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Infektionskrankheiten: In achtzig Tagen um die Welt

Die weltweite Ausbreitung der Lungenerkrankung Sars hat gezeigt, über welch tödliches Potenzial moderne Infektionskrankheiten in einer global vernetzten Welt verfügen. Max-Planck-Forscher haben jetzt ein mathematisches Modell vorgestellt, mit dem sich die weltweite Verbreitung von Infektionskrankheiten nicht nur beschreiben, sondern auch mit Hilfe von Computersimulationen voraussagen kann.
In der Geschichte der Menschheit haben sich immer wieder ansteckende Krankheiten lawinenartig über weite geographische Gebiete ausgebreitet und Opfer in großer Zahl gefordert. Prominente Beispiele sind die Pest-Epidemie aus dem 14. Jahrhundert, der etwa ein Viertel der damaligen Bevölkerung in Europa zum Opfer fiel, oder die "Spanische Grippe" von 1918, die mehr Opfer gefordert hat als der Erste Weltkrieg zuvor.

Mathematische Standardmodelle beschreiben die Entwicklung derartiger Epidemien bisher durch Diffusionsprozesse ganz ähnlich zu Molekülen, die in einer Flüssigkeit diffundieren und mit anderen Molekülen chemische Reaktionen ausführen können. Diese Standardmodelle sagen voraus, dass sich Epidemien in Form von Wellenfronten mit konstanter Geschwindigkeit geografisch ausbreiten. In der Tat konnte diese Art der Ausbreitung bei der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts nachvollzogen werden, die sich innerhalb von drei Jahren von Sizilien über Zentraleuropa nach Norwegen ausdehnte.

Diese diffusionsartige Ausbreitung basiert jedoch auf der Tatsache, dass Menschen in früheren Jahrhunderten nur vergleichsweise kurze Distanzen pro Tag zurücklegen konnten. Hingegen reisen die Menschen in der heutigen globalisierten Welt viel weiter, viel häufiger und vor allem – viel schneller. Das Beispiel von Sars hat gezeigt, dass das veränderte Reiseverhalten einen erheblichen Einfluss auf die Ausbreitung von Krankheiten hat. Von der Provinz Guandong in China aus hat sich der Sars-Erreger in Windeseile über Hongkong in alle Teile der Welt ausgebreitet.

Flugnetz | Das weltweite Flugnetz: Die Linien symbolisieren den Flugverkehr zwischen den 500 größten Flughäfen weltweit. Die Farbe der Linien kodiert die "Stärke" der Verbindungen, also die Anzahl der Reisenden zwischen zwei Flughäfen pro Tag. So bewegen sich beispielsweise zwischen Chicago und New York etwa 25 000 Reisende pro Tag.
Lars Hufnagel, Dirk Brockmann und Theo Geisel vom Max-Planck-Institut für Strömungsforschung und von der Universität Göttingen haben jetzt ein dynamisches Modell entwickelt, das quantitative Erkenntnisse und Vorhersagen der globalen Ausbreitung von Epidemien erlaubt. In ihrem Modell bewegen sich infizierte Individuen zwischen den verschiedenen Knotenpunkten des globalen Flugnetzes und infizieren auf diese Weise andere Individuen – ähnlich wie bei einer chemischen Reaktion. Mehr als zwei Millionen Flüge pro Woche zwischen den 500 größten Flughäfen der Welt und damit etwa 95 Prozent des gesamten zivilen Luftverkehrs haben die Wissenschaftler in ihrem Modell berücksichtigt. Parameter des Modells waren krankheitsspezifische Größen, etwa die Zahl von Sekundärinfektionen, die ein infiziertes Individuum durchschnittlich auslöst, oder Heilungs- beziehungsweise Mortalitätsraten. Die Ausbreitungs- und Ansteckungsdynamik konnten die Wissenschaftler durch einen Satz so genannter stochastischer Differenzialgleichungen beschreiben.

Auf diese Weise konnten die Göttinger Forscher nachweisen, dass große Knoten im Luftverkehrsnetz, wie London, New York oder Frankfurt, für eine rapide weltweite Ausbreitung einer Epidemie verantwortlich sind – und das weitest gehend unabhängig vom Ort des ersten Auftretens eines Krankheitserregers. Dabei ist die Kapazität des Flughafens an einem Knotenpunkt viel weniger entscheidend als der Grad seiner Vernetzung.

"Wir konnten zeigen, dass der Versuch, eine Epidemie durch Isolation der zentralen Knoten einzudämmen, sehr viel versprechend ist, während ein Blockieren der stärksten Verbindungslinien praktisch kaum einen Effekt hat", so die Forscher. "Das überraschend hohe Maß an Übereinstimmung zwischen den Vorhersagen des Modells und der von der WHO registrierten faktischen Ausbreitung von Sars legen nahe, dass man mithilfe dieses neuen Modells die fatalen Folgen zukünftiger Epidemien einschränken könnte."

So hoffen die Forscher, die Effizienz verschiedener Strategien schon vor der Durchführung von Impf- und Kontrollmaßnahmen in der Computersimulation testen und vergleichen zu können. Gerade weil sich Epidemien heute so rasant über den gesamten Globus ausbreiten können, wäre die schnelle Verfügbarkeit solcher Vorhersagen von entscheidender Bedeutung. Sie könnte letztlich zu einer Reduktion der Kosten, vor allem aber der Zahl der Opfer beitragen.

Warum befassen sich gerade Physiker mit Untersuchungen zur Ausbreitung von Epidemien? "Als theoretische Physiker sind wir gewohnt, mehr oder weniger komplexe Vorgänge in mathematische Modelle zu fassen – das gehört zu unseren Stärken", erläutert Geisel. "Im Falle der Epidemien sind unsere Modelle formal ähnlich zu Modellen, die man auch in der statistischen Physik formulieren würde. Meinem Mitarbeiter Lars Hufnagel war aufgefallen, dass die Standardmodelle für die Ausbreitung von Epidemien ungeeignet waren, um die sprunghafte globale Verbreitung von Sars zu simulieren. Es ist uns dann gelungen, ein realistischeres Modell aufzustellen und zu untersuchen – ein Beispiel für die Fruchtbarkeit interdisziplinärer Anstrengungen."

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