Naturschutz: Die Palmfarndiebe
Sie kommen bei Vollmond, schleichen durch die Wälder und Schluchten Südafrikas auf der Suche nach ihrer kostbaren Beute. Doch sie jagen keine Nashörner oder Elefanten. Ihr Ziel sind urzeitliche Pflanzen: Zykadeen. Zu Deutsch: Palmfarne (Cycadales).
Von der Sammelleidenschaft gepackt, bezahlen Zykadeenliebhaber rund um den Globus bis zu 10 000 Euro für ein seltenes Exemplar. So groß ist die Nachfrage, dass die Urgewächse reihenweise aus Südafrikas Reservaten, botanischen und selbst privaten Gärten geklaut werden.
"Das Ausmaß der Zykadeenwilderei ist erschreckend. Schlimmer noch als die Wilderei von Nashörnern", sagt der Botaniker Philip Rousseau von der University of Pretoria. Mindestens zwei Zykadeenarten Südafrikas wurden in den vergangenen zehn Jahren ausgerottet, acht weitere Arten stehen kurz davor: Weniger als 100 Exemplare wachsen noch in der Natur. Viele davon unfähig, sich weiter zu vermehren: "Palmfarne sind zweigeschlechtlich und für die Befruchtung auf Insekten angewiesen. Stehen männliche und weibliche Pflanzen zu weit auseinander, ist es mit der Fortpflanzung vorbei", erklärt Rousseau.
"Das Ausmaß der Zykadeen-Wilderei ist erschreckend. Schlimmer noch als die Wilderei von Nashörnern"
Philip Rousseau
"Der Markt ist riesig und die Händler bestens informiert und hoch organisiert", bestätigt Niel Maritz, Rechtsanwalt in Pretoria und Besitzer einer Wildfarm in der nördlichen Provinz Limpopo. Als vor einigen Jahren ein Botaniker die Entdeckung einer neuen südafrikanischen Zykadeenart – Encephalartos cerinus – veröffentlichte, wurden innerhalb weniger Wochen so viele Exemplare am Fundort geklaut, dass die Art nun von der IUCN als "vom Aussterben bedroht" geführt wird.
Auch auf Maritzs Farm wurden Zykadeen entwendet: "In den letzten zwölf Jahren sind mehrere hundert Pflanzen verschwunden. Nur fünf oder sechs sind übrig, weil sie in völlig unwegsamem Gelände wachsen." Etwa 200 Palmfarne konnte Maritz retten, indem er sie in die Nähe seines Farmhauses in einen bewachten Garten pflanzen ließ.
Zykadeen gelten als älteste Samenpflanzen des Planeten. Ihre größte geografische Verbreitung erreichten sie im Jura und in der Kreide vor rund 200 bis 65 Millionen Jahren – also zur Blütezeit der Dinosaurier. Fossilien belegen, dass die heutigen Pflanzen ihren Vorfahren in Form und Aussehen noch immer ähneln: gefiederte, farnartige Blätter zieren einen palmenartigen Stamm.
Männliche wie weibliche Pflanzen bilden riesige, zapfenartige Fortpflanzungsorgane, die bis zu 75 Zentimeter lang und 40 Kilogramm schwer werden. Experten vermuten, dass Sauropoden und Co damals für die Verbreitung der Palmfarne sorgten, indem sie deren leuchtend roten Samen fraßen und anderswo wieder ausschieden. Als die Großfauna ausstarb, übernahmen kleine Nagetiere den Job der Saurier und sicherten so den Palmfarnen das Überleben.
Der prähistorische Hauch, der Palmfarne umgibt, hat sie zu einem begehrenswerten Kultobjekt werden lassen. "Reiche schmücken ihre Gärten mit ihnen", sagt Maritz. Für Sammler sind sie aber noch aus anderen Gründen interessant: Viele Zykadeen sind Endemiten, das heißt, sie wachsen nur in einer ganz bestimmten Region. Das wiederum bedeutet, dass viele Arten selten sind. "Dazu kommt, dass sie sehr langsam wachsen. Einen Stamm von mehreren Metern zu bilden, kann 400 bis 800 Jahre dauern", so Rousseau.
"Je größer und seltener eine Zykadee, desto wertvoller und teurer", sagt John Donaldson vom Botanischen Garten in Kapstadt und Leiter der Zykadeen-Expertengruppe der Weltnaturschutzunion (IUCN). So koste eine sehr seltene Pflanze bis zu 100 Euro pro Zentimeter, eine häufige, legal gezüchtete Art nur fünf Euro pro Zentimeter.
"In anderen Ländern steht der Lebensraumverlust im Vordergrund, nicht das illegale Sammeln. In Südafrika ist es umgekehrt"
John Donaldson
Die Gruppe der Palmfarne umfasst rund 300 Arten, die weltweit in wärmeren Breiten wachsen. Die Pflanzen sind fast überall bedroht, Südafrika nimmt aber eine Sonderstellung ein: Das Land ist mit 38 Arten ein Hotspot der Artenvielfalt – und der Wilderei. "In anderen Ländern steht der Lebensraumverlust im Vordergrund, nicht das illegale Sammeln. In Südafrika ist es umgekehrt", sagt Donaldson.
