Globalisierung: "In China entsteht ein extrem forschungsfreundliches Klima"
Die Gewichte in der Welt verschieben sich - nicht zuletzt in den Wissenschaften. China ist auch hier auf dem Weg zur Weltmacht und holt rasant auf. Das belegt jetzt eine aktuelle Studie aus "Nature", die zeigt, dass immer mehr hochkarätige Veröffentlichungen aus dem Reich der Mitte stammen. spektrumdirekt sprach aus diesem Anlass mit Gerhard Börner vom Max-Planck–Institut für Astrophysik in Garching, der seit Langem immer wieder in China forscht und für sein Schaffen dort mit den höchsten Auszeichnungen geehrt wurde.
spektrumdirekt: Herr Professor Börner, die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen chinesischer Forscher ist in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. 2008 gingen 11,5 Prozent aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen auf chinesische Forscher zurück, und in der Fachzeitschrift "Nature" stieg die Zahl der Paper aus China von nur sechs Studien im Jahr 2000 auf 149 im Jahr 2010. Können Sie diesen Anstieg erklären?
Gerhard Börner: In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation in der Grundlagenforschung in China enorm verbessert. Die finanzielle Ausstattung der Institute ist so gut, dass im Ausland tätigen Wissenschaftlern hervorragende Angebote gemacht werden. Viele kehren nach China zurück.
Noch in den 1990er Jahren war das anders. Damals gingen zum Beispiel Jahr für Jahr alle Doktoranden der Peking Universität in Physik komplett in die USA und blieben dort. Der Spitzennachwuchs der amerikanischen Forschung wurde zu einem großen Anteil von China gestellt. Jetzt kommen junge Postdocs und Wissenschaftler zurück, weil es für sie ständig besser werdende Möglichkeiten an Universitäten und Instituten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS, Anm. d. Red.) gibt. Dies führt natürlich zu einer Zunahme wirklich guter Publikationen, ein Trend, der sich meiner Ansicht nach fortsetzen wird.
Welchen Stellenwert hat die Wissenschaft in der chinesischen Politik?
Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren das Budget für Forschung und Entwicklung stark erhöht – auf derzeit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Können Sie anhand Ihres Forschungsfeldes veranschaulichen, wie das die Arbeit der chinesischen Kollegen beeinflusst?
Die chinesischen Astronomen haben keine besonders hohen Gehälter, aber sie können im harten Wettbewerb untereinander Drittmittel für Forschung, Reisen oder Einladungen von Gästen in beträchtlicher Höhe an Land ziehen. Besuche internationaler Tagungen sind kein Problem. Verschiedene nationale Großprojekte, wie ein 500m-Radioteleskop in Guizhou, ein sub-mm-Teleskop in Tibet und die Beteiligung an internationalen Projekten bilden einen Schwerpunkt der Arbeit an den Instituten.
In den vergangenen Jahren gab es hin und wieder Berichte von gefälschten Studien chinesischer Forscher; Anfang 2010 forderte das Fachjournal "The Lancet" China auf, bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Studien einen besseren Schutz gegen Betrug sicherzustellen. Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Lauterkeit chinesischer Forschung?
Ich habe mit meinen Kollegen nie irgendwelche Erfahrungen dieser Art gemacht. Mein langjähriger Kollege und Freund Jing Yipeng vom Shanghai Observatorium hat meines Wissens noch nie einen Fehler gemacht. Alle wissenschaftlichen Dispute verliefen für ihn erfolgreich.
China ist ein Land mit einer für Europäer ganz anderen Lebensart. Konnten Sie auch Unterschiede in der Wissenschaftskultur feststellen?
Sie selbst lebten bereits 1979, als noch kaum ein deutscher Wissenschaftler China auf der Rechnung hatte, für mehrere Monate dort. Seitdem besuchen Sie das Land regelmäßig zu Konferenzen und Forschungsaufenthalten. Was hat schon damals Ihr Interesse an China geweckt?
