News: Im Auge des Betrachters
Im gesamten Tierreich lassen sich Beispiele finden. So finden Wassermilben, die sich von Ruderfußkrebsen (Copepoden) ernähren, ihre Beute, indem sie von dieser verursachte Vibrationen im Wasser spüren. Bei mindestens einer Art Wassermilbe ahmt das Männchen diese Schwingungen während seines Liebeswerbens nach. Und tatsächlich erhöht es dadurch seine Chancen, ein Weibchen anzulocken. Manche Nachtfalter haben ihr Verhalten dagegen an den gefährlichsten Räuber angepaßt. Sie entwickelten die Fähigkeit, das Ultraschall-Echolot der Fledermäuse zu hören. Von diesen Faltern vermögen einige sogar, die Rufe der Fledermäuse mit der richtigen Frequenz nachzuahmen, was in erster Linie das Radarsystem des Jägers stört. Doch bei der ein oder anderen Art wurde der zugehörige sensorische Kanal weiter angepaßt und zu einem Kommunikationsmittel zwischen den Geschlechtern ausgebaut. Männliche und weibliche Tiere rufen einander jetzt mit Ultraschalltönen zur Paarung. "Jedes sensorische System ist für manche Reize empfindlicher als für andere", erklärt dazu Ryan. "Wenn den Männchen eine Reihe von Optionen zur Verfügung steht, um ihr sexuelles Interesse zu bekunden, dann werden die Weibchen jene Signale bevorzugen, auf die sie sowieso achten."
Die Verfechter dieser Hypothese müssen allerdings noch überzeugend demonstrieren, daß sie auch menschliches Verhalten erklären kann. Ryan verweist dazu auf Studien, nach denen symmetrische Körpermerkmale, vor allem Gesichtszüge, uns schöner erscheinen als asymmetrische Kennzeichen. "Die traditionelle Erklärung lautet, daß jemand mit genetischen Defekten sich nicht gleichmäßig entwickelt", sagt er. "Die Asymmetrie wird also als eine Art Warnsignal gedeutet. Eine andere Möglichkeit wäre aber, daß die menschliche Wahrnehmungsfähigkeit ganz einfach besser auf symmetrische Strukturen anspricht." Er führt weiter aus, daß Menschen symmetrische Muster schneller lernen und uns harmonische Musik mehr gefällt als dissonante Klänge, was zum Teil im Aufbau des Innenohrs begründet ist.
Der Zoologe glaubt, daß mit diesen Erklärungen die traditionellen Modelle der letzten 30 Jahre erweitert und nicht ersetzt werden. Im wesentlichen sagt die Theorie von der natürlichen Auslese aus, daß Merkmale, die zu einem besseren Reproduktionserfolg führen, bei der Partnerwahl bevorzugt werden. Zu den positiven Eigenschaften in diesem Sinne zählen bei Männchen Größe (zum Beschützen des Weibchens und der Kinder) und Territorium (als Nahrungsmittelreservoir).
Aber es gibt unangenehme Ausnahmen: Viele Weibchen haben Vorlieben für männliche Eigenschaften – wie rote Federn –, die irgendwie nicht unbedingt mit der Anzahl der erfolgreich aufgezogenen Kinder zusammenhängen. Eine gängige Erklärung liefert das "gutes Gen"-Modell. Dieses sagt aus, daß zum Beispiel rote Federn durch Gene bestimmt werden, die gleichzeitig für Eigenschaften verantwortlich sind, welche wiederum bei der natürlichen Selektion wichtig sind. Das prächtige Federkleid wäre dann also nur die werbende Verpackung. Einen anderen Ausweg bietet das Runaway-Modell, nach dem Männchen mit roten Federn sich mit Weibchen paaren, denen dies durch ihre genetische Ausstattung gefällt. So wird also nicht nur das Merkmal sondern zugleich die Vorliebe dafür weitervererbt, wodurch dann rote Federn in der Population häufiger werden.
In diesen beiden Theorien hängen die weiblichen Gene für Vorlieben mit den männlichen Genen für Merkmale zusammen. Nach der Vorstellung von Ryan dagegen hat sich die Präferenz für bestimmte Signale bereits ausgebildet, bevor die Bedeutung bei der Partnerwahl hinzukam.
In der Ausgabe vom 25. September 1998 widmete Science dem Thema einen Spezialteil. Doch bei aller Wissenschaft ist nicht anzunehmen, daß eines Tages Bierbäuche attraktiver sein oder Paare sich nach objektiven Gesichtspunkten finden werden.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 30.8.1998
"Spieglein, Spieglein ..."
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