Autoimmunkrankheiten: Wie das Immunsystem wieder normal werden könnte
Bei Diabetes Typ I zerstört das Immunsystem körpereigene insulinproduzierende Zellen. Um die bedrohliche Erkrankung eingehender erforschen zu können, entwickelten Fachleute um den Immunologen Pere Santamaria von der University of Calgary in Kanada im Jahr 2001 eine neue Methode. Hierbei markierten sie mit Hilfe von Nanopartikeln aus Eisenoxid bestimmte Abwehrzellen in Mäusen. Daraufhin gelang es ihnen, zu beobachten, wie diese zu der Autoimmunkrankheit beitrugen.
Der Erfolg brachte Santamaria auf eine kühne Idee: Vielleicht könnte man die winzigen Partikel auch therapeutisch einsetzen. Etwa, um die Immunzellen, die die Krankheit verursachen, gezielt zu bekämpfen. Santamarias Ansatz schien spekulativ, doch er beschloss, es dennoch zu versuchen. Mehr als zwei Jahrzehnte später steht seine Therapie kurz vor klinischen Tests mit Betroffenen.
Seit mehr als 50 Jahren versuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, jene Zellen zu zähmen, die für Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ I, Lupus und multiple Sklerose verantwortlich sind. Die meisten Medikamente, die dazu im Stande sind, unterdrücken nahezu die gesamte Immunreaktion. Das lindert die Symptome zwar häufig, zugleich steigt aber das Risiko für Infektionen und Krebserkrankungen.
Neuartige Therapeutika sollen ohne solche Nebenwirkungen auskommen. Ein Ansatz zielt etwa darauf ab, die Immuntoleranz bei Betroffenen wiederherzustellen. So bezeichnet man die Fähigkeit der Abwehrzellen, nur fremdartige »Eindringlinge« als Gefahr zu erkennen und zu attackieren – und alle Moleküle zu ignorieren, die im gesunden Organismus vorkommen. In einigen Fällen lässt sich das erreichen, indem man Menschen mit Autoimmunerkrankungen geringe Mengen jener körpereigenen Substanzen verabreicht, auf die die abtrünnigen Zellen ansprechen. Diese Strategie soll ihre Reaktionen dämpfen.
»Die Therapien, die wir aktuell für diese Krankheiten haben, sind furchtbar«Maximilian Konig, Rheumatologe an der Johns Hopkins University in Baltimore
Manche Arbeitsgruppen versuchen hierfür, krankhafte Abwehrzellen gezielt zu entfernen. Andere schleusen manipulierte Immunzellen ein, die gegen die Störenfriede gerichtet sind und die ihre Attacken auf den Körper unterdrücken. Ein solcher Ansatz, mit dem Fachleute testweise 15 Menschen mit Immunkrankheiten behandelten, erwies sich als überraschend erfolgreich. Einer der Teilnehmer war sogar noch mehr als zweieinhalb Jahre nach der Behandlung gänzlich symptomfrei.
Es braucht zwar weitere klinische Studien. Doch fallen die ebenso positiv aus, könnte sich das Leben vieler Betroffener bald verändern, vermutet Maximilian Konig, Rheumatologe an der US-amerikanischen Johns Hopkins University in Baltimore, Maryland, der auf Autoimmunerkrankungen spezialisiert ist. »Die Therapien, die wir aktuell für diese Krankheiten haben, sind furchtbar«, erklärt er. Nicht alle Patientinnen und Patienten sprechen auf sie an, und selbst wenn sie es tun, bessern sich die Beschwerden oft nur mäßig. Das Wort »Heilung« als Möglichkeit zu erwähnen, gelte »fast schon als Blasphemie«, so Konig. Doch jetzt, da einige Ergebnisse zu neuartigen Therapeutika vorliegen, scheint eine langfristige Symptomfreiheit plötzlich in Reichweite.
