Nach ihrer Jugend beginnt für die kleine Meeresschnecke Cripidula adunca der gemütliche Teil des Lebens: Sie verschweißt sich mit der Schale größerer Schnecken und macht es sich dort auf Dauer bequem, um Energie sparend in der Welt herumzukommen. Allerdings ist die kleine Schnecke dabei erstaunlich wählerisch, denn sie setzt sich fast ausschließlich auf den Gehäusen von Calliostoma ligatum fest, obwohl immer auch genügend Exemplare der ähnlich großen und verwandten Schnecke Margarites pupillus als Dauertransporter zur Verfügung ständen. Dafür muss es einen guten Grund geben, meinten nun Emily Herstoff und Erika Iyengar vom Muhlenberg College in Alletown, USA. Wahrscheinlich, so die Forscher, ist ein Fehler bei der Wohnortwahl schlicht lebensgefährlich.
Die Forscher schließen das nach einer gründlichen Untersuchung des Rätsels vor Ort. Im typischen Lebensraum der Weichtiere – einem Strandsaum der San-Juan-Inseln an der Westküste der USA – ermittelten sie zunächst, welchen Gefahren die Schnecken ausgesetzt sind. Besonders häufig und ernsthaft bedroht werden die großen Calliostoma- und Margarites-Schnecken hier nicht etwa von hungrigen Fischen, erkannten Herstoff und Iyenar, sondern von räuberischen Seesternen wie Leptasterias hexactis.
Crepidula adunca auf mobiler Wohnstatt | Zwei Crepidula adunca haben sich auf einer Weichtierschale niedergelassen. Wird ihr Untergrund gefressen, so haben auch die sessilen Schnecken ein Problem: Zwar können sie sich im Prinzip recht rasch von ihrem Wahluntergrund ablösen und dem Gefressenwerden womöglich entgehen, ihre Schale hat sich aber im Lauf der Zeit an die spezifische Kurvatur des heimischen Untergrundes perfekt angepasst. Einen neuen, passenden Transportwirt zu finden wird dadurch schwer bis unmöglich.
Auf solche Attacken ist aber nur eine der beiden Weichtierarten halbwegs gut vorbereitet, wie weitere Freilandbeobachtungen nahelegten und Laborexperimente dann bestätigten: Calliostoma ligatum – nicht aber Margarites pupillus – versucht in Gegenwart des Seesterns oder seines Geruchs, schnell zu fliehen. Dabei beschleunigt ein fliehendes Weichtier auf die erstaunliche Schneckenspitzengeschwindigkeit von bis zu 14 Zentimeter pro Minute, was den typischen Seestern-Topspeed von etwa 12 Zentimeter pro Minute überschreitet. Zudem beißt die wehrhafte Schneckenspezies im Ernstfall mit ihrer Raspelzunge nach einem nahen Räuberarm, wie Videoaufnahmen belegen. Und das Defensivpotenzial scheint sich auszuzahlen: Während Calliostoma dem Seestern oft entkommt, endet Margarites deutlich häufiger im Magen von Leptasterias.
So entstehe also ein deutlich stärkerer Räuberdruck auf die Margarites-pupillus-Population, konstatieren die Wissenschaftler – und genau dies habe schließlich dafür gesorgt, dass die sessilen Cripidula adunca sich im Lauf der Evolution auf Calliostoma ligatum als Transportwirt spezialisiert haben: Ihr eigenes Schicksal ketten sie lieber an den wehrhaften und seltener verspeisten Wirt. (jo)
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