Insekten als Rohstoff: Sechsbeiner mit Potenzial
Insekten sind gemeinhin ja eher schlecht beleumundet. Ameisen im Zelt oder Motten, die den geliebten Wollpulli durchlöchern, nerven gehörig. Doch schlimmer noch: Sie können lebensgefährlich werden, indem sie Krankheiten wie Malaria übertragen oder bei einer Heuschreckenplage ganze Ernten vernichten. Dass die Menschen auch von Insekten profitieren können, wird jedoch immer deutlicher. Das Thema Insektensterben, das für den globalen Artenschwund steht, hat bereits für einen kleinen Imagewandel gesorgt.
Neuerdings gelten die Insekten sogar als Retter, wenn es um die Nahrungsmittelsicherheit in der Zukunft geht. Erst kürzlich hat der EU-Gesetzgeber grünes Licht für die Beimischung von Mehl der Hausgrille Acheta domesticus in Lebensmitteln wie Müsliriegel oder Suppenpulver gegeben. Auch Mehlwurm (Tenebrio molitor), Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) sowie Buffalowurm (Alphitobius diaperinus)dürfen seit einiger Zeit in Rezepturen auftauchen.
Was die Verbraucherakzeptanz im Supermarkt anbelangt, sind Fachleute eher skeptisch. Schließlich ekeln sich die meisten Europäer vor Krabbeltieren auf dem Teller. Fraglich ist darum, in wie großen Mengen Insekten in Zukunft Fleischprodukte ersetzen könnten. Dennoch gibt es zahlreiche andere Einsatzmöglichkeiten der kleinen Tiere, die sich meist vom Ei in eine Larve entwickeln, dann verpuppen und als Käfer, Fliege oder Schmetterling erwachsen werden. Biotechnologen plädieren für eine weitere Erforschung und Nutzung der Insekten, nicht nur zur Produktion von Lebensmitteln, sondern auch, um Tierfutter, Dünger oder Schmieröl herzustellen.
Insekten sind das fehlende Bindeglied der Kreislaufwirtschaft
So wurde 2013 etwa das LOEWE Zentrum für Insektenbiotechnologie & Bioressourcen in Gießen etabliert. Es ist die größte Einheit in Europa, die sich mit der Wissenschaft rund um die »gelbe Biotechnologie« befasst. In Stuttgart am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) läuft eine Bioraffinerie-Pilotanlage. In dieser züchtet das Institut Insektenlarven mit Abfallstoffen und wandelt sie in allerlei chemische Produkte um. Und es gibt noch zahlreiche andere Forschungsprojekte rund um Käfer und Larve.
Aber warum gerade Insekten? Was macht sie zum Rohstoff der Zukunft? »Was Biodiversität betrifft, gelten Insekten mit über einer Million beschriebener Arten als die erfolgreichste Organismengruppe«, schreibt Alexander Vilcinskas, der das LOEWE leitet, in einem Beitrag über die Technologie. Je nach Art haben diese unterschiedliche Lebensräume erobert und bilden zahlreiche Substanzen, die nützlich sein können. »Zudem wachsen sie mit geringem Einsatz an Ressourcen und enthalten reichlich Proteine und Fette«, sagt Harald Wedwitschka vom Deutschen Biomasseforschungszentrum in Leipzig. Die Larve der Schwarzen Soldatenfliege (Hermetia illucens) wächst in zwei Wochen auf das 100-Fache ihres Gewichts. Und für diese phänomenale Wachstumseffizienz brauchen Insekten eigentlich keine Extrafuttermittel wie Getreide, das derzeit noch teilweise für diesen Zweck angebaut wird. Sie würden sich auch mit allerlei Abfällen begnügen, von Holzspänen über Klärschlamm bis zu Biertrebe. Die Müllverwerter gelten darum als Missing Link in der Landwirtschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft.
