Direkt zum Inhalt

News: In 1,5 Millisekunden auf 200 Sachen

Der Ruderfußkrebs gehört zum Plankton und ist eines der häufigsten Tiere weltweit. Wissenschaftler fanden nun bei der Art Undinula vulgaris Nervenbahnen, die teilweise mit Myelin isoliert sind. Dies beschleunigt ihre Reaktionen um das Vierfache und erzwingt möglicherweise eine Revision der Lehrbuchmeinung, nach der sich Wirbeltiere gerade durch die Myelin-Isolation von Wirbellosen auszeichnen.
Die meisten Ruderfüßer sind wenige Millimeter lang und ein wesentliches Glied der marinen Nahrungskette: Sie ernähren sich von Phytoplankton und werden wiederum von Krill, Fischen und Walen gefressen – vorausgesetzt, sie schaffen es nicht, ihren Räubern zu entkommen. Dazu ermöglicht ihnen ihr Nervensystem, über winzige Antennen Gefahr auszumachen und auf diese mit Flucht zu reagieren. Sie erreichen dabei mit 200 Körperlängen pro Sekunde unglaubliche Geschwindigkeiten. Der Ruderfußkrebs Undinula vulgaris braucht 1.5 Millisekunden, bis er eine mögliche Gefahr erkennt und flüchet. Damit ist er um das Vierfache schneller als verwandte Arten. Diesen Unterschied schreiben Petra Lenz und Kollegen vom Pacific Biomedical Research Center an der University of Hawaii einer Isolierung der Nerven mit Myelin zu.

Viele Wirbeltiere, so auch der Mensch, umgeben große Teile ihrer elektrischen Verdrahtung mit mehreren Schichten des fettigen Myelins. Damit erreichen sie eine schnellere Übertragung von Nervenimpulsen über lange Strecken. Da es bei viel kleineren wirbellosen Tieren kaum große Entfernungen zu überbrücken gibt, war man bisher davon ausgegangen, daß für sie eine Myelin-Isolierung kaum von Interesse sein könnte. Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Undinula vulgaris aus der Kaneohe Bay, Hawaii, zeigen nun, daß auch diese winzigen Wirbellosen die Antennennerven mit Myelinschalen umgeben. Zusätzlich entdeckten die Wissenschaftler, daß die Ruderfußkrebs-Art mit Myelinhüllen nur 1,5 Millisekunden braucht, um das lebensrettende Fluchtverhalten auszulösen, während eine Spezies ohne myelinisierte Nerven im Vergleich dazu 6 Millisekunden benötigt. Die Biologen veröffentlichten diese Ergebnisse in Nature vom 15. April 1999.

Die Myelinisierung verschafft den untersuchten Ruderfußkrebsen einen eindeutigen Vorteil über ihre Kollegen, wenn es darum geht, Räubern schnell zu entkommen. Deshalb sind sie in allen Ozeanen weit verbreitet, besonders in offenen Gewässern. Ruderfußkrebse ohne myelinisierte Nerven neigen hingegen dazu, sich im tieferen Ozean aufzuhalten, wo es weniger Räuber gibt.

Zudem scheint die Myelin-Isolierung bei Wirbellosen und Wirbeltieren unabhängig voneinander entstanden zu sein, da sie erst bei höher entwickelten Ruderfüßern auftritt – eine Erkenntnis, die Konsequenzen für unsere Vorstellung von der Evolution haben dürfte.

  • Quellen

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.