Wenn der Freund zum Feind wird
Die zentrale Aufgabe des Immunsystems ist es, Krankheitserreger zu bekämpfen, die in den Körper gelangt sind. Um das zu tun, muss es zwischen fremd und eigen unterscheiden und seine Reaktion genau auf die Gegebenheiten abstimmen. Denn sobald Immunzellen körpereigenes Gewebe als Bedrohung betrachten und es angreifen, können sie damit erheblichen Schaden anrichten. Die Körperabwehr besteht aus zwei Teilen, einem angeborenen und einem erworbenen. Letzterer ist für gezielte Angriffe auf Eindringlinge zuständig und besteht vor allem aus Lymphozyten. Diese teilen sich auf in T-Zellen, die normalerweise fremde oder kranke Zellen erkennen und attackieren, und B-Zellen, die Antikörper produzieren und das Immunsystem auf andere Weise unterstützen. Schon früh in ihrer Entwicklung werden Zellen aussortiert, die das körpereigene Gewebe angreifen. Doch jener Prozess, die so genannte zentrale Toleranz, ist nicht 100 Prozent treffsicher, erklärt Jeffrey Hubbell, Chemieingenieur an der University of Chicago. Einige fehlentwickelte Zellen schlüpfen durch das Netz. Daher besitzt der Körper einen weiteren Sicherheitsmechanismus, die periphere Toleranz. Damit entfernt oder entschärft er abtrünnige Zellen, oder er wandelt sie in regulatorische T-Zellen um. Letztere unterdrücken Immunreaktionen, indem sie andere Teile der Körperabwehr von der Attacke abhalten.
Bei Autoimmunerkrankungen versagt sowohl die zentrale als auch die periphere Toleranz. Die Gründe hierfür sind noch nicht vollständig geklärt, die Folgen sind jedoch gut beschrieben: Das Immunsystem Betroffener attackiert Teile eigener Zellen und Gewebe, die die Körperabwehr fälschlicherweise als fremd einstuft – so genannte Autoantigene. Dazu bildet sie Antikörper aus, die sich spezifisch gegen diese Antigene richten. Alle Zellen, die sie tragen, werden damit als Angriffsziel markiert. Bei multipler Sklerose richtet sich das Immunsystem so gegen Myelinscheiden, die die Fortsätze vieler Nervenzellen umgeben. Bei Zöliakie veranlasst Gluten Abwehrzellen dazu, die Darmschleimhaut anzufallen. Aus dem Mechanismus lässt sich gleich eine mögliche Behandlungsstrategie ableiten: Gelänge es, die für das Störfeuer verantwortlichen Zellen ruhigzustellen oder auszuschalten, könnte man solche Krankheiten im Keim ersticken. Die Strategie würde auch die Fähigkeit des Immunsystems erhalten, auf echte Bedrohungen zu reagieren.
Anfänglich versuchten Fachleute, dieses Ziel zu erreichen, indem sie Erkrankten große Mengen des problematischen Antigens verabreichten. Das sollte die fehlentwickelten Immunzellen ermüden oder gar vollständig inaktivieren. Zahlreiche Forschungsgruppen haben eine solche Form der Desensibilisierung getestet – mit gemischtem Erfolg. Die Krux des Ansatzes ist es, so erklärt Jeffrey Bluestone, Immunologe und Geschäftsführer sowie Mitbegründer von Sonoma Biotherapeutics in South San Francisco, die richtige Dosis und Art der Antigene zu finden. Die Behandlung soll die Immunzellen nämlich ausreichend stimulieren, um ihre Toleranz zu erhöhen. Zugleich gilt es jedoch, ihre komplette, zerstörerische Abwehrreaktion zu vermeiden. Diese Balance zu treffen, sei der Kern solcher antigenspezifischer Therapien.
Den Schalter umlegen
Die Wahl des geeigneten Antigens kann sich als schwierig erweisen. Manche Autoimmunkrankheiten beruhen zwar auf einer Abwehrreaktion gegenüber einem einzelnen kleinen Molekülabschnitt – genannt ein Epitop – eines Antigens. Doch bei vielen, darunter multiple Sklerose, Diabetes und rheumatoider Arthritis, richtet sich die Immunantwort gegen mehrere Epitope und Antigene. Forschende könnten versuchen, alle beteiligten Antigene und Epitope zu identifizieren, sagt Bluestone. Aber das sei ein schwieriges Unterfangen, vor allem weil die Liste sich sogar von Person zu Person unterscheiden kann.
Ein anderer Ansatz sucht nach einer Art Hauptschalter, der die unerwünschte Autoimmunreaktion ausschaltet, während der Rest des Immunsystems intakt bleibt. Santamaria glaubt, einen solchen Mechanismus entdeckt zu haben. Die Nanopartikel seines Teams – getauft »Navacims« – agieren sozusagen als Köder für T-Zellen. Sie sind mit bestimmten Proteinen gespickt, die zentral an der Immunerkennung mitwirken: den Eiweißen des Haupthistokompatibilitätskomplexes, kurz MHC. Die Moleküle ragen wie Stacheln aus der Oberfläche der Partikel heraus. Sie imitieren die MHC-Proteine von antigenpräsentierenden Zellen. Derartige Immunzellen nehmen Antigene aus dem ganzen Körper auf und zeigen sie dann an ihrer Oberfläche den T-Zellen. Zugleich signalisieren sie ihnen, ob das Molekül eine Bedrohung darstellt oder nicht (siehe »Wege zur Toleranz«).
