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Politische Ikonografie: »Trump rückt in die Sphäre der Unantastbarkeit«

Blutspuren im Gesicht, die Faust unter dem Sternenbanner erhoben: Ein unwahrscheinliches, ikonisches Foto könnte Donald Trump die Aura einer Heilsfigur verleihen, sagt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp im Interview.
US-Präsidentschaftsbewerber Donald Trump reckt die rechte Faust in einen stahlblauen Himmel. Er ist von Sicherheitskräften umringt. Im Bildhintergrund ist das Sternenbanner der USA zu sehen.
Donald Trump umringt von Leibwächtern nach dem Attentatsversuch am 13. Juli 2024.

Ein Foto macht Geschichte: Kurz nach dem versuchten Attentat von Pennsylvania reckt Donald Trump kämpferisch die Faust in den stahlblauen Himmel, hinter ihm das Sternenbanner der USA. Was wie ein perfekter Schnappschuss wirkt, ist jedoch kein reines Zufallsprodukt. Ein Gespräch mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp von der Berliner Humboldt-Universität über die geradezu unwirkliche Komposition des Bildes, seine Bezüge zu Schlüsselwerken der Kunstgeschichte und die mögliche Wirkung speziell auf Trumps Anhänger.

Herr Professor Bredekamp, der Fotograf Evan Vucci hat am Wochenende ein ikonisches Bild des US-Präsidentschaftsbewerbers Donald Trump aufgenommen, kurz nachdem dieser einen Attentatsversuch knapp überlebt hatte – zweifellos ein heißer Kandidat für das Pressefoto des Jahres. Was geht Ihnen als Kunsthistoriker beim Betrachten durch den Kopf?

Mein erster Eindruck bezog sich auf die Unwahrscheinlichkeit dieses Bildes. Um feststellen zu können, ob ein Bild authentisch ist, benötigt man den Kontext, also die Beschreibung der Umstände seiner Entstehung, auch die Zeugenschaft von Dritten. Durch die Fernsehübertragung der Szene des Attentats besteht an der Wahrheit dieses Bildes aber kein Zweifel. Die Aufnahme ist echt. Und doch wirkt sie als Ganzes und in jedem Detail wie gestellt. Dies ist in Kommentaren auch sofort intuitiv herausgestellt worden.

Horst Bredekamp | Der Experte für politische Ikonografie ist Professor für Mittlere und Neuere Kunstgeschichte am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin.

Auch wenn Wahlkampfauftritte durchgeplante Arrangements sind: Die Bildkomposition war so nicht planbar, ein Stückweit handelt es sich ja um einen Schnappschuss – und dennoch wirkt er so inszeniert. Welche Geschichte erzählt Ihnen das Bild?

Dieses Bild wirkt nicht nur durch die Geste des kämpferischen Triumphes in Form der erhobenen Faust, sondern auch durch die Begleitpersonen inszeniert – vor allem, wenn die Fotografie nur im Ausschnitt gezeigt wird, wie dies von Beginn an meist geschah. Da ist die schützend sich vorbeugende Gestalt ganz links, aus der die Fahnenstange herauszuwachsen scheint, dann die Frau, die sich wie eine Schutzmantelmadonna um den Oberkörper von Trump legt, und rechts die so gut wie unbewegt wirkende Gestalt des Kombattanten, über dessen Kopf sich die amerikanische Flagge ausbreitet und der Robustheit darstellt. Diese drei bilden die Basis, über der sich der Gezeichnete erhebt, die Faust gereckt und den Mund zum Schrei in einer Anspannung öffnend, als würde er die Soldaten in Leonardo da Vincis Szene der »Anghiari-Schlacht« antreiben.

Anghiari-Schlacht | Das auch unter dem Titel »Tavola Doria« bekannte Ölbild wurde Leonardo da Vinci (1452-1519) zugeschrieben, ist aber möglicherweise nur eine Kopie nach ihm.

Wie beschreiben Sie die Komposition des Bildes?

Das Bild ist pyramidal aufgebaut: Es entsteht ein Dreieck, in dessen Mitte das Gesicht des Protagonisten erscheint. Die Schenkel werden links von der Fahnenstange und rechts vom unteren Ende des wehenden Banners Amerikas gebildet. All das wirkt derart arrangiert, dass sich unwillkürlich der Eindruck einer Fügung einstellt, die über die Möglichkeiten des Zufalls hinausgeht. Das macht diese Aufnahme so unheimlich. Tatsächlich ist das Bild kein reiner Schnappschuss, sondern das Produkt eines preisgekrönten Fotografen, eines Profis, der sich auch in Kriegsgebieten zu bewegen versteht. Vucci erkannte die Situation sofort und nahm eine Position ein, von der aus dann die von unten kommende Perspektive entstand.

