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Kosmologie: Ist das Universum wirklich so dunkel?

Physiker können die Dynamik des Universums mit den gängigen Modellen wunderbar beschreiben. Dennoch entwerfen Zweifler neue Theorien - einen Kosmos voll unbekannter Materie und Energie wollen sie nicht akzeptieren.
Die Allgemeine Relativitätstheorie oder ihren Vorläufer – das Newton'sche Gravitationsgesetz – ernsthaft anzuzweifeln, steht für die meisten Physiker außer Frage. Zu oft haben sich die Formeln schon darin bewährt, das Verhalten der Materie im Kosmos zu beschreiben. Doch tatsächlich können sie viele kosmologische Beobachtungen – angefangen bei der Dynamik von Sternen in Galaxien bis hin zur Expansion des Universums – nur erklären, wenn sie exotische Materie- und Energieformen voraussetzen.

Als Isaac Newton um 1670 seine Gesetze zur Schwerkraft formulierte, konnte die Wissenschaft allerdings gerade einmal den Lauf der Planeten oder zu Boden fallende Steine begutachten. Laut Newton sollte sich die Kraft der Gravitation, egal für welchen Fall, mit dem Quadrat des Abstandes verringern. Ein Planet, der sich dreimal so weit von der Sonne aufhält wie ein anderer, erfährt also nur ein Neuntel der Anziehungskraft. Das hat beispielsweise zur Folge, dass Neptun auf seiner Umlaufbahn sehr viel langsamer wandert als Saturn.

Im zwanzigsten Jahrhundert beobachteten Astronomen, dass es sich in den Randgebieten von Galaxien, in denen die Gravitationsfelder sehr schwach sein sollten, anders verhält: Sterne und Gaswolken bewegen sich hier mit derselben Geschwindigkeit wie solche, die näher am Zentrum liegen. Inzwischen hatte Albert Einstein in seiner Gravitationstheorie die Gesetze Newtons auf große Massen und Geschwindigkeiten erweitert, doch auch seine Theorie konnte die Bewegung der Gestirne nur erklären, wenn die Galaxien mehr Masse in sich vereinten als ihre leuchtenden Komponenten erahnen ließen.

Der Zweck heiligt die Mittel

Die ratlosen Astronomen postulierten in ihrer Not schließlich die Dunkle Materie – die in der Fachwelt zunächst auf Ablehnung stieß. Mittlerweile ist jedoch allgemein akzeptiert, dass Galaxien wie unsere Milchstraße von einem so genannten Halo aus exotischer Materie umgeben sind, der rund zehnmal massereicher ist als die leuchtende Materie. Auch die Beobachtungen auf größeren Skalen, etwa von Galaxienhaufen oder der großräumigen Struktur des Universums, lieferte starke Hinweise auf die Existenz Dunkler Materie.

Nach dem aktuellen Modell der Kosmologie besteht fast ein Viertel des Universums aus dieser mysteriösen Materie – die uns bekannte Materieform, also Protonen, Elektronen und andere uns bekannte Teilchen, macht gerade einmal vier Prozent aus. Ferne Galaxienhaufen sollen sogar bis zu 99 Prozent aus Dunkler Materie aufgebaut sein. Einige wenige Physiker sträuben sich allerdings gegen diese Vorstellung und ersinnen alternative Ideen. Einer von ihnen ist der israelische Physiker Mordehai Milgrom vom Weizmann Institut in Rehovot.

Er glaubt, dass Einsteins und Newtons Gravitationstheorie zwar auf der Erde oder im Sonnensystem gilt, aber auf großen Skalen seien sie womöglich einfach falsch. Die in den Galaxien beobachtete Rotation würden Physiker erwarten, wenn die Gravitationskraft unterhalb einer bestimmten Feldstärke nicht mehr mit dem Quadrat der Strecke, sondern proportional zu dieser abfallen würde. So formulierte Milgrom 1983 die MOND-Hypothese (Modified Newtonian Dynamics), in der er das zweite Newton'sche Axiom abänderte.

Harte Prüfungen

Inzwischen haben die wenigen Verfechter dieser Theorie in vielen Galaxien die beobachtete Masse und deren Dynamik mit Hilfe der MOND-Theorie korrekt beschrieben. Doch viele Objekte im Kosmos fordern die Theorie heraus – etwa Galaxienhaufen. Wenden Physiker die MOND-Theorien auf diese Systeme an, reicht die leuchtende Materie in ihnen nicht aus, um die Dynamik zu beschreiben. Damit würde also auch MOND Dunkle Materie benötigen – eine unschöne Sache für eine Theorie, die sich damit rühmt, eben diese nicht zu brauchen.

Doch es gibt eine Hoffnung für die Theorie: Es könnte dunkle gewöhnliche Materie sein, etwa Weiße Zwerge, Neutronensterne oder Schwarze Löcher, Braune Zwerge und Planeten oder einfach Staub. Das würde auch mit der These übereinstimmen, dass beim Urknall wesentlich mehr gewöhnliche Materie entstanden ist, als wir heute in den Weiten des Universums beobachten. Ist vielleicht genau das die Materie, die in den Galaxienhaufen fehlt? So enthusiastisch die MOND-Anhänger auch versuchen, ihre Theorie aufrecht zu erhalten, so wenig Unterstützung bekommen sie von den übrigen Astronomen.

Als bislang stärksten Beweis für Dunkle Materie und gegen alternative Theorien sehen sie den Bullet-Cluster – zwei kollidierende Galaxienhaufen. Astronomen untersuchten darin das sichtbare Licht der Galaxien, die vom heißen Gas emittierte Röntgenstrahlung und die Verteilung der Masse. Danach folgte die Masse den Galaxien und nicht dem Gas. Die Wissenschaftler folgerten, dass die Dunkle Materie in kompakten Objekten steckt und nicht im diffusen Gas. Letztlich sage dieser Fund aber nichts darüber, ob es sich um gewöhnliche oder mysteriöse Dunkle Materie handelt, argumentieren die MOND-Befürworter.

Wer hat Recht?

Ein Ereignis, mit dem sie kontern, findet sich in bestimmten Zwerggalaxien. Formten sich diese aus dem bei der Kollision von zwei massereichen Galaxien ausgestoßenen Gas, so gehen Astronomen davon aus, dass in ihnen keine Dunkle Materie verborgen ist. Dennoch beobachteten Astronomen kürzlich ähnlich Rotationskurven wie in ihren großen Verwandten. Genau dieses Verhalten sagte die MOND-Theorie vorher.

Warum sollte die MOND-Theorie so gut funktionieren, wenn eigentlich Dunkle Materie die Ursache ist, fragen sich Milgrom und seine Kollegen. Existiert die exotische Materie tatsächlich, sollte sie in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren in den großen Teilchenbeschleunigern dieser Welt gefunden werden und damit wäre die MOND-Hypothese endgültig widerlegt. Bis dahin bleibt allerdings offen, ob das Universum tatsächlich so dunkel ist, wie es die Mehrheit der Astronomen heute annimmt.

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