Nachdem Santamaria herausgefunden hatte, dass die Navacims T-Zellen anlocken, untersuchte er, ob sich dies therapeutisch nutzen ließe. Er spekulierte, dass die Nanopartikel jene Zellen, die gegen Autoantigene vorgehen, töten oder in einen Ruhezustand versetzen könnten. Damals arbeitete Santamaria mit einem Mausmodell für Diabetes Typ I, bei der T-Zellen Tausende von Epitope erkennen. Deshalb entwickelte der Immunologe einen Cocktail aus Partikeln, die er mit acht Epitopen der Antigene bestückte. Als Kontrolle verwendete er Nanopartikel, die lediglich mit einem einzigen Epitop gespickt waren. Santamaria ging davon aus, dass diese zweite Variante keine Wirkung haben würde. Überraschenderweise dämmten jedoch beide Versionen die Diabetessymptome ein. »Das ergab überhaupt keinen Sinn«, erinnert er sich.
Es dauerte Jahre, bis er herausfand, was vor sich ging: Die Nanopartikel regten die reaktiven T-Zellen dazu an, sich zu vermehren und in regulatorische T-Zellen umzuwandeln. Letztere wanderten anschließend zum Ort der Entzündung, wo sie sich an antigenpräsentierende Zellen hefteten und sie deaktivierten. Die antigenpräsentierenden Zellen trugen aber nicht nur das Antigen, das die T-Zellen erkannten, sondern zusätzlich hunderte weitere, die bei Diabetes eine Rolle spielen. Nun waren sie nicht mehr in der Lage, andere Immunzellen zu aktivieren, die die Krankheit anheizten. Die mit Antigenen gespickten Nanopartikel bewirkten also einen mächtigen Dominoeffekt. »Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein«, sagt Santamaria. Vielleicht ist es das sogar. Noch ist die Strategie nämlich nicht an Patientinnen und Patienten getestet worden. Santamaria hat ein Unternehmen namens Parvus Therapeutics gegründet, das alsbald mit der ersten klinischen Studie beginnen soll – zunächst mit Menschen, die an einer Autoimmunerkrankung leiden, die ihre Leber angreift.
Ein Schlüssel in der Leber
Die Leber spielt eine wichtige Rolle bei der Immuntoleranz. Mit dem Blut gelangen Antigene von Mikroben aus dem Darm in das Organ. Auch die Überreste von abgestorbenen eigenen Zellen und Geweben landen hier. Eine Arbeitsgruppe um Jeffrey Hubbell entdeckte ein bestimmtes Zuckermolekül auf den Zelltrümmern, das dafür sorgt, dass die Leber sie aufnimmt. Sie hefteten die Markierung versuchsweise an andere Moleküle an. Damit ließ sich so gut wie jedes von ihnen zur Leber navigieren – auch Selbst-Antigene wie Proteine aus den Myelinscheiden, auf die das Immunsystem bei multipler Sklerose reagiert. In einer 2023 veröffentlichten Arbeit nutzten die Forschenden den Mechanismus, um Symptome einer der multiplen Sklerose ähnelnden Krankheit bei Mäusen verschwinden zu lassen.