Mich erinnert das Bild an Eugène Delacroix' Gemälde »Die Freiheit führt das Volk«. Vor dieser Blaupause wäre Trump die Symbolfigur der Freiheit, die die Massen anführt, um einen undemokratischen, rückwärtsgewandten Machtapparat zu zerschlagen – eine Rolle, die sicherlich zusagt. Mit welchen Schlüsselwerken der politischen Ikonografie vergleichen Sie das Bild? Steht es schon heute in einer Traditionslinie?

Woran ich unmittelbar auf Grund der Verbindung von Pyramidalkonstruktion, Flagge und Siegespose denken musste, war Joe Rosenthals Fotografie des Hissens der Flagge durch amerikanische Soldaten auf Iwojima am 23. Februar 1945. Im religiösen Bereich kommen einem Bilder des heiligen Sebastian in den Sinn, bei dem die Pfeile den Körper durchbohrt haben, sich aber keine Anmutung von Tod einstellt. Das geradezu irre Ereignis, dass die Kugel allein Trumps Ohr verletzte und dünne Blutfäden auf seiner Wange hinterließ, lässt auch an den Schmerzensmann, den leidenden Christus, denken, unter dessen Dornenkrone Blutbahnen über das Gesicht laufen.

Eroberung von Iwojima | Am 23. Februar 1945 hissen US-Marineinfantristen für eine gestellte Aufnahme auf dem Berg Suribachi auf der Insel Iwojima die erste US-Flagge auf japanischem Territorium im Zweiten Weltkrieg. Das Bild des Fotografen Joe Rosenthal ging in das kollektive Gedächtnis der USA ein und wurde weltweit bekannt.

Wie verlief die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte dieser Werke?

Die Fotografie von Iwojima wurde weit über 100 Millionen Mal reproduziert, sie wurde als Skulptur nachgebildet und schließlich im Arlington Ridge Park in direkter Nachbarschaft zum Nationalfriedhof in Arlington in Form einer haushohen Bronzegruppe verewigt. In ihrem figürlichen Pathos inspirierte sie auch die Bronzegruppe der »Drei Soldaten«, die auf der National Mall in Washington D.C. an die Gefallenen des Vietnamkrieges erinnert. Es wird sich zeigen, wie sich die Aufnahme von Vucci über Reproduktionen und Variationen in den sozialen Netzen, aber auch in der analogen Welt verbreiten wird. Seit dem Mittelalter haben Menschen Bilder vervielfältigt, die sie für wundertätig hielten. Wenn etwas Ähnliches auch mit dem Bild von Trump geschieht, dann dürfte das seine Wirkung noch steigern.

Aus der Vielzahl der Bilder vom Ort des Attentats in Butler, Pennsylvania, hat sich dieses eine Foto in den sozialen Medien binnen kürzester Zeit durchgesetzt. Wie bewerten Sie diesen Umstand?

So fatal die Erfolgsgeschichte dieser Aufnahme auch sein dürfte, so zeigt sie doch, dass die Maßstäbe der Form jenseits von allen Inhalten und ideologischen Überzeugungen erkannt werden. Das Überschütten der Welt mit Bildern, wie wir sie seit Jahren erleben, hat offenbar nicht zur Desensibilisierung der Menschen geführt. Es ist ein – ich sage dies ganz unironisch – punktgenauer Instinkt für Qualität, der den Erfolg dieser Aufnahme garantierte.

»All das wirkt so derart arrangiert, dass sich unwillkürlich der Eindruck einer Fügung einstellt, die über die Möglichkeiten des Zufalls hinausgeht«

Wenn Sie die Fotografie vor dem Hintergrund Ihrer jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Wirkungsgeschichte von politischer Ikonografie beurteilen: Wie wird das Bild im kollektiven Gedächtnis der USA und der Welt wirken?

Die unwiderstehliche und wohl auch schauerliche Wirkung dieses Bildes wird darin bestehen, dass es die Aura von Donald Trump in die Sphäre der Unantastbarkeit rücken wird. Es mutet unglaublich an, dass eine Kugel ihn nicht verfehlt oder getroffen, sondern fast verletzungsfrei lediglich gestreift hat. Dies kann als ein Zeichen empfunden werden, dass er im Sinn eines wundertätigen Körpers über einen Leib verfügt, der im Kern unverletzlich ist und der auf Grund dieser Immunität auch über Heilkraft verfügt. Ich kann mir vorstellen, dass sich in Zukunft Menschen, die von diesem Bild beeindruckt wurden, darum bemühen werden, in Trumps körperliche Nähe zu kommen, um durch Berührung an seiner vermeintlichen Heilkraft teilzuhaben.

