Makabre Riten: Im Massengrab einer Germanen-Armee
Wer genau hier wann gegen wen kämpfte, ist ungewiss, sogar die Lage des eigentlichen Schlachtfelds ist unbekannt. Sicher ist nur eins: Das brutale Aufeinandertreffen der germanischen Krieger überstieg bei Weitem das für die damalige Zeit übliche Ausmaß. Mindestens 380 Opfer forderte die Schlacht, regelrechte Armeen müssen sich gegenübergestanden haben – und nicht nur aus den Dörfern der Umgebung zusammengestellte Kampftrupps.
Dass die Germanen im ersten nachchristlichen Jahrhundert in diesem Maßstab Konflikte austrugen, ist das eine Ergebnis der Ausgrabungen von Alken Enge im Osten Jütlands. Das andere Ergebnis ist ein genauerer Einblick in den Umgang der Germanen mit den Opfern der Schlacht: Es scheint, als hatten die Sieger des Konflikts die Absicht gehabt, ihre Gegner noch einmal systematisch zu zerstören.
Erste Ausgrabungen in Alken Enge, heute verlandeten Flachwasserbereichen des Mossø-Sees, wurden schon von 1956 bis 1959 durchgeführt. In den Jahren 2009 bis 2014 nahmen sich dänische Archäologen den Fundplatz erneut vor. Ein Team um Mette Løvschal von der Universität Aarhus rekonstruiert nun im Magazin »PNAS« die damaligen Ereignisse.
Sechs bis zwölf Monate hatten die Opfer der Schlacht vor sich hingerottet, bis Menschen an den Ort des Geschehens zurückkehrten. Vermutlich wurden den Gefallenen alle Wertgegenstände und metallene Trachtbestandteile abgenommen, jedenfalls fanden die Archäologen nichts davon bei den Toten. Auch kamen nur wenige Schädel zum Vorschein. Womöglich wurden die übrigen Köpfe gesondert eingesammelt und anderweitig verwendet; diejenigen, die dafür nicht taugten, wurden zu Bruchstücken zermalmt und in den See geworfen. Was Aasfresser und allgemeine Verwesung vom Rest der Leichen übrig gelassen hatten, wurde zerhackt, Fleischpartien entfernt. Gliedmaßen wurden teils zu mutmaßlichen Trophäen neu zusammengesetzt. Besonders makaber wirkt der Fund eines Stocks, auf den vier menschliche Beckenknochen gefädelt wurden. Zu welchem Zweck, ist ungewiss.
Am Ende jedenfalls warf man Rümpfe und Gliedmaßen ins Wasser, im sich bildenden Moor wurden sie über fast zwei Jahrtausende konserviert. Der rituelle Charakter dieser Behandlung zeigt, dass es den Germanen nicht einfach darum ging, die Überbleibsel der Schlacht aus der Welt zu schaffen. Womöglich wurden die Leichname sogar eigens aus der Entfernung herangeschafft. Denn Seen spielten für die Germanen eine große Rolle als Opferplätze. So wurden in späteren Jahrhunderten beispielsweise die erbeuteten Waffen der Besiegten in der Tiefe versenkt.
Über Leben und Gesellschaft der Germanen im 1. Jahrhundert n. Chr. ist vergleichsweise wenig bekannt, insbesondere was die Regionen angeht, die wie das heutige Dänemark außerhalb der direkten römischen Einflusssphäre standen. Doch auch hier, jenseits der Nordgrenze des Imperiums, dürfte das Vordringen der Römer zu Umwälzungen geführt haben, die vermutlich in kriegerischen Auseinandersetzungen mündeten. In Alken Enge offenbaren die Skelette der Gefallenen – es handelt sich nahezu ausschließlich um Männer zwischen 20 und 40 Jahren – die typischen Wunden eines Kampfs mit Speeren, Äxten und Schwertern. Anders jedoch als bei Berufskämpfern, wie sie etwa im Dienst der römischen Armee standen, fanden sich bei ihnen kaum verheilte Verletzungen aus früheren Konflikten: Für viele, deren Knochen jetzt aus dem Boden gegraben wurden, war es wohl die erste und letzte Schlacht ihres Lebens.
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