Besonders spannend an den Versuchen fand Hubbell, wie weit die Krankheit der Tiere vor dem Eingriff schon fortgeschritten gewesen war. Ihr Immunsystem hatte wahrscheinlich bereits auf eine Vielzahl von Antigenen reagiert. Dennoch gingen ihre Lähmungserscheinungen zurück, nachdem sein Team sie mit nur einem einzigen markierten Antigen behandelt hatte. Das von Hubbell mitgegründete Unternehmen Anokion in Cambridge, Massachusetts, arbeitet bereits an einer entsprechenden Strategie für Menschen. Eine Phase-1-Studie an Probanden mit multipler Sklerose ergab, dass der Ansatz sicher genug für weitere Tests ist. Im nächsten Schritt rekrutiert das Unternehmen Patientinnen und Patienten, um die Wirksamkeit in einer Phase-2-Studie zu testen. Geschäftsführerin Deborah Geraghty möchte noch nicht detaillierter darauf eingehen, wie die Antigenbehandlung in der Leber wirkt. »Vieles davon haben wir nicht öffentlich gemacht«, sagt sie, fügt aber hinzu: »Wir glauben, dass es eine starke regulatorische-T-Zell-Komponente gibt.«
Jeffrey Bluestone konzentriert sich auf einen anderen Ansatz. Sein Team bei Sonoma Biotherapeutics entnimmt Blut von Erkrankten, isoliert daraus regulatorische T-Zellen und verändert sie gezielt so, dass sie ein bestimmtes Antigen herstellen. Zurück im Körper des Spenders lotst dieses die Zellen zum Ort der Krankheit. Dort angekommen stellen sie kampfbereite T-Zellen ruhig – und zwar idealerweise nicht nur diejenigen, die das spezifische Antigen auf den regulatorischen T-Zellen erkennen, sondern alle dort versammelten.
Sonoma hat regulatorische T-Zellen bereits in klinischen Versuchen getestet. Allerdings waren sie noch nicht mit spezifischen Antigenen bestückt. Das Unternehmen plant erste Tests solcher bei Menschen mit rheumatoider Arthritis. Der Ansatz sei weniger riskant, als Antigene zu verabreichen, die die Autoimmunität noch verschlimmern könnten, ist Bluestone überzeugt. Außerdem stellen regulatorische T-Zellen Moleküle her, die zur Gewebsreparatur beitragen. Sie könnten helfen, einen Teil der durch die Krankheit verursachten Schäden rückgängig zu machen.
Solche Zelltherapien bringen jedoch besondere Herausforderungen mit sich. Dazu zählen hohe Kosten und unter Umständen schwere Nebenwirkungen. »Das sind lebende Medikamente«, erklärt Bluestone. Nach der Infusion vermehren sie sich im Körper. Die Frage nach der richtigen Dosis ist deshalb ebenfalls nicht leicht zu beantworten. »Wir müssen noch viel lernen«, fasst der Immunologe zusammen.
B-Zellen im Rampenlicht
Sowohl Bluestone als auch Hubbell arbeiten daran, die Körperabwehr zu mehr Toleranz zu bewegen. Währenddessen versuchen andere Forschungsgruppen krankheitsrelevante Immunzellen abzutöten. Ein Team um Georg Schett von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg erprobt etwa eine Strategie, die zur Behandlung mancher Krebsarten eingesetzt wird. Dabei entnimmt man T-Zellen aus dem Körper von Erkrankten und verändert sie so, dass sie einen synthetischen Rezeptor herstellen – den so genannten chimären Antigenrezeptor (CAR) – und an ihrer Oberfläche präsentieren. Man kann etwa einen CAR erzeugen, der an CD-19 bindet. Das ist ein Protein, das auf allen B-Zellen zu finden ist. Solche CAR-T-Zellen spritzt man dann zurück in den Körper des Patienten, woraufhin sie seine B-Zellen angreifen.
Eine 2022 veröffentlichte Arbeit enthält Ergebnisse für insgesamt 15 Testpersonen, die an unterschiedlichen Autoimmunerkrankungen litten. Acht von ihnen hatten Lupus, vier eine systemische Sklerose, die das Bindegewebe angreift, und drei lebten mit idiopathischer entzündlicher Myositis, die Muskelentzündungen und -schwäche verursacht. Ihre Symptome verbesserten sich unter der Behandlung dramatisch. Das Erstaunlichste ist jedoch, dass bei keinem von ihnen die Krankheit wieder ausbrach, nachdem ihre Körper neue B-Zellen produziert hatten. Es wirkt so, als ob das Auslöschen der B-Zellen das Immunsystem zurückgesetzt hätte.
