrollsystem von Rosetta ausgeschaltet, der Energieverbrauch des Satelliten ist deutlich reduziert.
SuW: Ist es üblich, dass man Satelliten für eine gewisse Zeit in Tiefschlaf versetzt oder war es bei Rosetta ein Sonderfall?
Accomazzo: Nein, das ist bei Weitem nicht immer notwendig. Aber bei Rosetta hatten wir keine andere Wahl. Übrigens war Rosetta auch diejenige Mission, die als erste in einen Tiefschlafmodus versetzt wurde, bevor sie ihre eigentlichen wissenschaftlichen Aufgaben erfüllt hat. Ein bisschen Erfahrung dazu hatten wir zwar schon mit der Mission Giotto, die zum Halley’schen Kometen geflogen ist. Sie wurde jedoch erst zeitweise unter Sparflamme betrieben, nachdem sie ihre ursprünglich geplanten Dienste getan hatte. Wir haben diese Mission noch im Nachhinein verlängert.
SuW: Das Wieder-Hochfahren der Instrumente ist nicht ohne Risiko. Wie testet man Schlafmodus und Aufweckvorgang im Vorfeld?
Accomazzo: Wir simulieren das am Computer und im Labor – aber auch direkt im Flug. So konfigurierten wir Rosetta im Jahr 2010 für eine Woche im Tiefschlafmodus. Zu diesem Zeitpunkt war die Energie noch nicht knapp. Da haben wir ausprobiert, ob alles funktioniert.
SuW: Waren Sie gestern sehr aufgeregt, ob alles glatt gehen und am Abend das Signal eingehen würde?
Accomazzo: Nun, ich war sicher, dass das Signal kommen würde. Sonst hätte ich mir den Job als Flugleiter für so eine Mission nicht ausgesucht. Aber je näher der Zeitpunkt rückte, zu dem sich Rosetta melden sollte, umso angespannter war ich natürlich schon.
SuW: Wie sieht für die nächsten Monate Ihr Alltag als Flugleiter der Rosetta-Mission aus?
Accomazzo: Nun steht uns die interessanteste Phase der Mission bevor: Nach und nach werden wir die gesamte Sonde reaktivieren und durchtesten, ob die Instrumente wie gewünscht funktionieren. Dann wird mit der Annährung an den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko begonnen. Dazu werden wir den Kometen täglich fotografieren und aus den Aufnahmen das Anflugmanöver berechnen. In einem nächsten Schritt gilt es, den Kometen zu charakterisieren, um zu sehen, wie Rosetta um ihn herum fliegen und schließlich der Lander Philae aufsetzen kann. Aus Sicht der Flugleitung ist dies der spannendste Teil und wir freuen uns alle darauf.
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