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Artenvielfalt: Hilfe, zu viele Elefanten

In Südafrikas Reservaten vermehren sich Elefanten so gut, dass sie zur Plage werden. Das Land sucht nach Wegen, die Anzahl seiner Dickhäuter zu regulieren. Sogar die Pille kommt zum Einsatz.
Elefantenkuh mit Kalb

Elefanten sind bedroht. Die 2016 veröffentlichte, erste kontinentweite Zählung lässt daran keinen Zweifel: In Afrika leben weit weniger Elefanten als gedacht, nur noch rund 350 000. In den vergangenen sieben Jahren schrumpfte ihr Bestand um ein Drittel. Noch in den 1970er Jahren ging man von einer Million Tieren aus. Schuld an ihrem Rückgang ist vor allem die Gier nach Elfenbein: Schätzungsweise 20 000 Elefanten schlachten Wilderer Jahr für Jahr ab, das sind durchschnittlich 55 Tiere täglich.

Und jetzt heißt es aus Südafrika, Elefanten würden zur Plage. Angesichts der obigen Zahlen fällt es schwer, das ernst zu nehmen. Kann es tatsächlich zu viele Elefanten geben? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten und wird auch in Südafrika zum Teil kontrovers diskutiert. Fakt ist: Südafrikas Elefantenpopulation wächst – eine der wenigen des Kontinents –, und das sorgt nicht nur für Freude. Im Kruger-Nationalpark, dem mit 20 000 Quadratkilometer größten Wildschutzgebiet Südafrikas, das etwa so groß ist wie Belgien, lebt das Gros der südafrikanischen Dickhäuter: gut 17 000 Tiere.

Damit hat sich ihre Anzahl in 25 Jahren mehr als verdoppelt. Tatsächlich leben Südafrikas Elefanten im Vergleich zu ihren Artgenossen aus anderen afrikanischen Staaten paradiesisch: Als einziger afrikanischer Staat zäunt Südafrika seine Naturreservate ein und versieht sie mit künstlichen Wasserstellen. Auf diese Weise versorgt und geschützt, vermehren sich die Dickhäuter prächtig und werden zur Plage: Sie fressen Bäume und Sträucher kahl, entwurzeln sie und vernichten auf diese Weise den Lebensraum anderer Tiere und Pflanzen.

Töten für die Artenvielfalt

Um die Artenvielfalt zu schützen, war man schon immer bemüht, die Anzahl der Elefanten in Reservaten zu kontrollieren. In der Vergangenheit geschah dies auch mit drastischen Maßnahmen: Beim so genannten Culling tötet man Elefanten aus dem Hubschrauber heraus per Kopfschuss. Die Methode war in Südafrika bis 1994 erlaubt. In 27 Jahren wurden auf diese Weise knapp 15 000 Elefanten im Krugerpark getötet und die Population stabil zwischen 7000 und 8000 Tieren gehalten. Im angrenzenden Nachbarstaat Zimbabwe wurden im gleichen Zeitraum und mit dem gleichen Ziel 50 000 Elefanten getötet. Das Fleisch wurde in Konserven gefüllt und an die einheimische Bevölkerung verteilt. Der heftige Protest von Tierschutzorganisationen sowie die zunehmende touristische Bedeutung der Elefanten führten damals zu einem Verbot.

2007 wurde das Culling als letztmögliche Maßnahme der Populationskontrolle aber wieder erlaubt, weil sich die Elefanten im Krugerpark offenbar unaufhaltsam weiter vermehrten. Der Abschuss der Tiere ist allerdings auch unter Wissenschaftlern umstritten, da der Nutzen zweifelhaft ist: »Culling reduziert die Anzahl der Elefanten kurzfristig. Aber die Methode muss kontinuierlich angewandt werden, denn nach solchen Ereignissen vermehren sich die Elefanten offenbar umso schneller«, schreibt Rudi van Aarde, Leiter der Ecology Conservation Unit der Universität Pretoria im Buch "Assessment of South African Elephant Managment". Die konstante Anwendung der radikalen Methode ist wiederum ethisch bedenklich. Ein weiteres schlagkräftiges Argument dagegen ist wirtschaftlicher Natur: Rund zehn Millionen Touristen besuchen Südafrika pro Jahr, vor allem, um die beeindruckende Natur zu erleben. Das Erschießen überzähliger Elefanten wäre kaum vermittelbar.