»Die Ergebnisse sind umwerfend«, lobt der Neuroimmunologe Lawrence Steinman von der Stanford University in Kalifornien, den viele als den Vater der antigenspezifischen Therapie bezeichnen. Der erste Teilnehmer der Studie, der an Lupus erkrankt war, überschritt ohne Anzeichen einer erneuten Erkrankung im Dezember 2023 die 1000-Tage-Marke. Konig findet die Ergebnisse ebenfalls »unglaublich«. Die meisten Menschen hätten nicht im Traum auf eine derart beständige Wirkung gehofft, meint er. Doch er fügt hinzu: »Ich glaube nicht, dass wir erwarten können, dass die Krankheit bei jedem für immer verschwindet. Die T-Zellen, die für den Lupus verantwortlich sind, sind immer noch da.«
Da eine CAR-T-Zell-Therapie alle B-Zellen attackiert und tötet, ist der Ansatz nicht unbedingt der gezielteste, um die Toleranz im Körper wiederherzustellen. Bei den meisten Autoimmunkrankheiten macht nur ein kleiner Teil der B-Zellen die Störenfriede aus. Aimee Payne, Dermatologin an der Columbia University in New York City, suchte nach einem Weg, um exakt diese Zellen zu bekämpfen. Sie erforscht eine seltene Hautkrankheit namens Pemphigus vulgaris. Bei Betroffenen bildet das Immunsystem Antikörper gegen ein Protein namens Desmoglein-3 aus, das in der Haut vorkommt. »Es ist im Wesentlichen dafür verantwortlich, die Epithelzellen zusammenzuhalten«, sagt Payne. Deshalb hat die Immunattacke schwer wiegende Folgen. »Die Zellen fallen auseinander, und es bilden sich Blasen auf der gesamten Schleimhaut und auf der Haut.«
»Jedes Mal, wenn solche Strategien es in klinische Tests schafften, scheiterten sie an der Zulassung. Ich würde nicht alles auf ihren Erfolg setzen«Lawrence Steinman, Neuroimmunologe an der Stanford University
Die Standardtherapie für Pemphigus vulgaris ist ein Antikörper, der alle B-Zellen zur Zerstörung markiert. Mit den B-Zellen verschwindet auch die Attacke auf Desmoglein-3 und die Krankheit bessert sich. Solche Therapien sind ein stumpfes Schwert, findet Payne. Sie war überzeugt, dass ein abgewandelter CAR-T-Zell-Ansatz einen gezielteren Angriff ermöglichen würde: Statt einen Rezeptor zu entwickeln, der mit allen B-Zellen interagiert, könnte man T-Zellen so verändern, dass sie Desmoglein-3 erzeugen. Daraufhin würden sie sich an den Desmoglein-3-Antikörper binden – und der sitzt einzig auf der Oberfläche der schädlichen B-Zellen. Diese Behandlungsstrategie bezeichnet man als CAAR-T-Zell-Therapie (CAAR steht für chimärer Autoantikörper-Rezeptor). »Sie ist wie ein Laser«, erläutert Payne, »der auf die autoreaktiven B-Zellen abzielt, die die Krankheit verursachen, aber die gesunden B-Zellen verschont.«
Payne hat im US-amerikanischen Philadelphia ein Unternehmen namens Cabaletta Bio gegründet. Hier testet sie bereits entsprechende Zellen an Menschen mit Pemphigus vulgaris sowie an Patientinnen und Patienten mit Myasthenia gravis, einer neuromuskulären Störung, die Muskelschwäche verursacht. Payne betont, dass B-Zellen bei zahlreichen Autoimmunerkrankungen ein viel versprechendes Ziel darstellen. Sie produzieren nicht nur Antikörper, sondern senden auch Signale aus, die Entzündungen auslösen und präsentieren den T-Zellen Antigene, was die Symptomatik anheizt. In der Immunologie »haben sich alle auf die T-Zellen konzentriert, weil sie als die ›Schlauen‹ betrachtet wurden«, so Payne. »Aber vielleicht sind tatsächlich die B-Zellen der Schlüssel.«
Steinman übt sich lieber in Zurückhaltung als in zu viel Optimismus. Er hat Jahrzehnte an Ansätzen getüftelt, die auf Immuntoleranz abzielen. »Jedes Mal, wenn solche Strategien es in klinische Tests schafften – einschließlich einiger meiner eigenen Bemühungen – scheiterten sie an der Zulassung«, sagt er, und er fügt hinzu: »Ich würde nicht alles auf ihren Erfolg setzen.« Santamaria vermutet, dass viele vergebliche Versuche in der Vergangenheit darauf zurückzuführen sind, dass man die zu Grunde liegenden Mechanismen noch nicht ausreichend verstanden hatte. Nach 18 Jahren Forschung an Navacims sieht er aber gute Erfolgschancen für sein Team. Konig spricht sich wiederum für Ansätze aus, die sich gegen B-Zellen richten – die Strategie, an der seine Gruppe arbeitet. Entsprechend räumt er ein, dass er womöglich voreingenommen ist. »Das Schöne ist, dass wir letztendlich aus den Daten lernen werden, was der richtige Weg ist«, betont er.
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