News: In der Unordnung liegt die Kraft
Seitdem suchen die Forscher nach einer Erklärung für dieses ungewöhnliche Verhalten, denn ist der Prozeß verstanden, steht die Tür offen für die Kreation neuer Materialien mit vergleichbarer Eigenschaft. Daß der Schlüssel zum Verständnis in den magnetischen Eigenschaften der beiden Metalle zu suchen ist, wurde schon 1963 von R.J. Weiss vermutet. Doch erst Mark van Schilfgaarde von den Sandia National Laboratories in Kalifornien konnte eine Theorie aufstellen, die das Phänomen genau beschreibt.
Die meisten Materialien dehnen sich bei Hitze aus. Das geschieht zwar auf sehr kleinen Skalen, so daß die Veränderung kaum auffällt, wenn sich der Löffel im heißen Kaffee streckt, doch bei großen Objekten wird auch der Effekt deutlicher. Die Wärme animiert die einzelnen Atome im Festkörper, stärker zu schwingen. Was stärker schwingt, braucht mehr Platz, und wenn viele winzig kleine Strukturen im Inneren mehr Platz beanspruchen, dehnt sich schließlich der gesamte Festkörper aus. Darum suchen Wissenschaftler nach einem Mechanismus, der diese thermische Ausdehnung bei Invar ausgleicht.
Bildlich gesehen, stellt jedes Atom in einem Festkörper einen kleinen Elementarmagneten dar, dessen Ausrichtung – sein Spin – sich bei Energiezufuhr drehen kann. In ferromagnetischen Stoffen – wie Eisen und Nickel – richten sich diese Spins in äußeren Magnetfeldern aus und bleiben auch ohne äußeres Feld in dieser Ordnung liegen. Mini-Magnete wirken untereinander wie ihre großen Pendants: Sie stoßen sich ab, was dazu führt, daß sie auch entsprechend viel Raum brauchen. Wird nun Wärme – also Energie – zugeführt, können sich die Spins nach und nach geschickt drehen, so daß die abstoßende Kraft nachläßt und die thermische Ausdehnung dadurch aufgefangen wird. Ähnlich dachte auch schon Weiss, konnte aber mit seinem Ansatz, eine neue Ordnung zu finden, bei der die Spins um 180 Grad gegeneinander gedreht sind, das Phänomen nicht vollständig beschreiben. Erst van Schildgaarde erstellte eine Theorie veröffentlichen, welche die Beobachtung anscheinend besser wiedergibt (Nature vom 1. Juli 1999). Hiernach entsteht jedoch eben keine neue Ordnung, sondern vielmehr eine Unordnung. Gerade im ungeordneten Zustand würden die Atome ein minimales Volumen beanspruchen, die gegenseitige Abstoßung wäre optimal aufgehoben.
Trifft dieses Modell zu, steht den Materialforschern der Weg offen, auch andere Materialien mit vergleichbarer Eigenschaft zu kreieren. Und der Laie muß sich mit der Vorstellung vertraut machen: Ordnung ist das halbe Leben, Chaos das ganze.
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