Elefanten im Wasser | Spielende Elefanten in einer künstlich angelegten Wasserstelle im Addo Elephant Park. Zu viele gut erreichbare Wasserstellen treiben die Populationen in die Höhe.

Also, was tun? »Die Elefanten vermehren sich so stark, weil ihre Lebensweise unnatürlich ist«, sagt van Aarde. Normalerweise wandern Elefanten in Lauf der Jahreszeiten auf der Suche nach Nahrung und vor allem Wasser umher. Diese beiden Faktoren bestimmen somit die Populationsgröße. Die Wanderungen geben Bäumen und Büschen Zeit, sich vom Appetit der Tiere zu erholen. Außerdem wirken die Wanderungen als natürlicher Auslesemechanismus: Viele Jungtiere überleben sie nicht, dadurch bleibt die Populationsgröße stabil. Doch in Parks mit permanenter Wasserzufuhr stellen Elefanten ihre Wanderungen ein. »In den vergangenen zehn Jahren wurden im Krugerpark etwa die Hälfte der Wasserlöcher trockengelegt, mit dem Ergebnis, dass sich die Elefantenpopulation stabilisiert hat«, sagt van Aarde. »Statt mit ehemals 6,5 Prozent wächst die Population derzeit mit knapp 4 Prozent pro Jahr«, erläutert William Mabasa, Pressesprecher des Krugerparks. Deutlich langsamer zwar, dennoch kommen pro Jahr etwa 600 Elefanten hinzu.

»Wer Elefanten kontrollieren will, muss die Landschaft gestalten, in der sie sich bewegen«
William Mabasa

Wie viele Elefanten der Krugerpark verträgt, ist dabei unklar. »Meines Wissens gibt es keine umfassende Studie, die die ›carrying capacity‹ eines Systems beschreibt«, erklärt der Biologe André Ganswindt von der Universität Pretoria. Ohnehin hat ein Umdenken stattgefunden. Ausschlaggebend für das Management von Elefanten ist heute weniger ihre bloße Anzahl: »Der Einfluss von Elefanten auf ihre Umwelt korreliert nicht zwangsweise mit ihrer Anzahl. Es geht vielmehr darum, wo und wie lange sie sich an einem Ort aufhalten. Und ihr Aufenthaltsort wird bestimmt von Wasser, Nahrung und Schatten, vor allem in der Trockenzeit. Wer Elefanten kontrollieren will, muss deswegen die Landschaft gestalten, in der sie sich bewegen«, sagt Mabasa. Vor allem heißt das, den Zugang zu Wasser zu kontrollieren, Zäune ab- oder auch aufzubauen und auch den Menschen als Störfaktor zu nutzen, damit Elefanten sich weniger oft und lang an einem Platz aufhalten. Die frühere Rechnung »weniger Elefanten bedeuten weniger Vegetationsschäden bedeuten Gleichgewicht« gilt heute als überholt.

Was für den riesigen Krugerpark, auch afrikaweit eines der größten Schutzgebiete, umgesetzt wird, funktioniert aber nicht zwangsläufig für die rund 80 anderen wesentlich kleineren Reservate Südafrikas. Der Addo Elephant Park, das nächstgelegene Wildschutzgebiet von Kapstadt aus, ist gerade einmal 1000 Quadratkilometer groß und hat wenig Möglichkeiten, seine Büsche und Bäume durch eine Lebensraumgestaltung für Dickhäuter zu schützen. Viele dieser Parks greifen mittlerweile auf eine andere Form der Populationskontrolle zurück, einer Art Pille für Elefanten. »Die Immunokontrazeption funktioniert fast zu 100 Prozent zuverlässig«, konstatiert Audrey Delsink, Mitglied der Elephant Specialist Advisory Group. »Momentan behandeln wir 800 Elefantenkühe in 24 Reservaten in Südafrika.«

