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Invasive Arten: Mörderisches Gepäck

Wenn der Mensch neu entdeckte Inseln eroberte, brachen für die heimische Natur schwere Zeiten an: Tausende Arten starben durch Jagd, Lebensraumzerstörung oder eingeschleppte Tiere und Pflanzen aus. Nun haben Wissenschaftler einen bislang wohl unterschätzten Ausrottungsfaktor zweifelsfrei dingfest gemacht.
Ausgestorbene Weihnachtsinsel-Ratte
Millionen roter Krabben fluten jedes Jahr im Oktober und November über die Insel. Sie überspülen Straßen und wälzen sich durch Wohnungen, wenn diese auf ihrem Weg liegen. Sie quälen sich Dämme hoch und stürzen in Massen Klippen hinab, nur um von ihrer Waldheimat ans Meer zu kommen, wo ihre Kinderstuben liegen: Nur dort können sie ihre Eier ablegen und wachsen ihre Larven auf, bevor diese als Jungtiere zurück in den Regenwald des Inselinneren wandern. Der Marsch der Weihnachtsinsel-Krabbe (Gecarcoidea natalis) gehört zu den imposantesten Tierwanderungen des Planeten und ist die größte Touristenattraktion der gleichnamigen, zu Australien gehörenden Weihnachtsinsel im Indischen Ozean.

Das Überleben des Krustentiers steht allerdings trotz seines Bestandes von 40 bis 50 Millionen Individuen in Frage, denn eine im letzten Jahrhundert eingeschleppte Ameisenart namens Anoplolepis gracilipes – im Deutschen bisweilen "Verrückte Ameise" genannt – bereitet ihm große Probleme. Die riesigen Kolonien der Ameise töten unzählige Krabben und erobern ihre Wohnhöhlen, was die Überlebenden verdrängt und ihren Lebensraum schmälert. Kommen die Krabben auf ihren Wanderungen Ameisenheeren in die Quere, fühlen sich die Insekten gestört und reagieren auf den vermeintlichen Eindringling mit einer Überdosis Ameisensäure: Sie lässt die Krustentiere erblinden und in kurzer Zeit verhungern. Fast ein Viertel der Weihnachtsinsel wurde zwischenzeitlich dadurch praktisch krabbenfrei.



Womöglich versetzen die Ameisen durch ihr Wirken die Inselnatur aber auch wieder auf einen Zustand zurück, wie er bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geherrscht haben könnte: Wanderungen in Armeestärke verzeichnen Chronisten erst seit knapp hundert Jahren, obwohl das Eiland bereits 1688 erstmalig von Menschen betreten wurde – selbst Naturforscher widmeten Gecarcoidea natalis über Jahrhunderte kaum eine Zeile: Die Art war damals also vielleicht viel seltener und führte nur ein eher unscheinbares Leben im Unterholz, im Zaum gehalten von der großen Maclear-Ratte (Rattus macleari), die gerne die proteinreichen Krabben fraß.

Bis 1899 lebte dieser einzigartige Nager in großer Zahl auf der Weihnachtsinsel: Es wird berichtet, dass sie in Massen vor nächtlichen Spaziergängern im Wald davon stoben und zuhauf in Zelte und Hütten eindrangen, um dort nach Essbarem zu stöbern. Doch nach 1903 konnte die Art nicht mehr nachgewiesen werden – genauso wenig wie die verwandte und ebenfalls endemische Weihnachtsinsel-Ratte (Rattus nativitatis). Was war geschehen? Dieser Frage gingen Kelly Wyatt von der Old Dominion University im US-amerikanischen Norfolk und ihre Kollegen nun mittels alter Museumsexemplare beider Arten nach – 21 Präparate legen ein letztes Zeugnis ihrer einstigen Existenz ab.