»Es ist momentan noch schwierig, Insektenproteine als Alternative zu Soja oder Fischmehl in der Nutztierhaltung einzusetzen«Harald Wedwitschka, Deutsches Biomasseforschungszentrum in Leipzig
Wegen dieser Eigenschaften sieht auch die Futtermittelindustrie in den Insekten einen Hoffnungsträger. Die Rabo-Bank prognostizierte 2021, dass sich die Herstellung von Insektenproteinen weltweit bis 2030 auf 500 000 Tonnen jährlich verfünffachen werde. Andere Schätzungen belaufen sich sogar auf 730 000 Tonnen. Laut Rabo-Bank gehen im Jahr 2030 200 000 Tonnen in die Aquakultur und je 150 000 Tonnen in Haustierfutter sowie die Hühner- und Schweinemast. »Es ist momentan noch schwierig, Insektenproteine als Alternative zu Soja oder Fischmehl in der Nutztierhaltung einzusetzen, da bislang keine ausreichenden Mengen produziert werden und die Produktionskosten pro Tonne Insektenpulver vergleichsweise hoch sind«, sagt Wedwitschka. »Das wird sich aber ändern, wenn die Unternehmen weiter wachsen, es ein Upscaling gibt und die gesamten Prozessketten effizienter werden.«
Großes Potenzial als Tierfutter
Große Fleischkonzerne wie etwa der Wiesenhof-Mutterkonzern PHW prüfen deswegen auch schon Insekten als Alternative für Sojafutter aus Übersee. Laut der Umweltorganisation WWF Österreich ist die EU mit ihren Importen landwirtschaftlicher Rohstoffe wie Soja oder Palmöl für 16 Prozent der weltweiten Regenwaldrodung verantwortlich. Das pustet gehörige Mengen an CO2 in die Luft, zudem werden zahlreiche Tier- und Pflanzenarten ausgelöscht und indigene Völker verdrängt. Wegen ihrer hohen Nährwerte könnten Insekten Soja teilweise ersetzen. Dennoch müsse man laut LOEWE-Forschern auch Risiken wie die Anreicherung von Pestiziden oder Schwermetallen in den Insekten und dann im Futter im Auge behalten.
Derzeit ist es EU-weit noch verboten, Insektenmehle in Kraftfutter für Schweine oder Hühner zu mixen. Erlaubt ist aber heute schon, lebendige Tiere zu verfüttern. So können Landwirte ihre eigene kleine Larvenzucht auf dem Betrieb installieren und die Eiweiß-Fett-Bomben den Schweinen oder Hühnern zum Fraß vorwerfen. In einem Forschungsprojekt, bei dem das Start-up Farminsect sowie die Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft beteiligt sind, wird derzeit untersucht, wie ein Landwirt mit regionalen Reststoffen ein solches System lukrativ aufziehen kann. Das ist auch hinsichtlich des Tierwohls eine Verbesserung. So werde laut den Forschenden »der natürliche Trieb zum Picken und Wühlen angeregt und besser ausgelebt«. Dennoch wird es vermutlich irgendwann auch in der EU eine Zulassung für pulverisierte Insekten in der Geflügel- und Schweinezucht geben.
In Aquakultur-Farmen ist Insektenfutter derweil schon erlaubt. Und hier liegt das größte Potenzial für eine nachhaltige Tierproduktion. Denn in Aquakulturen kommen bis dato riesige Mengen an Kleinfischen ins Lachsfutter, ein erheblicher Raubbau an der Natur, weil die Bestände weltweit massiv schrumpfen. Rund ein Zehntel des gesamten weltweiten Fischfangs wird an carnivore Fische in Farmen verfüttert. Zur Herstellung von einem Kilogramm Zuchtlachs müssen gut drei Kilo Futterfische gefangen werden.
Für Nachhaltigkeit braucht man Abfälle
Trotzdem ist die Sache mit der Nachhaltigkeit verzwickt. Bislang gelten Insekten in der EU nämlich als Nutztiere, es ist also nicht erlaubt, sie mit echten Lebensmittelabfällen wie Speiseresten zu nähren, egal, ob sie später im Müsliriegel, Schweinetrog oder der Pharmaindustrie landen. Die europäischen Lebensmittelüberwacher haben aus der BSE-Krise gelernt. Man ist vorsichtig geworden. Allerdings: »Nur wenn es erlaubt ist, auch echte Abfälle als Futtermittel für die Produktion von Biomasse zu nutzen, ist ein echter Schritt in Richtung nachhaltigere Tierernährung getan«, schreiben Wissenschaftler der Forschungsanstalt für biologischen Landbau (FIBL). Tatsächlich gibt es bis heute keine Hinweise darauf, dass Insekten in der Lage sind, Prionen zu bilden.
