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Waschbären in Deutschland: Putzig, aber unerwünscht

Waschbären sind in Deutschland und Europa weiter auf dem Vormarsch. Doch welche Folgen hat das für Menschen und Ökosysteme? Es gibt Befürchtungen, dass die kleinen Jäger auf vier Pfoten Krankheiten übertragen und bedrohte Arten in Bedrängnis bringen könnten.
Ein Waschbär spitzt mit seinem Kopf und einer Pfote aus einer roten Holzkiste. Das Tier blickt in die Kamera.
Waschbären breiten sich zunehmend in Deutschland aus und halten sich dabei sehr gern in der Nähe von Menschen auf, weil sie dort leicht an Nahrung kommen.

Es war ein regelrechter Festakt, zu dem sich am 12. April 1934 zahlreiche Gäste und Würdenträger am nordhessischen Edersee eingefunden hatten: Soldaten standen Spalier, feierliche Reden wurden gehalten, und eine Blaskapelle spielte die Nationalhymne. Dann wurden zwei Holzkisten geöffnet, aus denen je ein Waschbärpaar in die Freiheit tapste. Zum wahrscheinlich ersten Mal betraten die aus Nordamerika stammenden Kleinbären damit einen deutschen Wald. Und nicht wenige ihrer zweibeinigen Nachbarn hofften, dass sie dort gut zurechtkommen würden. Schließlich war der Pelz der Tiere damals äußerst beliebt und teuer. Entsprechend groß war das Interesse der Forstbehörden, die Lieferanten dieses Luxusprodukts auch in Deutschland anzusiedeln.

Dieser Plan ist nicht nur aufgegangen, das Ergebnis hat alle Erwartungen übertroffen. Denn Waschbären können sich schnell vermehren und haben in Europa kaum natürliche Feinde. Vor allem aber sind sie äußerst flexibel, fühlen sich in den unterschiedlichsten Lebensräumen wohl und fressen, was ihnen vor die Schnauze kommt – von Obst und Nüssen über Insekten und Vogeleiern bis hin zu Fischen, Fröschen und kleinen Säugetieren. Auch gegen Aas oder Essensreste aus Mülltonnen haben sie nichts einzuwenden. Die perfekten Voraussetzungen also, um in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen.

Dank dieser Talente haben die Nachkommen der Edersee-Pioniere und etlicher aus Pelztierfarmen entwischter Artgenossen inzwischen nicht nur große Teile Deutschlands erobert. In mehr als 20 Ländern Europas kommen die kleinen Räuber mit der schwarzen Maske und dem gestreiften Schwanz mittlerweile vor, mancherorts gehören sie zu den häufigsten Wildtieren überhaupt. Während die Bestände in ganz Nordamerika auf fünf bis zehn Millionen Tiere geschätzt werden, soll es allein in Deutschland schon mehr als 1,6 Millionen Waschbären geben.

»So niedlich Waschbären auch aussehen, faktisch sind es nicht heimische Fleischfresser, die sich derzeit nahezu unkontrolliert in Deutschland ausbreiten«Sven Klimpel, Parasitologe

Doch diese tierische Erfolgsgeschichte beobachten etliche Fachleute mittlerweile mit Sorge. Die Europäische Union hat die possierlichen Nordamerikaner bereits als invasive Art eingestuft. »So niedlich Waschbären auch aussehen, faktisch sind es nicht heimische Fleischfresser, die sich derzeit nahezu unkontrolliert in Deutschland ausbreiten«, gibt Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität Frankfurt am Main zu bedenken. »Und das mit noch nicht abschätzbaren Folgen für Menschen, Tiere und Ökosysteme.«

Die Legende von Görings Waschbären

Die Auswilderung der beiden Waschbärpärchen in Nordhessen gehe auf eine Anordnung von Hermann Göring zurück – damals Reichsforst- und Reichsjägermeister –, der die Art im Deutschen Reich bejagen wolle. Dies liest man sogar in der Fachliteratur, doch stimmt diese Geschichte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht. Stattdessen geht die Freisetzung auf Betreiben des Pelzhändlers Rolf Haag Anfang 1934 zurück, der eine Erlaubnis dafür beim Regierungspräsidium in Kassel eingereicht hatte, welche die Behörde an den zuständigen Landesjägermeister übermittelte. Ohne eine Entscheidung abzuwarten, entließen Förster die Tiere schließlich im Frühling 1934 in den Wald, wo sie sich rasch vermehrten.