Ausgestorbene Weihnachtsinsel-Ratte | Eine eingeschleppte Krankheit hat womöglich zwei endemische Rattenarten der australischen Weihnachtsinsel ausgelöscht.
Historisch verbürgt ist jedenfalls der Beginn des Nagerniedergangs: Im Jahr 1899 landete das Handelsschiff S.S. Hindustan eine Ladung Heu auf der Weihnachtsinsel an und schleppte damit zugleich Hausratten (Rattus rattus) ein. Sie gehören zu den weltweit am meisten gefürchteten Neozoen – exotischen Tieren, die in neuen Lebensräumen eingeführt die einheimische Flora und Fauna verwüsten können. Hausratten sind bekannt dafür, Vogeleier und -küken, Pflanzensamen und Insekten zu fressen und empfindliche Arten auf diese Weise bis zur Ausrottung zu dezimieren.

Für die Maclear- und die Weihnachtsinsel-Ratte scheinen direkte Attacken jedoch nicht verderblich gewesen zu sein – zumindest nicht in einem Ausmaß, das ihr quasi blitzartiges Ende erklären könnte: Angesichts ihrer großen Zahl in teilweise schwer zugänglichem Territorium hätte es nicht schon innerhalb weniger Generationen zum Wachwechsel kommen dürfen – zumal eine körperlich kleinere Spitzmausart noch bis mindestens 1985 überlebt hat und auf anderen Inseln ursprüngliche Nagetiere teilweise über Jahrhunderte neben Hausratten überlebten. Und auch Vermischung mit den kosmopolitischen Zuwanderern können die Biologen als Ursache des Aussterbens ausschließen: Im Erbgut der letzten gesammelten Exemplare der Taxonomen finden sich keinerlei DNA-Spuren der Hausratte.

Stattdessen verdächten Wyatt und Co einen anderen Killer: Trypanosoma lewisi, ein einzelliger Parasit, dessen Verwandte unter anderem die gefürchtete Schlafkrankheit auslösen können. Während die endemischen Ratten vor der Invasion ihrer Vettern frei von dem Erreger waren, entdeckten die Biologen dessen DNA in einem Drittel der jüngeren Präparate, weshalb sie von einer hohen Durchseuchungsrate ausgehen. Tatsächlich notierte ein Parasitologe, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf der Weihnachtsinsel weilte, dass viele Hausratten über und über mit Flöhen besetzt waren, die wiederum die Trypanosomen in sich trugen und verbreiteten.

Während aber die Neuankömmlinge gegen die Krankheit ziemlich resistent waren, raffte sie die unvorbereiteten Insulaner in rascher Folge und massenhaft dahin: ein Prozess, den die Forscher als Hyperseuche bezeichnen. Die ungewöhnlich hohe Sterblichkeit dezimierte die Ratten so schnell und stark, dass sie sich nie mehr davon erholen konnten und letztlich ausstarben. Für diese These sprechen zudem Beobachtungen des damaligen Inselmediziners Doktor McDougal, der Dutzende der normalerweise nachtaktiven einheimischen Ratten plötzlich bei Tageslicht über Wege kriechen sah – im offensichtlichen Todeskampf.

Damit wäre erstmals belegt, dass Krankheiten auch Säugetiere ausrotten können, so die Forscher. Bislang kannte man dieses Phänomen nur von verschiedenen Schneckenarten und aus der Klasse der Amphibien, unter denen der letale Pilz Batrachochytrium dendrobatidis wütet. Angesichts dieses Schicksals sollte deshalb zukünftig auch verstärkt der Blick auf Seuchen gerichtet werden, wenn Säuger an Zahl abnehmen: Ein möglicher Fall einer derart fatalen Hyperseuche könnte beispielsweise der Tasmanische Teufel sein – ein Beuteltier, den ein durch Viren ausgelöster Krebs rasch hinwegrafft.

Die ökologische Rolle der Maclear-Ratte lässt sich durch diese Erkenntnis allerdings nicht rekonstruieren – und ob sie tatsächlich der Hüter der roten Krabben war, gibt die Naturgeschichtsschreibung der Weihnachtsinseln nicht her. Damit die Krustentiere aber nicht das gleiche Schicksal ihrer einstigen Nachbarn trifft und wegen einer eingeschleppten Art ausstirbt, gehen australische Ökologen radikal gegen die außer Rand und Band geratenen Ameisen vor: Mit Gift versuchen sie, die Kerbtiere zurückzudrängen – bislang aber noch recht erfolglos.

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