Die Pille für Elefantenkühe

Um Elefantenkühe unfruchtbar zu machen, injizieren ihnen Tierärzte ein Protein namens PZP, das aus der Eizellhülle von Schweinen gewonnen wird. Die Elefanten bilden daraufhin Antikörper, die sich wie ein Schutzwall um die Elefanteneizellen legen und so die Spermien blockieren. Das Prinzip klingt einfach, die Anwendung ist jedoch aufwändig: Aus einem Hubschrauber heraus schießen Tierärzte den Elefantenkühen Spezialnadeln in den Rücken. Wird eine Kuh getroffen, platzt zusätzlich eine Farbpatrone und markiert die geimpfte Kuh mit einem Fleck. Die Impfung muss jährlich aufgefrischt werden, geschieht dies nicht, kann die Elefantenkuh wieder trächtig werden.

Die Sorge, die niedrigere Geburtenrate könnte das soziale Gefüge einer Elefantenherde durcheinanderwirbeln, scheint unbegründet zu sein: »Die sozialen, biologischen und physiologischen Folgen der Impfung werden seit nunmehr 20 Jahren erforscht und es konnten keine Verhaltensänderungen festgestellt werden«, fasst Delsink zusammen. Die Methode reduziert allerdings nicht direkt die Anzahl der Elefanten, sondern verlangsamt nur das Populationswachstum.

»Eine Patentlösung für alle Szenarien gibt es beim Management von Elefanten nicht«
André Ganswindt

Eine andere Möglichkeit, die Elefantenanzahl direkt zu reduzieren, ist die Umsiedlung der Tiere aus einem überfüllten Park in ein unbesetztes Reservat. So stammen die Elefanten des Pilanesberg Nationalparks aus dem Krugerpark. In Südafrika stößt diese Maßnahme an ihre Grenzen, da sich Elefanten stärker vermehren als »unbesetzte« Reservate zur Verfügung stehen. In Malawi findet das bislang größte Projekt dieser Art statt: 250 Elefanten wurden 2016 aus einem südlichen Reservat in einen verwaisten Park im Norden des Landes umgesiedelt. Noch einmal so viele folgen dieses Jahr. Wenig überraschend, ist die Methode extrem kostenintensiv. »Eine Patentlösung für alle Szenarien gibt es beim Management von Elefanten nicht«, sagt Ganswindt. »Ein Ansatz, der mittelfristig solide Ergebnisse in einem kleinen Reservat erzielt, kann sich aus finanzieller Sicht oder logistischen Schwierigkeiten als völlig ungeeignet für große Reservate herausstellen.« So lassen sich 50 Elefantenkühe etwa problemlos unfruchtbar impfen, 5000 hingegen nicht.

Gemeinsam mit anderen Elefantenexperten setzt sich van Aarde für die Gründung so genannter Megaparks ein, um eine möglichst natürliche Regulierung der Elefantenbestände zu erreichen. Über Ländergrenzen hinweg sollen Reservate ausgeweitet und miteinander verbunden werden. So soll der Great Limpopo Transfrontier Park, der im Länderdreieck Mosambik, Südafrika und Zimbabwe entsteht, künftig 100 000 Quadratkilometer umfassen und Elefanten langfristig vor einer vielleicht noch größeren Bedrohung als der Wilderei retten: dem Verlust ihres Lebensraums.

Ein erster Schritt ist getan: Der Zaun zwischen dem Krugerpark und dem Limpopopark in Mosambik ist eingerissen, und die Elefanten beider Länder können sich frei bewegen. Was für Elefanten gilt, gilt aber auch für Wilderer. Mosambik hat in fünf Jahren die Hälfte seiner Elefanten verloren. Und während 2013 in Südafrika nicht ein gewilderter Elefant registriert wurde, waren es 2014 zwei, 2015 22 und 2016 bereits 46 tote Elefanten entlang der Grenze zu Mosambik. Bleibt zu hoffen, dass die Sonderstellung Südafrikas nicht bald schon der Vergangenheit angehört.

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