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Botanik: Inneres Thermometer bestimmt, wann Pflanzen keimen

Pflanzensamen haben ausgeklügelte Mechanismen entwickelt, um zu entscheiden, wann der richtige Moment ist, um zu Keimen. Offenbar besitzen sie eine Art eingebauten Temperaturfühler.
Eine kleine Arabidopsis-Pflanze im Wald
Die Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana), auch Schotenkresse oder Gänserauke genannt, ist ein beliebter Modellorganismus der Biologie.

Pflanzensamen sind faszinierende Gebilde. Manche sind mit bloßem Auge kaum zu erkennen, andere werden groß wie Fußbälle. Manche können fliegen, andere müssen verspeist werden, um sich zu verbreiten. Werden Samen kühl, dunkel und trocken aufbewahrt, bleiben sie oft über Jahre keimfähig. Dafür sorgen wachstumshemmende Pflanzenhormone, die den Zeitpunkt der Keimung kontrollieren. Das ist wichtig, denn davon hängt das Überleben der jungen Pflanze ab. Ist es zu kalt, stirbt sie ab. Fehlen Nährstoffe, verkümmert sie. Ein Schweizer Team unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Genf hat jetzt das interne Thermometer von Samen identifiziert, das die Keimung verzögern oder sogar blockieren kann, wenn die Temperaturen für den künftigen Keimling zu hoch sind. Darüber berichten sie in der Zeitschrift »Nature Communications«.

Die Gruppe um Luis Lopez-Molina, Professor für Pflanzenwissenschaften an der Universität Genf, untersuchte die Mechanismen der Keimkontrolle von Arabidopsis thaliana, einer Pflanzenart, die zur Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae) gehört und in vielen Forschungsprojekten als Modellorganismus verwendet wird. Um die Erkennungsmechanismen hinter der thermischen Hemmung zu verstehen, untersuchten die Wissenschaftler Phänomene, die bei ganz jungen Pflanzen bereits gut verstanden sind. Möglicherweise nämlich, so die Idee, ähneln sie den gesuchten Prozessen in Samen.

Denn tatsächlich nehmen auch junge Pflanzen Temperaturänderungen wahr. Wird es wärmer, wächst der Stängel schneller. Diese Anpassung ähnelt der Reaktion einer Pflanze, die sich im Schatten einer anderen befindet: Sie verlängert sich, um dem Schatten zu entkommen. Solche Mechanismen werden von einem licht- und temperaturempfindlichen Protein, dem Phytochrom B, ausgelöst, das normalerweise als Wachstumsbremse für die Pflanze wirkt. Steigt die Temperatur um 1 bis 2 Grad, wird das Phytochrom B schneller inaktiviert, so dass es das Wachstum der Pflanze weniger stark bremst.

Um herauszufinden, ob Phytochrom B auch bei der thermischen Hemmung während der Keimung eine Rolle spielt, zerlegten die Forscher die Samen, um die beiden Gewebe im Inneren zu trennen: den Embryo, aus dem die junge Pflanze hervorgeht, und das Endosperm, das als Nährgewebe die Keimung der Arabidopsis-Samen unterstützt und kontrolliert. Sie stellten fest, dass Embryonen, denen das Endosperm entzogen wurde, ihr Wachstum bei zu hohen Temperaturen nicht stoppen können. In der Folge sterben die Keimlinge ab.

»Die Wärmehemmung bei Arabidopsis wird also nicht autonom vom Embryo gesteuert, sondern vom Endosperm«, erklärt Urszula Piskurewicz, Biologin und Erstautorin der Studie, laut einer Mitteilung der Universität Genf. »Damit haben wir eine neue wesentliche Funktion dieses Gewebes aufzeigt.« Mit anderen Worten: Ohne Endosperm würde der Embryo im Samen nicht merken, dass die Temperaturen zu hoch sind, und mit der Keimung beginnen.

Dieser Mechanismus der so genannten Thermoinhibition sei in einer sich erwärmenden Welt auch für die Landwirtschaft von Bedeutung, schreiben die Wissenschaftler in ihrer Studie. Ein besseres Verständnis der Art und Weise, wie Licht und Temperatur die Keimung von Samen auslösen oder verzögern, könnte dazu beitragen, das Wachstum von Pflanzen zu optimieren, die extremen Klimabedingungen ausgesetzt sind.

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