Viren: Impfstoff-Boost dank Gentechnik
Pocken, Gelbfieber, Polio – Impfungen haben bereits zahllose Menschen vor gefürchteten Krankheiten bewahrt. Nicht eine Chemikalie, sondern der Erreger selbst vermittelt hier die schützende Wirkung: Bei allen drei Krankheiten werden Lebendimpfstoffe verwendet, die abgeschwächte Viren enthalten. Diese Art von Impfung ist sehr effektiv, hat aber auch ihre Tücken: Um die Impfstoffe zu produzieren, braucht es Millionen von speziellen, keimfreien Hühnereiern, in denen die Viren wachsen können. Außerdem lässt sich nicht jeder Erreger leicht in ein harmloses Virus umwandeln. In seltenen Fällen können Impfviren sogar zu alter Form zurückfinden und ungeimpfte Personen krank machen. All das macht es Forschern schwer, neue Lebendimpfstoffe zu entwickeln.
Eine neue Strategie könnte Abhilfe schaffen: Demin Zhou und Kollegen von der Universität Peking präsentieren eine Methode, die nicht nur ohne die leidigen Hühnereier auskommen, sondern zudem noch sicher und besonders vielseitig sein soll. Anwenden könnte man sie bei einer ganzen Reihe von Viren – die Forscher zeigen vorerst anhand von Grippeviren, wie es geht.
Ihre Zutaten: ein Influenzavirus vom Stamm H1N1, gentechnisch veränderte Zellen und ein molekularer Korrekturstift. Mit diesem Instrumentarium stellte das Team Viren her, die sich ausschließlich in den gentechnisch veränderten Zellen vermehren konnten. Versucht man damit Labortiere zu infizieren, passiert gar nichts: Die Viren vermehren sich nicht, das Tier bleibt gesund. Gleichzeitig lernt sein Immunsystem aber, den Angreifer zu bekämpfen. Dadurch ist es gegen eine künftige Infektion mit dem echten Virus gefeit.
Möglich machte die Wandlung vom Krankheitsauslöser zum Impfstoff ein besonderer Trick der Forscher: Sie veränderten den genetischen Kode des Virus. Mehr noch – sie erweiterten ihn. Anstatt wie üblich für 20 Aminosäuren kodierte die Erbinformation ihres Virus nun für eine Extra-Aminosäure. Dieser zusätzliche Baustein findet sich allerdings nicht in freier Natur: Es handelt sich um eine künstliche Substanz, die im Labor hergestellt wird. Da die manipulierte Erbinformation der Viren nun doch verlangt, dass der unnatürliche Baustein in die viralen Proteine eingebaut werden muss, kommen die Viren nicht mehr ohne ihn aus. Sie werden süchtig nach dem Zusatzstoff.
Doch selbst wenn diese Aminosäure vorliegt, klappt ihr Einbau nur unter ganz bestimmten Bedingungen. Hier kommen die gentechnisch veränderten Zellen ins Spiel. Nur sie können den Extra-Baustein verarbeiten. Gleich eine ganze Reihe von zusätzlichen Genen braucht es, damit die Zellen das auch schaffen. Das verleiht der Methode zusätzliche Sicherheit: Selbst wenn normale Zellen an die künstliche Aminosäure herankämen, wüssten sie nicht, wie sie sie verwenden sollten. Jede normale Körperzelle interpretiert die mutierten Stellen im genetischen Kode des Virus als Stoppzeichen – so erzeugen sie nur verkürzte Proteine. Diese Fragmente können sich nicht mehr zu kompletten Viruspartikeln zusammenlagern. Eine Sackgasse für den Krankheitserreger: Er steckt in einer Zelle fest, kann sich weder vermehren noch aus der Notlage fliehen. »Eine technisch sehr clevere Methode« nennt das die an der Studie nicht beteiligte Impfstoffexpertin Sarah Gilbert von der University of Oxford.
Optimal geschützt?
Bei Tests an Mäusen löste selbst das 1000-Fache der sonst tödlichen Virendosis keine Krankheitszeichen aus, wenn der Erreger gentechnisch manipuliert war. Viel wichtiger noch war dem Team um Zhou aber die Frage, wie es um die Immunreaktion der getesteten Tiere bestellt sein würde: Ihr Körper bekämpfte den Eindringling tatsächlich so wie ein abgeschwächtes natürliches Grippevirus. Die Forscher beobachteten einen Anstieg von Antikörpern und aktivierten Immunzellen. Drei Wochen nach der Impfung waren die Labormäuse komplett vor einer normalerweise tödlichen Dosis eines krank machenden Grippeerregers geschützt.
Das Influenzavirus ist dabei nur ein Kandidat für diese neue Methode. Womöglich kein besonders guter, denn Lebendimpfstoffe gegen Grippe gibt es bereits. Nützlich sind diese zudem nur, wenn eine Person zuvor kaum Kontakt mit den Viren hatte. Sonst hat ihr Körper das Virus bereits zuvor erfolgreich bekämpft und reagiert auf weitere Angriffe anders als beim ersten Mal. Auch die neue Impfstrategie würde wahrscheinlich allein dann optimal wirken, wenn das Immunsystem den Angreifer noch nicht kennt.
Das Forscherteam sieht trotzdem großes Potenzial in seiner Methode: Bei fast allen Viren könne man die Technik anwenden und so gleich eine Reihe von möglichen Impfstoffen erzeugen. Die Prioritätenliste der WHO ist voll von Krankheiten, für die Impfungen dringend notwendig sind. Und gerade bei dieser Gruppe von Viren – die auch gefürchtete Killer wie Ebola, Marburg und Lassa umfasst – sind die meisten Menschen noch nie mit dem Erreger in Kontakt gekommen. Die Impfstrategie sollte demnach gerade hier ihre volle Wirkung entfalten.
So raffiniert die neue Methode ist, so anspruchsvoll ist sie auch in der Umsetzung. Beispielsweise mussten die chinesischen Forscher gleich an mehreren Stellen im Genom Mutationen einfügen, denn eine einzelne hätte sich womöglich schon kurz nach Freisetzung von allein wieder zurückgewandelt. Doch der Aufwand könnte sich lohnen: »Die Welt braucht noch eine Menge neuer Impfstoffe«, sagt Sarah Gilbert, und die neue Technologie könne sicher zur Verbesserung der Situation beitragen. Selbst wenn weitere Kandidaten gefunden und entwickelt werden, ist dies jedoch erst der Anfang: »Es ist ein weiter Weg von einer interessanten Methode bis zur Zulassung einer Impfung«, erklärt die Expertin.
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