Ikonisches Foto | Umringt von Sicherheitskräften und mit Blutspuren im Gesicht, stemmt Donald Trump am 13. Juli 2024 bei einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, kämpferisch die Faust in den Himmel. Kurz zuvor hatte ihn der Streifschuss eines Attentäters am Ohr verletzt, woraufhin er zunächst zu Boden gegangen war.

Das erinnert an die Geschichte der »blutflüssigen Frau« aus dem Neuen Testament. Laut dem Evangelisten Markus gelang es ihr, Jesus Christus im Menschengedränge zu berühren, wodurch sie von ihrer Krankheit geheilt wurde. Jesus kommentiert dies anschließend, indem er ihr bekundet, dass ihr Glaube sie geheilt habe.

Auch dies erscheint mir als eine zulässige, wenn nicht zwangsläufige Assoziation. Es kommen auch Blutbilder Christi in Frage, die diesen Aspekt zum ikonografischen Hauptthema machen. Die Feinheit der Blutbahnen ist etwa in Fra Angelicos Wiener Zeichnung einer Kreuzigung als eine Art Muster zu sehen.

Sie haben stets die autonome Kraft des Bildes gegen konstruktivistische Kunsttheorien verteidigt. Demnach funktioniert ein Bild nicht nur in der Wahrnehmung des Betrachters, sondern es besitzt auch eine eigene, ihr innewohnende Wirkung. Können Sie Ihre Theorie des Bildakts anhand des Trump-Fotos erhärten?

Ich habe in meinem Versuch, die Aktivität von Bildern unter dem Begriff des Bildaktes zu definieren, als dritte Kategorie die »intrinsische Formkraft« bestimmt, die sich unabhängig von allen Inhalten auf Grund der Gestalt und deren Eindringlichkeit einstellt. Und genau das scheint mir bei der Aufnahme von Vucci in höchstem Maß gegeben. Es ist nicht originell zu sagen, dass diese Fotografie in jeder Hinsicht perfekt ist und dass sie aus diesem Grund umgehend zu einer Ikone geworden ist und vermutlich Geschichte schreiben wird. Diese Aufnahme ist purer, aus sich selbst heraus wirkender Bildakt.

»Diese Aufnahme ist purer, aus sich selbst heraus wirkender Bildakt«

Im Zeitalter von Social Media und Memes sind Bilder in der politischen Kommunikation vielleicht wichtiger denn je – und lassen sich inzwischen mit KI-Werkzeugen täuschend echt fälschen. Welche Bedeutung hat es, dass die Welt durch die Videomitschnitte des Attentats sicher sein kann, dass das Foto von Vucci absolut authentisch ist, so inszeniert es auch wirken mag?

Auf den ersten Blick meint man, eine künstliche Intelligenz habe das Bild geschaffen. Weil es aber eine wahre Aufnahme ist, kommt dieser wie ein Schnappschuss wirkenden Fotografie der Stellenwert eines doppelt wahren Bildes zu: keinesfalls künstlich digital hergestellt und keinesfalls inszeniert, sondern authentisch aus der Situation heraus entstanden. Das Fernsehen hat die Fotografie beglaubigt – ähnlich wie den Einschlag des zweiten Flugzeuges in die Twin Towers am 11. September 2001. Das Fatale daran: Menschen verorten diese Aufnahme intuitiv in die Kategorie der nicht von Menschenhand gemachten Bilder, der »Acheiropoieta«. Die messianischen Züge, die dem Dargestellten von Teilen seiner Anhängerschaft zugeschrieben werden, dürften nur mehr schwer aufzubrechen sein.

Entgleitet die Wirkung des Werkes seinem Urheber?

Ironischerweise stimmt der Fotograf, soweit dessen Vita diesen Schluss erlaubt, mit der Wirkung seiner Aufnahme wohl kaum überein. Aber auch dies gehört zum Bildakt: dass der Schöpfer über die Eigenmacht des Werkes nicht oder nicht notwendig entscheidet. Wer dies nicht mitbedenkt, wird keine Distanz zwischen sich und die Bildmacht bringen können.

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