Zwar stehen alle Zykadeen Südafrikas unter Artenschutz und unterliegen CITES. Das heißt, nur mit bestimmten, gezüchteten Palmfarnarten darf gehandelt werden. Auch die Landesbestimmungen in Südafrika selbst sind äußerst streng: Wer Zykadeen in seinem Garten stehen hat, wer sie transportieren oder Handel mit ihnen betreiben will, ja, selbst wer sie erforschen will, braucht Genehmigungen.
Doch es hapert an der Umsetzung. "Es fehlt an Personal, an Geld, an Unterstützung", sagt Maritz. Er und andere Farmbesitzer haben sich schon vor Jahren zusammengeschlossen, um die Pflanzen zu schützen: Sie lagen nachts auf der Lauer, haben ihre Farmen immer wieder mit Helikoptern abfliegen lassen und haben den einen oder anderen Wilderer sogar gestellt: "Aber wenn man einen erwischt, stehen schon drei andere Schlange für den Job." Maritz spricht damit ein für Südafrika spezifisches Problem an: Die Armut vieler Menschen, ihre Perspektivlosigkeit und die damit einhergehende Bereitschaft, für 1000 Rand jeden Job zu erledigen.
"Es fehlt an Personal, an Geld, an Unterstützung"
Niel Maritz
Verschärft wird die Situation noch dadurch, dass sich die strengen Bestimmungen allzu leicht umgehen lassen: Um die Pflanzen zu transportieren, schneiden ihnen Händler die Blätter ab, so dass nur der Stamm übrig bleibt. Selbst Experten können eine seltene Zykadee dann nicht von einer häufig vorkommenden Pflanze unterscheiden. Auf diese Weise lassen sich gesammelte seltene Spezies leicht als legal gezüchtete Arten deklarieren.
Allein 2009 wurden laut der CITES-Datenbank 5000 Zykadeen exportiert. Alle wurden als künstlich vermehrte Pflanzen deklariert. "Im Dezember 2010 hat die EU Zykadeenimporte aus Südafrika gebannt, weil der Verdacht bestand, dass die CITES-Bestimmungen nicht erfüllt wurden", erzählt Donaldson. Tatsächlich macht es der Exportumfang kaum möglich, die Herkunft aller Pflanzen zu kontrollieren. Auch innerhalb Südafrikas existiert ein reger Handel. Allerdings interessieren sich hier nicht nur Sammler für die Pflanzen: Im Osten des Landes wird Palmfarnrinde in der traditionellen afrikanischen Medizin eingesetzt und entsprechend eifrig gesammelt.
Analog zur Nashornwilderei suchen Verantwortliche auch für die schwindenden Palmfarnpopulationen nach Lösungen. Manche Experten fordern ein vollständiges Handelsverbot: Damit wäre die Frage, ob es sich um illegal gesammelte oder legal vermehrte Pflanzen handelt, vom Tisch. Doch der Vorschlag wurde von Zykadeenzüchtern und –händlern heftig abgelehnt und liegt momentan auf Eis.
"Andere Experten wollen den legalen Handel weiter ausbauen. Sie hoffen, den Markt mit gezüchteten Pflanzen sättigen zu können. Zudem wollen sie Anreize für Landbesitzer schaffen, wild lebende Pflanzen zu schützen", sagt Donaldson. Bis Ende 2014 will die Regierung weitere, umfassende Regelungen zum besseren Schutz der Pflanzen verabschieden.
Bis dahin sollen Palmfarne auch mit Hilfe eines DNA-Tests identifiziert werden können. Im Rahmen des Projekts "Barcode of Life" wurden alle Zykadeen genetisch charakterisiert. Auf diese Weise ließe sich die Herkunft eines Palmfarns anhand von Samen, Blätter- oder Rindenstückchen zweifelsfrei bestimmen. Bis dahin bekommen sehr wertvolle Arten bewaffnete Wachen an die Seite gestellt oder Microchips in den Stamm injiziert, um sie sicher identifizieren zu können.
Auch die "guten" Zykadeensammler Südafrikas, die niemals eine gewilderte Pflanze kaufen würden, sorgen sich um ihre Lieblingsgewächse. Sie haben das Internetforum "Cycadfriends" gegründet, um Tipps und Tricks zur Haltung und Aufzucht der archaischen Gewächse auszutauschen. Registrieren kann man sich nur unter vollem Namen, um Missbrauch zu verhindern. Viele der Mitglieder kennen das eine oder andere Tal, die eine oder andere Schlucht, wo man noch seltene Zykadeenarten bewundern kann. Doch sie alle sind sich einig, dass es nur eine wirksame Möglichkeit gibt, die wenigen, noch verbliebenen Zykadeen in der Wildnis Südafrikas Südafrikas zu bewahren: Ihr Standort muss absolut geheim bleiben.
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