Weitere Waschbären entkamen verschiedenen Pelztierzuchtfarmen, etwa im östlichen Brandenburg kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Diese beiden Regionen bilden bis heute den Schwerpunkt der Waschbärverbreitung in Deutschland (siehe »Der Waschbär macht es sich in Deutschland gemütlich«), auch wenn sich die Art seitdem deutlich darüber hinaus angesiedelt hat und 2024 in weiten Teilen der Bundesrepublik vorkommt.

Von sich reden machen die neuen Nachbarn bisher vor allem in Städten, wo sie dank des guten Angebots an Nahrung und Unterkünften sehr hohe Dichten erreichen können. In Kassel, das als Deutschlands inoffizielle Hauptstadt der Maskenträger gilt, soll im Schnitt auf jedem Hektar Fläche ein Waschbär leben. Das bleibt auch den Menschen dort nicht verborgen. Die Tiere plündern nachts die Biomülltonnen, ernten die Obstbäume in den Gärten ab oder rütteln auf der Suche nach Einstiegsmöglichkeiten an den Dachziegeln. Dachböden werden zu Schlafplätzen oder Kinderstuben, Garagendächer zu Latrinen. Und an so manchem Haus sind schon teure Reparaturen fällig geworden.

Von Würmern und Viren

Doch so nervig und ärgerlich das alles sein mag: Die eigentliche Sorge ist eine andere. Waschbären sind bekannt dafür, dass sie eine ganze Reihe von Parasiten und Krankheitserregern mit sich herumschleppen können. Fördert ihre Anwesenheit also so genannte Zoonosen, die zwischen Mensch und Tier übertragen werden? Wie groß dieses Risiko tatsächlich ist, lässt sich mangels aussagekräftiger Daten bisher nur schwer abschätzen. Mehr Licht ins Dunkel soll ein Projekt bringen, das die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe-Universität Frankfurt ins Leben gerufen haben. ZOWIAC (»Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren«) heißt das Vorhaben, das mehreren aus anderen Weltregionen eingeführten Raubtieren auf die Pfoten schaut. Neben dem Waschbär stehen dabei auch der als »Amerikanischer Nerz« bekannte Mink und der aus Asien stammende Marderhund im Fokus. Die beteiligten Fachleute untersuchen, wo die Tiere vorkommen, wie sie sich ausbreiten und welche Folgen das hat. Auch Laien können dazu einen Beitrag leisten, indem sie Beobachtungen und Spuren über eine App melden.

Um mögliche Gesundheitsrisiken besser einschätzen zu können, nimmt das Team sowohl tote Vertreter aller drei Arten als auch Kot und Blutproben unter die Lupe. »Wir haben gezielt Waschbären bezüglich ihrer Parasiten sowie ihres Potenzials als Überträger des Corona- und West-Nil-Virus untersucht«, erklärt Projektleiter Klimpel.

So hat die Gruppe in Zusammenarbeit mit dem Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems das Blut von 229 Waschbären aus verschiedenen Regionen Deutschlands sowohl auf die Viren selbst als auch auf dagegen gebildete Antikörper getestet. Virenerbgut fand sich dabei zwar nicht. Einige Proben enthielten aber Antikörper gegen das von Stechmücken übertragene West-Nil-Virus, das beim Menschen grippeähnliche Symptome, in seltenen Fällen auch Entzündungen von Gehirn, Herz oder Leber auslösen kann. Mit diesem Erreger können sich Waschbären also offenbar infizieren. Dagegen gab es keine konkreten Hinweise darauf, dass Waschbären anfällig für Sars-CoV-2 sind oder das Virus verbreiten können. Trotzdem wollen die Fachleute die Tiere weiter im Auge behalten, um eine mögliche Entwicklung zum Corona-Wirt frühzeitig zu erkennen.

