Ig-Nobelpreis: Wie ein alberner Preis Forscherkarrieren verändert
Die Begeisterung von Eleanor Maguire hielt sich in Grenzen, als ihr der Ig-Nobelpreis zugesprochen wurde. Die Neurowissenschaftlerin forscht am University College London und hatte gezeigt, dass Londoner Taxifahrer einen größeren Hippocampus (eine zentrale Schaltregion im Gehirn) haben als Menschen in anderen Berufen. Sollte sie diesen Preis, der besonders skurrile Studien würdigt, annehmen? Sie fürchtete, dass die Zusage ihrer Karriere schaden könnte, und lehnte daher still und heimlich ab.
Drei Jahre später wandte sich der Stifter des Preises, Marc Abrahams, erneut mit dem gleichen Angebot an Maguire. Diesmal wusste sie mehr über den satirischen Preis, mit dem Forschungsarbeiten honoriert werden, die »die Menschen erst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen«. Deshalb beschloss Eleanor Maguire, den Preis diesmal anzunehmen. Auf dem Weg zur Preisverleihung sei der Taxifahrer so erfreut gewesen über ihre Forschung und seinen mutmaßlich vergrößerten Hippocampus, dass er sich weigerte, Geld für die Fahrt zu verlangen.
In der Folge geschah genau das Gegenteil von dem, was Maguire befürchtet hatte: »Der Preis war extrem nützlich für meine Karriere, weil die Menschen nun darüber sprechen wollten.« Plötzlich sei auf den Titelseiten über ihre Forschung berichtet worden, »was die Leute sehr beeindruckte«.
So sei sie beispielsweise einmal als »das berühmteste Mitglied« eines Gremiums vorgestellt worden, dem aber auch drei Nobelpreisträger angehörten. »Das Gespräch drehte sich anschließend nur noch um Taxifahrer, nicht um die Arbeit der Nobelpreisträger.«
»Ich habe immer wieder Leute getroffen, die unwissentlich sehr lustige Dinge erforscht haben, von denen aber fast niemand je erfahren hat«Marc Abrahams, Gründer des Ig-Nobelpreises
Andere Forscher erzählen ähnliche Geschichten über die berühmte – manche würden sagen »berüchtigte« – Auszeichnung. Abrahams hatte den Ig-Nobelpreis 1991 ins Leben gerufen, nachdem er jahrelang Beispiele für seltsame Forschungsarbeiten gesammelt hatte, die er im mittlerweile eingestellten »Journal of Irreproducible Results« veröffentlichte, dessen Herausgeber er damals war. »Ich habe immer wieder Leute getroffen, die unwissentlich sehr lustige Dinge erforscht haben, von denen aber fast niemand je erfahren hat.«
Die Reaktionen aus der Welt der Wissenschaft sei anfangs gemischt gewesen, sagt Abrahams. Dabei sei das Ziel des Ig-Nobelpreises nie gewesen, der Karriere von irgendjemandem zu schaden, betont er. 2023 gingen mehr als 9000 Nominierungen für den Preis ein – ein Zeichen dafür, wie sehr er über die Zeit gewachsen ist.
Etliche Forscher, die einen »Ig« gewonnen haben, sind sich einig darin, dass das nicht nur Spaß gemacht, sondern auch ihrer Karriere geholfen hat. Sie erreichen nun ein breiteres Publikum und können mit der Öffentlichkeit über ihre Arbeit sprechen. Hier sind einige ihrer Geschichten.
Der Mann mit den Enten
Der Ornithologe Kees Moeliker hätte nie gedacht, dass sich eines Tages andere Menschen für seine Forschung zu seltsamem Tierverhalten interessieren würden. Im Juni 1995 hörte er in seinem Büro im Naturhistorischen Museum im niederländischen Rotterdam plötzlich einen lauten Knall. Eine Ente war gegen die Glaswand des Gebäudes geflogen. Als er nach dem Tier schauen wollte, sah er, wie eine andere Ente auf die tote Ente kletterte und sie vergewaltigte. Es war der erste dokumentierte Fall von homosexueller Nekrophilie bei Enten, sagt Moeliker, der sechs Jahre später über seine Erkenntnisse berichtete. Er rechnete damit, dass nur eine Hand voll Leute die Arbeit lesen würde, doch dann erhielt er 2003 einen Anruf, in dem ihm der Ig-Nobelpreis angeboten wurde.
