ISS-Modul »Nauka«: Besser Arm dran als Arm ab
Die Internationale Raumstation ISS soll Zuwachs bekommen: Russlands Weltraumorganisation Roskosmos will den kosmischen Posten der Menschheit um ein neues riesiges Modul namens »Nauka« erweitern. Ein Motto gibt es für diese Mission nicht. Aber gäbe es eines, es müsste wohl lauten: Was lange währt, wird endlich gut. Denn auch wenn auf dem Logo das Jahr 2021 prangt, so sollte auf dem Patch ursprünglich das Jahr 2009 stehen. Dann 2014. 2018. 2019. Aktuell ist der Start vom Weltraumbahnhof Baikonur an Bord einer Proton-M-Trägerrakete für den 21. Juli um 16.54 Uhr deutscher Zeit geplant.
Die letzte große Komponente, das AMS-Experiment, hat 2011 die Crew des vorletzten Shuttleflugs der amerikanischen Weltraumbehörde NASA zur ISS gebracht. Mit Nauka – 13 Meter lang, mehr als 20 Tonnen schwer – soll die ISS künftig zusätzlichen Platz für wissenschaftliche Experimente, eine Schlafstätte für ein weiteres Crewmitglied sowie eine dritte Weltraumtoilette bieten. Zudem hat das Modul drei Kopplungsadapter, einen für die ISS, zwei weitere für Soyuz- oder Progressraumschiffe. Und es besitzt einen Roboterarm, der schon seit Jahrzehnten auf seinen ersten Einsatz im All wartet.
Die ISS befand sich seit 1998 im Aufbau, seit 2000 ist sie dauerhaft bewohnt. Nauka könnte nun den Eindruck erwecken, man wolle es sich da oben noch langfristig so richtig gemütlich machen. In Wahrheit ist es ein seltsamer Zeitpunkt zum Ausbau der Raumstation. Denn obwohl die ISS wohl bis 2030 weiter betrieben werden wird, hat sie ihren Höhepunkt als Stätte der internationalen Zusammenarbeit im niedrigen Erdorbit hinter sich.
Warum »НАУКА« – übersetzt »Wissenschaft« – dennoch startet? Zum einen ist es eine Frage der Ehre, zum anderen würde ein Erfolg einen Beweis dafür liefern, dass die russische Raumfahrt doch noch eine Zukunft hat.
Seit 17 Jahren bereit für den ISS-Einsatz
Als eines der russischen Hauptmodule hätten sich die Bewohner der ISS längst in Nauka wohlfühlen und mit dem »European Robotic Arm« ERA, der am Modul befestigt ist, auf Weltraumspaziergang gehen sollen. Der elf Meter lange Roboterarm hat eine Schulter, einen knickbaren Ellenbogen, sogar eine Art Handgelenk und zwei Hände. Acht Tonnen wird er im All bewegen können. ERA kann bei der Installation von Stationselementen zum Einsatz kommen, Nutzlasten durch die russische Luftschleuse transportieren und eben Astronautinnen und Kosmonauten während Außenbordeinsätzen im All sicher von einem Ort zum anderen entlang der ISS transportieren. Insofern ähnelt ERA dem bereits an der ISS installieren Canadarm 2. Der aber kann die russischen Module nicht erreichen und sich an ihnen entlangbewegen.
Die Idee für ERA existiert seit 1985. Seit 1995 ist der Arm ein Projekt der ESA, wurde aber zum Großteil von den Niederlanden finanziert, entwickelt und gebaut. »Eigentlich haben wir den Roboterarm für ein europäisches Spaceshuttle entworfen, das nie gebaut worden ist«, sagt der ESA-Manager Philippe Schoonejans. Aus einem nächsten möglichen Einsatz bei der geplanten Nachfolgerin der russischen Raumstation Mir wurde nichts, da Russland sich stattdessen an der ISS beteiligte. Dann sollte ERA auf einem neuen russischen Modul für die ISS, der Science Power Platform SSP, zum Einsatz kommen. »2004 waren wir mit ERA eigentlich fertig, konnten aber keine Integrationstests durchführen, weil auch diese SSP nicht gebaut wurde«, sagt Schoonejans.
2005 kam dann die gute Nachricht: Russland will ein Multifunktionslabormodul ins All schicken – genau jenes Modul, das später »Nauka« getauft wurde und sich auch zum jetzigen Zeitpunkt immer noch auf dem Erdboden befindet. ERA könnte an diesem angebracht werden. Zwar sollte der Bau dieses Labormoduls schnell vonstattengehen, da ein eigentlicher Bau nicht nötig war – Nauka basiert auf einem Ersatzmodul, das bereits fertig war. Aber dann waren doch mehr Änderungen nötig als gedacht.
»2008 haben wir den eigentlich fertigen Roboterarm nach Russland geschickt«, sagt Schoonejans. Da konnte keiner ahnen, dass der Start noch in weiter Ferne liegen würde. Unter anderem technische Probleme machten dem Modul zu schaffen. Zum Beispiel muss Nauka den letzten Teil der Strecke zur ISS alleine fliegen. Dafür braucht das Modul Treibstoff- und Oxydatortanks. »Als die getestet wurden, kam irgendwo aus den Rohren Müll raus«, sagt Philippe Schoonejans. Metallfragmente hatten das gesamte Tanksystem kontaminiert. Ersatztanks gab es nicht, denn Nauka selbst war ja bereits das Ersatzmodul. Die beiden beteiligten Unternehmen mussten klären, wer von ihnen für das Malheur verantwortlich war. Die Ursache der Kontamination musste gefunden werden. Die Tanks mussten gereinigt werden. All das dauerte.
»Uns wurde ziemlich lange gesagt, dass sich der Start von Nauka mit ERA um ein Jahr verzögern würde. Unterm Strich hatten wir es 14 Jahre lang mit einer Verzögerung von einem Jahr zu tun«, sagt Schoonejans. »Und deshalb mussten wir die ganze Zeit bereit für den Start sein. Wir haben sichergestellt, dass ERA und die Bodenstationen auf dem neuesten Stand bleiben und in gutem Zustand sind. Und dann kann man sich vorstellen, wie aufgeregt wir sind, jetzt, da ERA endlich auf der ISS zum Einsatz kommt. Es ist erstaunlich, dass die Teams während all die Zeit ihren Enthusiasmus bewahren konnten!«
Sobald Nauka ins All gestartet ist, wird wenige Tage später das russische Modul Pirs von der ISS abgekoppelt, kontrolliert in die Atmosphäre abstürzen und dort verglühen, um Platz für das neue Modul und seinen Roboterarm zu machen. Läuft alles nach Plan, wird die erste Aufgabe von ERA lauten, Nauka an der ISS zu installieren. Die Luftschleuse und ein Radiator für Nauka befinden sich bereits an Bord der ISS. Auch sie sollen vom ERA installiert werden.
Die Ankunft ist für den 29. Juli geplant. Zu hoffen bleibt, dass man dieses Mal alles bedacht hat. Zuletzt hatten die Russen den Launch kurzfristig erneut um eine Woche geschoben. Eben noch rechtzeitig war aufgefallen, dass es Nauka an Isolationsfolie fehlte.
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