Glückliche Waschbären | Die nordamerikanischen Kleinbären besitzen ein breites Nahrungsspektrum und fressen alles – von Obst über Nahrungsabfälle der Menschen bis hin zu einheimischen Reptilien und Amphibien.

Ein ganzer Parasitenzoo

In einer weiteren Studie hat das ZOWIAC-Team 234 Waschbären aus Mitteldeutschland auf ihre Parasitenfauna untersucht und dabei einen ganzen Zoo entdeckt: Insgesamt fanden sich 23 verschiedene Arten, von denen fünf auch Menschen krank machen können. Dazu gehört der besonders häufige Waschbärspulwurm, dessen Eier über den Kot der Tiere übertragen werden. Wer sich damit infiziert, entwickelt möglicherweise gar keine Symptome. In manchen Fällen aber können durch den Körper wandernde Larven einen schweren Krankheitsverlauf auslösen und zum Beispiel die Augen oder die inneren Organe schädigen. Sind die Nerven betroffen, kann die Infektion sogar tödlich enden.

»Eine Zunahme parasitärer Erkrankungen beim Menschen ist insbesondere in städtischen Gebieten zu erwarten«Sven Klimpel, Parasitologe

Wenn sich die Waschbären weiter ausbreiten, kann das nach Einschätzung von Sven Klimpel und seinem Team auch zu einem größeren potenziellen Gesundheitsrisiko führen: »Eine Zunahme parasitärer Erkrankungen beim Menschen, beispielsweise durch den Waschbärspulwurm, ist insbesondere in städtischen Gebieten zu erwarten«, sagt der Parasitologe.

Belastungs- und Entlastungszeugen

Allerdings haben die anpassungsfähigen Nordamerikaner inzwischen nicht nur Städte, sondern auch zahlreiche Wälder und andere natürliche Lebensräume erobert. Und das beobachten etliche Fachleute ebenfalls mit Sorge. Denn seit Jahren steht der Verdacht im Raum, dass hohe Waschbärdichten ohnehin schon bedrohte heimische Arten weiter in Bedrängnis bringen könnten. Vor allem Amphibien, Reptilien, Fledermäuse, Vögel und Großmuscheln gelten als mögliche Opfer der maskierten Räuber.

Tote Äskulapnatter | Äskulapnattern sind in Deutschland sehr selten und bedroht. Waschbären bilden für sie eine zusätzliche Gefahr: Die Allesfresser haben es auf die Eier wie die ausgewachsenen Tiere abgesehen.

Derartige ökologische Probleme sind allerdings nicht leicht zu belegen. Zumal sie offenbar nicht in allen Regionen und Lebensräumen gleichermaßen auftreten. Entsprechend kommen die relativ wenigen Studien zu diesem Thema zu durchaus unterschiedlichen Ergebnissen.

Ein Team um Jan Cichocki von der Universität im polnischen Zielona Góra hat zum Beispiel untersucht, was Waschbären in einem der größten mitteleuropäischen Winterquartiere für Fledermäuse anrichten. Im Wald in der Nähe des Dorfes Nietoperek im Westen Polens liegen die zerfallenden Überreste eines riesigen Militärbollwerks aus der Weimarer Republik und dem Dritten Reich. In die unterirdischen Bunker und Tunnel dieses ehemaligen »Ostwalls« ist inzwischen ein Heer ganz anderer Art eingezogen: Mehr als 38 000 Fledermäuse verschiedener Arten verbringen hier die kalte Jahreszeit.