»Nachdem ich den Preis gewonnen hatte, fand meine Arbeit eine riesige Leserschaft, und die Leute schickten mir immer wieder Dinge, über die man in den großen Fachzeitschriften nichts liest«, sagt er. »Ich habe eine riesige Sammlung von Fällen mit außergewöhnlichem Tierverhalten.«
Das Entenpapier und der Ig-Nobelpreis markierten einen Wendepunkt für Moeliker. Er wurde als »der Entenmann« bekannt und veröffentlichte ein Buch mit dem gleichen Namen: »De eendenman« (2009; auf Niederländisch). Im Jahr 2013 hielt er einen TED-Vortrag mit dem Titel »Wie eine tote Ente mein Leben veränderte«.
Seit dem Ig-Nobelpreis widmet Moeliker einen großen Teil seines Lebens nicht nur seiner ungewöhnlichen Forschung, sondern auch der Wissenschaftskommunikation. Als Direktor des Naturhistorischen Museums hat er seine Verbindung zu den Ig-Nobelpreisen aufrechterhalten. Heute gehört er der Jury an und informiert Preisträger in Europa regelmäßig über ihre Nominierung.
Unter seinen Lieblingslaureaten ist ein Forscherpaar, das sich als Eisbären verkleidet hatte, um zu untersuchen, wie Rentiere in der Arktis darauf reagieren, erinnert er sich: »Als ich sie anrief, fingen sie vor Freude an zu schreien.« Solche Erlebnisse habe er immer wieder.
Experimente in der Nacht zum Freitag
Der einzige Mensch, der sowohl einen Ig- als auch einen richtigen Nobelpreis erhalten hat, ist Andre Geim. Der Physiker forscht an der University of Manchester und bekam im Jahr 2010 den Nobelpreis für Physik zugesprochen »für grundlegende Experimente mit dem zweidimensionalen Material Graphen«. Den Ig-Nobelpreis hatte er bereits ein Jahrzehnt zuvor für eine ganz andere Arbeit erhalten: Er hatte einen Frosch mit Hilfe eines starken Magneten zum Schweben gebracht.
Das Ganze nahm seinen Anfang an einem gewöhnlichen Freitagabend an der Radboud-Universität im niederländischen Nimwegen. Geim hatte Wasser in einen starken 16-Tesla-Magneten geschüttet und dabei festgestellt, dass es sich in die Luft erhob. Die schwebenden Tropfen verblüfften ihn und seine Kollegen, denn sie schienen das bisherige Wissen über Magnetismus zu widerlegen.
Es schlossen sich eine Reihe weiterer Experimente mit schwebenden Objekten an – bis hin zu einem kleinen Frosch (der seinen wilden Ritt im Übrigen unbeschadet überstand).
Als Geim der Ig-Nobelpreis angeboten wurde, hatte er als Nachwuchswissenschaftler zunächst ähnliche Bedenken wie Eleanor Maguire und zögerte, ihn allein anzunehmen. Er mutmaßte, dass es besser wäre, einen etablierten Forscher an seiner Seite zu haben, und wandte sich an Michael Berry, einen theoretischen Physiker an der University of Bristol und Mitautor der Arbeit, in der der schwebende Frosch beschrieben wurde.
Dank Neugier zum Nobelpreis
Geim spricht oft über sein Frosch-Experiment und wie wertvoll es ist, wenn Wissenschaft von Neugier angetrieben wird. An einem anderen Freitagabend, mehrere Jahre nach dem Frosch-Experiment, klebten Geim und Konstantin Novoselov, der mittlerweile an der National University of Singapore arbeitet, ein Stück Klebeband auf Graphit, was zur Entdeckung von Graphen führte – und schließlich zu ihrem gemeinsamen Nobelpreis.
Geim und Maguire sind nicht die einzigen Ig-Nobelpreisträger, die zunächst dem Preis gegenüber skeptisch waren. Abrahams weiß das und sorgt vor: Er und seine Kollegen nehmen Monate vor der Preisverleihung vertraulich Kontakt zu den potenziellen Gewinnern auf und bieten ihnen an, die Auszeichnung anzunehmen oder abzulehnen. Außerdem bittet Abrahams Nobelpreisträger, die Preise bei der jährlichen Zeremonie zu überreichen. »Die Anwesenheit dieser angesehenen Personen macht es viel schwieriger für jemanden, zu dem Schluss zu kommen, dass wir Schaden anrichten wollen«, sagt er.
Dennoch gibt es auch Kritik von Preisträgern. Eric Topol, Kardiologe am Scripps Research Institute in La Jolla, Kalifornien, ist Mitglied einer Gruppe von fast 1000 Personen, die 1993 den Ig-Nobelpreis für Literatur für die »Veröffentlichung einer medizinischen Forschungsarbeit, die 100-mal so viele Autoren wie Seiten hat«, erhielten. Er sagt, die Studie sei durchaus ernst zu nehmen, schließlich sei sie damals die größte Herzinfarktstudie der Geschichte gewesen, mit mehr als 40 000 Teilnehmern.
