Psychische Störungen: Immer mehr Deutsche bekommen eine Depression diagnostiziert
Bei rund jedem sechsten bis siebten Deutschen wurde schon einmal eine Depression diagnostiziert, darunter doppelt so viele Frauen wie Männer. Das belegen Statistiken der bundesweiten NAKO Gesundheitsstudie sowie der gesetzlichen Krankenkassen. Letztere zeigen: Im Verlauf von knapp zehn Jahren hat der Anteil der Diagnosen um rund ein Viertel zugenommen. Den stärksten Anstieg gab es bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren: Bei ihnen verdoppelte sich die Rate nahezu.
Die Daten der gesetzlichen Krankenkassen umfassen rund 87 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, erläutert das Team um Epidemiologin Annika Steffen vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland. Gezählt wurden Personen mit mindestens einer der folgenden Diagnosen: »depressive Episode«, »wiederkehrende depressive Störung« oder »Dysthymie«, einer chronischen Form von depressiver Verstimmung. Menschen mit Depressionen empfinden typischerweise nur noch wenig Freude; viele fühlen sich müde, leer und antriebslos, können sich nur schwer konzentrieren und haben Probleme, ein- oder durchzuschlafen. Auch das Selbstwertgefühl sinkt häufig.
Die Prävalenz – die Rate der Erkrankten – stieg laut Krankenkassenstatistik zwischen 2009 und 2017 von 12,5 auf 15,7 Prozent der Bevölkerung. Bei Jugendlichen zwischen 15 und 19 Jahren war mit plus 95 Prozent der stärkste Zuwachs zu verzeichnen, dann folgte die Gruppe der jungen Männer bis 25 Jahre mit plus 72 Prozent. Überhaupt holten die Männer auf: Bei ihnen nahm der Anteil der Betroffenen um 40 Prozent zu, bei Frauen um 20 Prozent. In ländlichen Regionen mit geringer Bevölkerungsdichte stiegen die Diagnosen außerdem etwas stärker an als in großen Städten.
Die Rate der Erkrankten entspricht in etwa einem ersten Ergebnis der NAKO, einer großen deutschen Langzeitstudie. Dort gaben zirka 15 Prozent der rund 100 000 befragten Erwachsenen an, dass bei ihnen schon einmal eine Depression diagnostiziert wurde.
Annika Steffen und ihre Kollegen zweifeln allerdings daran, dass tatsächlich immer mehr Menschen an Depressionen erkranken. Sie sehen andere Gründe für die steigenden Diagnosen: Die Gesundheitsversorgung für psychisch Kranke sei ausgeweitet worden, das kulturelle Verständnis von psychischer Gesundheit habe sich gewandelt, und die Menschen achteten vermehrt auf psychische Belastungen. Denkbar sei auch, dass andere Erkrankungen fälschlicherweise als Depressionen diagnostiziert würden. Nicht zuletzt seien Betroffene heute womöglich eher bereit, sich professionelle Hilfe zu suchen. Vor allem bei Männern lasse sich eine solche Tendenz nachweisen, schreiben Steffen und ihr Team. Dass sich die Erkrankungsraten von Männern und Frauen angleichen, könne am Wandel der Geschlechterrollen liegen.
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