Insekten können jedoch noch viel mehr, als Kraftfutter zu ersetzen. Wedwitschka arbeitet etwa daran, aus den Larven der Schwarzen Soldatenfliege Öle für Schmierfette und Leichtlauföle für Stoßdämpfer zu entwickeln. Diese Bioschmierstoffe könne man einsetzen, wo fossile Öle wegen Gewässerschutz nicht erlaubt sind, etwa bei Kettensägen im Forstbetrieb. »Denkbar sind solche abbaubaren Bio-Öle zudem in den technischen Anlagen der Lebensmittelherstellung«, sagt Wedwitschka. Bislang halten Insektenfette zum Beispiel Meisenknödel zusammen.
»Wenn man sie bei starken Minusgraden abtötet, wäre das wahrscheinlich der schonendste Weg«Harald Wedwitschka, Deutsches Biomasseforschungszentrum in Leipzig
Sie könnten aber auch als Palmöl-Ersatz dienen. Denn Insektenöl ist chemisch sehr ähnlich wie Palm- oder Kokosöl. Da das Öl sich in Aussehen und Geschmack nicht von anderen Pflanzenölen unterscheidet, könnte es tatsächlich einmal in Aufstrichen oder Keksen als Palmöl-Alternative dienen. Theoretisch eignet sich Insektenbutter jedoch auch für die vielen technischen Einsatzbereiche, bei denen bislang Palmöl als Rohstoff dient: Biodiesel, Reiniger (Tenside) oder Kosmetika.
Da auf einer Insektenfarm wiederum Abfälle entstehen, nämlich Futterreste und Exkremente, fällt hier ein weiterer Wertstoff an. Es ist als Biodünger einsetzbar und kann so Mineraldünger ersetzen, der in der Herstellung reichlich CO2-intensiv ist. »Möglich wäre aber auch eine Kopplung an Biogasanlagen sowie Bioheizkraftwerke, in denen diese Abfälle in Energie umgewandelt werden«, sagt der Leipziger Forscher Wedwitschka.
»Superwurm« gegen Plastik
Ein weiteres Einsatzgebiet: Plastikrecycling. Denn einige Insektenarten beherbergen Mikroben in ihrem Verdauungssystem und auf ihrem Chitinpanzer, die etwa Polyethylen, also PET-Flaschen, oder Polystyrol (PS) – bekannt als Styropor – zersetzen können.
Die Larven einer passenderweise als »Superwurm« bekannten Käferart wären beispielsweise geeignet, Plastik abzubauen. Das Problem dabei: Die Zersetzung durch die Würmer geht sehr langsam, doch die Plastikberge sind immens und wachsen weiter. Möglich wäre es darum, die verantwortlichen Enzyme direkt in einer Recyclinganlage zum Plastikmüll zu geben. Insekten-Enzyme könnte man auch für die Arzneimittelherstellung oder Entgiftung von Insektiziden einsetzen. Sie werden zudem beim Abbau von Altkleidern, Klärschlamm, Silage oder Schlachtabfällen diskutiert.
Doch damit nicht genug: Auch der Chitinpanzer von Käfern und Grillen hat biotechnologisches Potenzial. So kann das komplexe Gebilde als Material in der Pharma- und Kosmetikbranche sowie als Abwasserflockungsmittel in Kläranlagen dienen. Überhaupt ist das Interesse auch in der Medizin groß. Denn die Tiere bilden unzählige bioaktive Substanzen, die etwa pathogene Keime abtöten.
Insekten-Landwirte in Frankreich, Deutschland, Spanien, Niederlande oder Osteuropa päppeln derzeit vor allem die Larven der Schwarzen Soldatenfliege, Mehlwürmer sowie Grillen auf. Sie arbeiten nach dem Prinzip des »vertical farming«. Sind die Tiere schlachtreif, werden sie im Fall der Larven und Würmer aus dem Substrat geschüttelt. Die Grillen muss man hingegen im Gewächshaus einsammeln.
Die Tiere werden dann durch Hitze oder Kälte getötet. Hierbei stellen sich natürlich zunehmend Fragen nach dem Tierwohl. Laut Studien scheint sich die Vermutung zu erhärten, dass Insekten eine Art »Persönlichkeit« besitzen und affektive Stadien, ähnlich wie Emotionen und Schmerz, durchlaufen können. Kühlt man Insekten ab, verfallen sie in eine Art Winterschlaf. »Wenn man sie dann bei starken Minusgraden abtötet, wäre das wahrscheinlich der schonendste Weg«, meint Wedwitschka. »Vorstellbar wäre auch der Einsatz von Narkosegasen.« Wenn sich die Insektenzucht als nachhaltige und sichere Biotechnologie etablieren will, müssen noch viele Fragen geklärt werden.
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