Topol findet, dass der Name Ig-Nobelpreis »nicht zu den damit bedachten Arbeiten der zurückliegenden Jahre passt. Sie wurden eher um des Humors willen vergeben.« Abrahams stimmt dem zu: »Im Nachhinein wünschte ich mir, wir hätten einen anderen Namen gewählt.«
Menschliche Wasserläufer
Zuletzt wurden die Preise tatsächlich größtenteils für lustige oder leichtere Forschungsarbeiten vergeben – manchmal sogar im wahrsten Sinn des Wortes. So war es auch beim Preis 2013 für Alberto Minetti von der Universität Mailand in Italien.
Minetti erforscht die Biomechanik der Fortbewegung und interessiert sich schon lange für die Kräfte, die beim Laufen auftreten. Als er 2008 erfuhr, dass Raumsonden, die den Mond umkreisen, Hinweise auf Wasser entdeckt hatten, fragte er sich, ob ein Mensch auf dem Mond auf Wasser laufen könnte – schließlich beträgt seine Gewichtskraft auf dem Mond nur etwa 16 Prozent im Vergleich zur der auf der Erde.
Anhand mathematischer Modelle der Basiliskeneidechse (Basiliscus basiliscus) und des Zwergtauchers (Aechmophorus occidentalis) – zweier Wirbeltiere, die auf der Wasseroberfläche laufen können – berechnete Minetti, dass dies theoretisch möglich sein müsste. Anschließend testeten er und seine Kollegen ihre Berechnungen, indem sie eine Person an einem Gurtzeug befestigten, um eine geringere Schwerkraft zu simulieren. Mit Hilfe kleiner Flossen an den Füßen konnte sich ein Teilnehmer in einem Planschbecken auf der Stelle laufend über Wasser halten, berichteten die Forscher im Jahr 2012.
Im folgenden Jahr erhielt Minetti einen Anruf von Abrahams, der ihm einen Ig-Nobelpreis anbot. Auch er war sich nicht sicher, wie sich das auf seinen Ruf auswirken würde, und fragte seine Kollegen. »Die meisten sahen das sehr positiv«, sagt Minetti heute.
Spaß und Humor stehen bei den Ig-Nobelpreisen nach wie vor im Mittelpunkt. Der Physiologiepreis 2024 ging an ein Team für die »Entdeckung, dass viele Säugetiere durch den Anus atmen können«. Der Hauptautor der Studie, Ryo Okabe von der Medizinischen und Zahnmedizinischen Universität Tokio, behandelt seit mehr als 15 Jahren Patienten in der Klinik und führt gleichzeitig Forschungsprojekte durch. Die Forschung, die dem Ig-Nobelpreis zu Grunde liegt, war eine Reaktion auf die Covid-19-Pandemie. Die Forscher wollten herausfinden, ob sie eine alternative Beatmungsmethode für den Fall eines Atemstillstands entwickeln können.
»Der Preis inspiriert die Menschen, und ich hoffe, dass er auch jüngere Generationen für Wissenschaft begeistern wird«Minna Lyons, Psychologin
Er fühle sich durch den Preis geehrt, sagt Okabe. Er glaube, dass die Auszeichnung eine treibende Kraft für künftige Forschungen sein wird. »Ich habe gelernt, dass alle mit Humor und Leidenschaft in ihrem jeweiligen Forschungsbereich tätig sind.«
Preis macht Wissenschaft populär
Der Ig-Nobelpreis hat seit dem Start vor mehr als 30 Jahren einen langen Weg zurückgelegt. Während viele Wissenschaftler der Auszeichnung anfangs misstrauten, wird sie heute vor allem geschätzt. »Das war mit Abstand eine der größten Überraschungen in meiner akademischen Laufbahn«, sagt Minna Lyons, die den Preis 2014 bekam für ihre »gesammelten Beweise dafür, dass Menschen, die lange aufbleiben, im Durchschnitt selbstverliebter, manipulativer und psychopathischer sind als Menschen, die morgens früh aufstehen«.
Die Psychologin von der britischen Liverpool John Moores University sagt, der Preis sei hervorragend geeignet, um Wissenschaft in die Bevölkerung hineinzukommunizieren, denn er mache Forschung populär. Der Ig-Nobelpreis sei daher eine der angesehensten akademischen Auszeichnungen in ihrem Fachgebiet. »Er inspiriert die Menschen, und ich hoffe, dass er auch jüngere Generationen für Wissenschaft begeistern wird.«
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.