Die chinesische Sprache und die von unseren westlichen Schriftsystemen so sehr verschiedene Schrift mit ihren Abertausenden von Schriftzeichen hatten mich schon während meiner Schulzeit fasziniert. Während meines Studiums besuchte ich dann zwei Jahre lang einen Chinesischkurs an der Volkshochschule in München. Und nach meiner Promotion war ich ein Jahr als Postdoc in Japan und kam dort dem von China geprägten Kulturkreis sehr nahe. Nachdem 1979 die Max-Planck-Gesellschaft ein Austauschprogramm mit China begann, wollte ich unbedingt dabei sein. So kam ich im September 1979 nach Peking und blieb drei Monate lang in China.
Was macht für Sie die Faszination China aus?
Es gibt vieles, das ich niemals vergessen werde. Für mich bleibt die Erfahrung, dass ich eine doch ursprünglich fremde Kultur und Lebensweise kennen lernen durfte und viele dauerhafte Freundschaften schließen konnte.
Woran haben Sie bei Ihren Aufenthalten in China geforscht?
Zunächst hielt ich in China nur Vorlesungen, begann dann aber bald, mit chinesischen Kollegen an astrophysikalischen Fragestellungen zu arbeiten. Zunächst in der Physik der Röntgensterne, später und hauptsächlich an kosmologischen Fragen.
Anfang 2010 wurde Ihnen von der Akademie der Wissenschaften in Peking der Preis für wissenschaftliche Zusammenarbeit verliehen. Wie würden Sie diese Zusammenarbeit beschreiben?
Sehr erfolgreich ist auch die Gründung so genannter Partnergruppen zwischen einem Max-Planck-Institut und einem Institut der CAS. Der chinesische und der deutsche Leiter dieser Partnergruppe erhalten eine besonders bürokratiefreie und intensive Unterstützung zum Aufbau einer Arbeitsgruppe in China, die sich einem aktuellen Problem der Forschung widmet. Insgesamt gibt es heute etwa 20 solche Partnergruppen in allen Forschungsbereichen in China.
Hatten Sie auch selbst schon einmal mit Missverständnissen oder kulturellen Besonderheiten zu kämpfen?
Ich kann eigentlich nur sagen, dass ich in China stets wie ein hochgeschätzter Gast behandelt wurde. Unterschiede der Kulturen zeigen sich natürlich im Alltag, wobei die Missverständnisse, die bei meinen Versuchen auftraten, chinesisch zu sprechen, zu erwarten waren. Die chinesische Sprache besitzt ja in der Tongebung für jede Silbe eine weitere Dimension, die in allen anderen Fremdsprachen nicht vorkommt. Da passiert es dann schon, dass man glaubt, man habe ein Stück Kuchen als Nachtisch bestellt, aber es wird ein Stück blankes Eis mit verständnislosem Blick serviert.
Bei Einladungen zum Essen ergeben sich reizvolle Missverständnisse daraus, dass wir unsere Wertschätzung zeigen, indem wir den Teller leer essen, während der chinesische Gastgeber so viel auftischen will, dass der Gast vieles übrig lassen muss.
Herr Börner, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Gerhard Börner: In den letzten zehn Jahren hat sich die Situation in der Grundlagenforschung in China enorm verbessert. Die finanzielle Ausstattung der Institute ist so gut, dass im Ausland tätigen Wissenschaftlern hervorragende Angebote gemacht werden. Viele kehren nach China zurück.
Noch in den 1990er Jahren war das anders. Damals gingen zum Beispiel Jahr für Jahr alle Doktoranden der Peking Universität in Physik komplett in die USA und blieben dort. Der Spitzennachwuchs der amerikanischen Forschung wurde zu einem großen Anteil von China gestellt. Jetzt kommen junge Postdocs und Wissenschaftler zurück, weil es für sie ständig besser werdende Möglichkeiten an Universitäten und Instituten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS, Anm. d. Red.) gibt. Dies führt natürlich zu einer Zunahme wirklich guter Publikationen, ein Trend, der sich meiner Ansicht nach fortsetzen wird.
