Neozoen: Invasive Schildkröten erobern das Ländle
Nicht nur der Mensch hat sich über die vergangenen Jahrtausende in der ganzen Welt ausgebreitet, auch Tiere erobern fremde Lebensräume – wenn auch meist nicht ohne menschliches Zutun. Als blinde Passagiere gelangen sie ungewollt mit Schiffen und Flugzeugen auf ferne Kontinente. Oder sie werden erst als exotisches Haustier importiert und dann illegal ausgesetzt. Ein Forschungsteam um Melita Vamberger von der Senckenberg Naturhistorischen Sammlung Dresden sowie Benno Tietz und Johannes Penner von der Universität Freiburg haben nun erstmals gezeigt, dass sich drei ursprünglich in Nordamerika beheimatete Schildkrötenarten in Süddeutschland in freier Natur vermehren. In ihrer nun in der Fachzeitschrift »NeoBiota« erschienenen Studie weisen die Forschenden darauf hin, welche Gefahren die invasiven Schildkröten für bedrohte heimische Arten und Ökosysteme darstellen können, schlagen Präventionsmöglichkeiten vor und fordern weitere Untersuchungen.
Eingewanderte, nicht heimische Tierarten, so genannte Neozoen, verursachen weltweit wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Sie sind zu einem großen Anteil mitverantwortlich für das fortschreitende globale Artensterben – und ihre Zahl wächst kontinuierlich. In Deutschland kommen mindestens 1200 gebietsfremde Tierarten vor, davon gelten bislang allerdings nur etwa 265 als etabliert. Die bekanntesten sind der Waschbär (Procyon lotor), der Halsbandsittich (Psittacula krameri), der Buchsbaumzünsler (Cydalima perspectalis) und die Varroamilbe (Varroa destructor). Die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta), die in den 1980er und 1990er Jahren in großer Zahl als Haustier in die Europäische Union importiert wurde, gilt weltweit als eine der meistverbreiteten und schädlichsten invasiven Reptilienarten. 1997 wurde ihr Import von der EU verboten, 2016 auch der Verkauf hier geschlüpfter Exemplare untersagt. Das konnte ihren Vormarsch aber offenbar schon nicht mehr aufhalten.
In Seen in Freiburg im Breisgau und Kehl wurden zuletzt größere Populationen sowohl der Nordamerikanischen Buchstaben-Schmuckschildkröte als auch der Gewöhnlichen Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) und der Falschen Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica) gesichtet. »Für alle drei Arten konnten wir nun erstmals zeigen: Sie sind in Baden-Württemberg heimisch geworden. Das ist der erste Nachweis erfolgreicher Fortpflanzung nicht heimischer Schildkrötenarten in Deutschland«, sagt Melita Vamberger laut einer Pressemeldung der Senckenberg Gesellschaft.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten insgesamt knapp 200 einzelne Tiere verschiedenen Alters und führten genetische Analysen durch. »Überraschend ist, dass sich die invasiven Arten so weit im Norden etabliert haben«, sagt Benno Tietz, Erstautor der Studie. Bis vor Kurzem sei man davon ausgegangen, dass sich diese Schildkröten in Mitteleuropa insbesondere wegen des kühleren Klimas nicht fortpflanzen können. »Sich selbst erhaltende Populationen von Trachemys scripta waren in Europa bisher nur aus den Mittelmeerregionen und der kontinentalen Klimazone Sloweniens bekannt.«
Für einheimische Arten wie die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die in vielen europäischen Ländern unter Schutz steht und in Deutschland nur noch in Teilen von Brandenburg zu finden ist, könnten die invasiven Artgenossen zum Problem werden. »Im Versuchsaufbau kam es bei Europäischen Sumpfschildkröten, die gemeinsam mit Trachemys scripta gehalten wurden, zu Gewichtsverlust und einer hohen Sterblichkeit«, berichtet Johannes Penner. Er vermutet, dass größere, gebietsfremde Arten die kleineren, einheimischen von den Sonnenplätzen verdrängen, so dass letztere unter einer suboptimalen Thermoregulation leiden. »Möglicherweise haben sie auch Vorteile beim Nahrungserwerb.« Darüber hinaus können Wasserschildkröten als Wirte von Viren und Parasiten eine Rolle bei der Übertragung von Krankheiten spielen und durch ihr omnivores Fressverhalten einen potenziell schädlichen Einfluss auf andere Teile des Ökosystems wie Amphibien, Fische oder Wasserpflanzen haben.
Diese Fragen müssten dringend weiter erforscht werden, sagt Melita Vamberger. »Gleichzeitig brauchen wir eine breite Aufklärung der Bevölkerung, damit künftig keine Tiere mehr – egal welcher Art – ausgesetzt werden.«
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