Doch dieses unter Naturschutz stehende Refugium haben inzwischen die geschickten Waschbären entdeckt. Im Winter 2016/2017 haben die Forscherinnen und Forscher in einem der Hauptgänge des Schutzgebietes 67 Kotproben von Waschbären gesammelt und untersucht. Darin fanden sich zwar durchaus Überreste von Eidechsen und anderen Tieren, von Pflanzen und menschlicher Nahrung. Mit 96 Prozent bestand aber der Löwenanteil der Mahlzeiten aus Arten wie Wasser- und Fransenfledermaus, Großem Mausohr und Braunem Langohr. »Die Ergebnisse zeigen, dass Waschbären ein wichtiger Faktor für die steigenden Todesraten der in Nietoperek überwinternden Fledermäuse sein können«, resümieren die Biologen.

»Die meisten im Gebiet vorhandenen geschützten Arten gehörten nicht zum Beutespektrum der Waschbären«Berit Annika Michler, Biologin

Andererseits gibt es Studien, die keinen negativen Einfluss nachweisen konnten, etwa die Doktorarbeit von Berit Annika Michler 2017 an der TU Dresden. Die Forscherin hat Kotproben von Waschbären im Müritz-Nationalpark in Mecklenburg-Vorpommern untersucht. Und obwohl die naturnahen Buchenwälder dort ein echtes Waschbärenparadies sind, kam bei diesen Analysen Entlastendes heraus: »Die Hypothese, dass der Waschbär durch Prädation lokale Bestände naturschutzfachlich relevanter Tierarten beeinträchtigen kann, konnte anhand der vorliegenden Ergebnisse aus dem Gebiet des Müritz-Nationalparks nicht bestätigt werden«, heißt es in der Arbeit. »Die meisten im Gebiet vorhandenen geschützten Arten gehörten nicht zum Beutespektrum der Waschbären.«

Was die Tiere in ihrer neuen Heimat bewirken, scheint also vom jeweiligen Ökosystem und den zur Verfügung stehenden Nahrungsquellen abzuhängen. Doch wie stark kann dieser Einfluss werden? Können hungrige Waschbären tatsächlich die Bestände von bedrohten Arten dezimieren – und vielleicht sogar ganz zum Verschwinden bringen? Umfassende wissenschaftliche Untersuchungen dazu gibt es bisher nicht. Dabei wären Antworten dringend nötig. Schließlich hängt damit auch die Frage zusammen, wie mit invasiven Raubtieren vor allem in Schutzgebieten und deren Umgebung umgegangen werden soll.

Appetit auf Amphibien

Das Projekt ZOWIAC soll deshalb auch zu solchen Aspekten neue Erkenntnisse liefern. So haben Sven Klimpel und sein Team bereits den Kot und den Mageninhalt von mehr als 100 Waschbären untersucht, die aus wassergeprägten Naturschutzgebieten in Hessen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg stammten. Auch die Parasiten der Tiere haben sie bei der Gelegenheit unter die Lupe genommen. Denn während sich in Verdauungsorganen und Ausscheidungen vor allem die Reste der kürzlich gefressenen Mahlzeiten finden, kann man anhand der Schmarotzer sogar längerfristige Schlüsse ziehen. Schließlich machen Würmer und Co im Lauf ihrer Entwicklung oft verschiedene Stadien durch, von denen einige auf bestimmte Zwischenwirte angewiesen sind. Wenn er so eine Art in sich trägt, muss der Beutegreifer also irgendwann die entsprechende Beute gefressen haben.

Marderhund | Neben den Waschbären breitet sich ein weiteres kleines Raubtier in Deutschland aus: der Marderhund (Nyctereutes procyonoides). Dieser Hundeartige wanderte von Osten her nach Mitteleuropa ein und stammt ursprünglich aus Ostasien. Sie wurden in Osteuropa in Pelztierfarmen gehalten und entkamen daraus oder wurden absichtlich freigesetzt. Während der Coronakrise gerieten sie in die Schlagzeilen: Marderhunde gelten als Reservoir oder mögliche Quelle von Sars-CoV-2, von denen die Seuche auf Menschen übergesprungen sein könnte.