Welchen Stellenwert hat die Wissenschaft in der chinesischen Politik?
Generell entsteht derzeit ein extrem forschungsfreundliches, optimistisches, zukunftsorientiertes Klima. Diese Wertschätzung der Wissenschaft wird von der chinesischen Regierung auch deutlich zur Schau gestellt. Nur ein Beispiel: Im Januar 2011 wurde mir der Staatspreis für Förderung der internationalen Zusammenarbeit in Forschung und Technologie verliehen. Zu dieser Feier in der großen Halle des Volks, bei der auch 500 chinesischen Wissenschaftlern der Staatspreis für ihre Leistungen in Forschung und Technik verliehen wurde, erschien die komplette Regierung, alle Minister, Staatspräsident und Premierminister.
Die chinesische Regierung hat in den vergangenen Jahren das Budget für Forschung und Entwicklung stark erhöht – auf derzeit zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Können Sie anhand Ihres Forschungsfeldes veranschaulichen, wie das die Arbeit der chinesischen Kollegen beeinflusst?
Die chinesischen Astronomen haben keine besonders hohen Gehälter, aber sie können im harten Wettbewerb untereinander Drittmittel für Forschung, Reisen oder Einladungen von Gästen in beträchtlicher Höhe an Land ziehen. Besuche internationaler Tagungen sind kein Problem. Verschiedene nationale Großprojekte, wie ein 500m-Radioteleskop in Guizhou, ein sub-mm-Teleskop in Tibet und die Beteiligung an internationalen Projekten bilden einen Schwerpunkt der Arbeit an den Instituten.
In den vergangenen Jahren gab es hin und wieder Berichte von gefälschten Studien chinesischer Forscher; Anfang 2010 forderte das Fachjournal "The Lancet" China auf, bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Studien einen besseren Schutz gegen Betrug sicherzustellen. Wie sind Ihre Erfahrungen mit der Lauterkeit chinesischer Forschung?
Ich habe mit meinen Kollegen nie irgendwelche Erfahrungen dieser Art gemacht. Mein langjähriger Kollege und Freund Jing Yipeng vom Shanghai Observatorium hat meines Wissens noch nie einen Fehler gemacht. Alle wissenschaftlichen Dispute verliefen für ihn erfolgreich.
China ist ein Land mit einer für Europäer ganz anderen Lebensart. Konnten Sie auch Unterschiede in der Wissenschaftskultur feststellen?
In China ist es schwierig, seinen Lehrer oder Vorgesetzten zu kritisieren oder eine andere Meinung zu vertreten. Dies führt zu einem Glauben an Autoritäten, der nicht immer der Wissenschaft förderlich ist – sei es, dass manche moderne Forschungsrichtung nicht aufgenommen wird, weil es dem Chef nicht gefällt, oder sei es, dass auf abseitigen Gebieten geforscht wird, die eigentlich irrelevant sind, weil ein großer Meister das so will. Natürlich ist es auch in Deutschland der Karriere nicht förderlich, wenn man seinen Vorgesetzten kritisiert. Das konfuzianische Element der Verehrung des alten Lehrers ist aber bei uns deutlich weniger präsent.
Sie selbst lebten bereits 1979, als noch kaum ein deutscher Wissenschaftler China auf der Rechnung hatte, für mehrere Monate dort. Seitdem besuchen Sie das Land regelmäßig zu Konferenzen und Forschungsaufenthalten. Was hat schon damals Ihr Interesse an China geweckt?
Die chinesische Sprache und die von unseren westlichen Schriftsystemen so sehr verschiedene Schrift mit ihren Abertausenden von Schriftzeichen hatten mich schon während meiner Schulzeit fasziniert. Während meines Studiums besuchte ich dann zwei Jahre lang einen Chinesischkurs an der Volkshochschule in München. Und nach meiner Promotion war ich ein Jahr als Postdoc in Japan und kam dort dem von China geprägten Kulturkreis sehr nahe. Nachdem 1979 die Max-Planck-Gesellschaft ein Austauschprogramm mit China begann, wollte ich unbedingt dabei sein. So kam ich im September 1979 nach Peking und blieb drei Monate lang in China.
Was macht für Sie die Faszination China aus?
China ist wie ein eigener Kontinent mit vielen verschiedenen Fassetten. Mich faszinieren die ungeheuren Menschenmassen in den Riesenmetropolen, der Optimismus, die Tatkraft und Lebensfreude der vielen jungen Leute, die ich dort kennen lernen durfte. Mir gefällt der Familiensinn, die Freundlichkeit und Wertschätzung, die den Alten entgegengebracht wird, die Treue gegenüber alten Freunden. Mir gefallen auch die Pensionäre, die in den Parks am Morgen turnen, tanzen oder singen. Besonders beeindruckend waren in den letzten Jahren der technische Fortschritt, die supermodernen Hochhauslandschaften in Shanghai und Peking – und die superschnellen Züge, die mit 340 Kilometern pro Stunde durchs Land flitzen.
Es gibt vieles, das ich niemals vergessen werde. Für mich bleibt die Erfahrung, dass ich eine doch ursprünglich fremde Kultur und Lebensweise kennen lernen durfte und viele dauerhafte Freundschaften schließen konnte.
Woran haben Sie bei Ihren Aufenthalten in China geforscht?
Zunächst hielt ich in China nur Vorlesungen, begann dann aber bald, mit chinesischen Kollegen an astrophysikalischen Fragestellungen zu arbeiten. Zunächst in der Physik der Röntgensterne, später und hauptsächlich an kosmologischen Fragen.
Anfang 2010 wurde Ihnen von der Akademie der Wissenschaften in Peking der Preis für wissenschaftliche Zusammenarbeit verliehen. Wie würden Sie diese Zusammenarbeit beschreiben?
Die Zusammenarbeit mit China in der Astronomie ist an Projekten orientiert, die sich aus dem gemeinsamen Forschungsinteresse von deutschen und chinesischen Wissenschaftlern ergeben. Es gibt ein reges Austauschprogramm mit Arbeitsbesuchen von Wissenschaftlern im jeweils anderen Land. Viele sehr gute Studenten kommen nach Deutschland und promovieren hier oder bearbeiten hier an einem deutschen Institut ein Projekt, das Bestandteil ihrer Dissertation zu Hause wird. Wir organisieren mindestens jedes zweite Jahr einen Workshop zu Fragen der Astrophysik und Kosmologie in China.
Sehr erfolgreich ist auch die Gründung so genannter Partnergruppen zwischen einem Max-Planck-Institut und einem Institut der CAS. Der chinesische und der deutsche Leiter dieser Partnergruppe erhalten eine besonders bürokratiefreie und intensive Unterstützung zum Aufbau einer Arbeitsgruppe in China, die sich einem aktuellen Problem der Forschung widmet. Insgesamt gibt es heute etwa 20 solche Partnergruppen in allen Forschungsbereichen in China.
Hatten Sie auch selbst schon einmal mit Missverständnissen oder kulturellen Besonderheiten zu kämpfen?
Ich kann eigentlich nur sagen, dass ich in China stets wie ein hochgeschätzter Gast behandelt wurde. Unterschiede der Kulturen zeigen sich natürlich im Alltag, wobei die Missverständnisse, die bei meinen Versuchen auftraten, chinesisch zu sprechen, zu erwarten waren. Die chinesische Sprache besitzt ja in der Tongebung für jede Silbe eine weitere Dimension, die in allen anderen Fremdsprachen nicht vorkommt. Da passiert es dann schon, dass man glaubt, man habe ein Stück Kuchen als Nachtisch bestellt, aber es wird ein Stück blankes Eis mit verständnislosem Blick serviert.
Bei Einladungen zum Essen ergeben sich reizvolle Missverständnisse daraus, dass wir unsere Wertschätzung zeigen, indem wir den Teller leer essen, während der chinesische Gastgeber so viel auftischen will, dass der Gast vieles übrig lassen muss.
Herr Börner, wir danken Ihnen für das Gespräch.
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