Die Ergebnisse zeigen, dass Waschbären zumindest in einigen Regionen sehr gern die Nester von Amphibien und Reptilien plündern. In Sachsen-Anhalt spielte diese Kost zwar kaum eine Rolle – möglicherweise, weil sie in den untersuchten Gebieten zu selten ist. Doch in 21 Prozent der brandenburgischen und sogar in 74 Prozent der hessischen Waschbärenmägen hat die Forschungsgruppe Reste von Reptilien wie Ringelnattern und Amphibien wie Teichmolchen oder Grasfröschen gefunden.

Sogar mit Erdkröten, die andere wegen ihrer giftigen Haut verschmähen, können Waschbären etwas anfangen: Mit ihren geschickten Pfoten häuten sie die Tiere und machen sie dadurch genießbar. Manche scheinen sogar eine besondere Vorliebe dafür zu entwickeln: »Während der Probennahme im hessischen Spessart haben wir beispielsweise an einem Tag mehr als 400 gehäutete Kröten im Umfeld einer etwa 2000 Quadratmeter großen Wasserfläche gezählt«, berichtet Sven Klimpel. Das spricht dafür, dass sich Waschbären durchaus auf bestimmte Beutetiere spezialisieren und kulinarische Traditionen entwickeln können. Wenn sie dabei ausgerechnet eine Vorliebe für bedrohte Arten entwickeln, kann das fatal enden.

Neozoen

Als Neozoen werden Tierarten bezeichnet, die seit Entdeckung der Neuen Welt ab 1492 unter direkter oder indirekter Mitwirkung des Menschen in eine ihnen zuvor nicht zugängliche Region gelangt sind und dort erfolgreich neue Bestände aufgebaut haben: Sie haben sich dann außerhalb ihres ursprünglichen Verbreitungsgebiets dauerhaft etabliert. Erfolgreich sind vor allem konkurrenzstarke Arten sowie Haus- und Nutztiere des Menschen.

Zu den bekanntesten Beispielen für Neozoen gehören Kaninchen in Australien, Haussperlinge in Nordamerika oder Flusspferde in Kolumbien. Auch in Deutschland leben inzwischen viele Neozoen, etwa asiatische Halsbandsittiche entlang von Rhein, Main und Neckar, nordamerikanische Bisamratten oder die Asiatischen Marienkäfer. Viele dieser Arten gliedern sich ohne größere ökonomische oder ökologische Schäden in bestehende Ökosysteme ein, andere werden zu einer akuten Bedrohung für die Land- und Forstwirtschaft oder die Artenvielfalt. Viele ausgestorbene Tier- und Pflanzenarten wurden beispielsweise durch eingeschleppte Ratten, Katzen oder Füchse ausgerottet.

»Wir haben in den Tieren Parasiten identifiziert, die typisch für Amphibien und Reptilien sind«, sagt Klimpel. »Insbesondere die Saugwürmer Euryhelmis squamula und Isthmiophora melis nutzen Frösche und Co als Zwischenwirte: ein weiteres Indiz dafür, dass die heimische Amphibien- und Reptilienfauna zur regelmäßigen Nahrung der Waschbären gehört.« Das alles deutet aus seiner Sicht darauf hin, dass der Waschbär einen negativen Einfluss auf die heimische Tierwelt hat. Vor allem in kleinen Gebieten mit bedrohten Arten könnten daher Managementmaßnahmen nötig sein, um solche Probleme einzudämmen.

Rote Karte für Waschbären?

Fragt sich nur, wie das funktionieren könnte. Wenn die Tiere erst einmal in einem Gebiet etabliert sind, wird man sie kaum wieder los. Das zeigen Erfahrungen aus Nordamerika und Kassel. Die Kleinbären zu bejagen oder mit Fallen einzufangen, hat dort wenig gebracht. Jeden Versuch, die Population zu dezimieren, haben die Weibchen einfach durch eine höhere Geburtenrate ausgeglichen. Erfolgversprechender ist es, mit Gegenmaßnahmen möglichst früh zu beginnen.

So hat ein Team um Maria Vittoria Mazzamuto von der Universität Insubrien in der italienischen Stadt Varese versucht, eine Etablierung des Neuankömmlings entlang des Flusses Adda in Norditalien zu verhindern. 2003 hatten Polizei und Forstbehörden dort zum ersten Mal Waschbären gemeldet und insgesamt acht Tiere in der Provinz Mailand gefangen. Doch das reichte nicht: Ab 2006 wurden weitere Artgenossen an beiden Flussufern gesichtet.

Also ist das Forschungsteam den Tieren zwischen 2016 und 2019 systematisch auf den Pelz gerückt. Im Schutzgebiet Adda Nord hat es seine Lebendfallen zunächst an Stellen aufgestellt, wo die kleinen Raubtiere Spuren hinterlassen hatten oder schon einmal gesehen worden waren. Der Erfolg war allerdings bescheiden: In mehr als 70 Prozent der Fallen tappte überhaupt kein Waschbär hinein. Daraufhin haben die Forscherinnen und Forscher die Strategie geändert und Fotofallen im Gelände verteilt. Die Kameras verrieten, wo sich die verbliebenen Tiere mit Vorliebe aufhielten. So haben sie keinen einzigen Waschbären abgelichtet, der sich mehr als einen Kilometer vom Fluss oder anderen Wasserstellen entfernt aufhielt. Das half dem Team, die Fangbemühungen an den richtigen Stellen zu konzentrieren und so bei geringerem Aufwand einen größeren Erfolg zu erzielen.

Für ähnliche Projekte empfehlen die Fachleute daher, mit Kamerafallen nach den Lieblingsorten der Gesuchten zu fahnden. Und noch einen zweiten Tipp kann die italienische Forschungsgruppe künftigen Waschbärenfängern mitgeben: Sehr wichtig ist es aus ihrer Sicht, die Menschen vor Ort in die Bemühungen miteinzubeziehen. Durch Hinweise aus der Bevölkerung hat das Team am Addo-Fluss immerhin zehn Waschbären erwischt, die nie auf einem Kamerabild aufgetaucht waren.

Insgesamt wurden bei der ganzen Aktion 69 Tiere geschnappt – und damit sogar mehr, als Berechnungen für die Größe der gesamten Population ergeben hatten. Zwar tauchte auch danach immer mal wieder noch ein einzelner Waschbär auf, ganz erloschen scheint der Bestand also noch nicht zu sein. Doch die Forschungsgruppe wertet das Projekt als Erfolg.

In Europa nahezu konkurrenzlos

Wer Waschbären von Schutzgebieten fernhalten will, muss also einigen Aufwand betreiben. Und das könnte künftig in immer mehr Regionen Europas für Diskussionen sorgen. Denn Modellrechnungen zeigen, dass sich die nordamerikanischen Zuwanderer wohl weiter ausbreiten und ihre Bestände vergrößern werden.

»Ihre natürliche Ausbreitung wird wohl nur durch das Klima begrenzt«Judith Kochmann, Biologin

Da sie in Sachen Futter und Lebensraum so extrem flexibel sind und in Europa keine natürlichen Feinde haben, werden diese wichtigen Faktoren ihren Vormarsch wohl kaum bremsen. »Man nimmt deshalb an, dass ihre natürliche Ausbreitung nur durch das Klima begrenzt wird«, erklärt Judith Kochmann, die wie ihr Kollege Sven Klimpel am Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum sowie der Goethe-Universität Frankfurt forscht. Also haben sie und ihr Team analysiert, unter welchen klimatischen Verhältnissen die Art in ihrer ursprünglichen Heimat lebt. Dann haben sie untersucht, wo in Europa die Tiere eine ähnliche klimatische Nische finden können und ob sie diese schon nutzen.

Die Ergebnisse zeigen, dass Waschbären noch längst nicht alle Gebiete erobert haben, die theoretisch für sie in Frage kämen. Die Arbeitsgruppe erwartet deshalb, dass die Tiere ihr Verbreitungsgebiet noch deutlich ausdehnen. Viele Menschen werden also künftig mit den neuen Nachbarn konfrontiert sein – und sich überlegen müssen, wie sie mit ihnen umgehen.

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