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Gesundheit: Ist der Hype um Cannabidiol berechtigt?

Angstlöser, Schmerzmittel, Einschlafhilfe: Dem Hanfinhaltsstoff Cannabidiol – kurz CBD – werden zahlreiche positive Eigenschaften zugesprochen. Doch wie gut ist seine Wirkung belegt?
CBD-Öl

Man sieht es in letzter Zeit häufig: das symbolische Hanfblatt mit den fünf oder sieben gezackten Fingern. Früher eher in etwas schmuddeligen Headshops zu finden, sind Hanfprodukte mittlerweile salonfähig, denn sie gelten in Form von Samen und Ölen als bio, hip und gesund. Natürlich fehlt ihnen jener Wirkstoff, der klassischerweise in Marihuana oder Haschisch enthalten ist und »high« macht: das Tetrahydrocannabinol, kurz THC. Dennoch ist Hanf in seinen entschärften Varianten nicht unumstritten. Dies betrifft auch einen Inhaltsstoff der Pflanze, der seit Kurzem als Wundermittel gehandelt wird: Cannabidiol (CBD), sozusagen der kleine, brave Bruder des THC.

CBD ist das zweithäufigste Cannabinoid in der Hanfpflanze, berauscht nicht und macht nicht süchtig. Einige Studien weisen sogar darauf hin, dass es THC-Abhängigen dabei helfen kann, clean zu werden. CBD werden allerhand gesundheitsfördernde Eigenschaften zugesprochen. So berichten Menschen in Internetforen, wie ein paar Tropfen täglich sie von ihren chronischen Schmerzen oder Panikattacken befreiten und sie endlich wieder entspannt schlafen konnten. Selbst bei Übergewicht und gegen Krebs soll es helfen.

Mittlerweile ist ein weltweiter Hype entstanden, mit zum Teil kuriosen Auswüchsen. So reichert man in den USA Cocktails, Kaffee, Badesalz und sogar Leckerlis für angespannte Hunde mit CBD an. Aber auch in Europa bedienen Kioske, Apotheken, Supermärkte und Drogerien die riesige Nachfrage nach Cannabidiol in Form von Öl, Pasten, Globuli und Kapseln bis hin zu Gummibärchen sowie Kosmetik. Doch wie gut sind die Effekte von Cannabidiol wissenschaftlich tatsächlich erforscht – und wie sieht es mit unerwünschten Nebenwirkungen aus?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat 2018 einen ersten kritischen Bericht zur Datenlage über den pharmakologischen Nutzen und die Risiken von CBD vorgelegt (PDF). Das Expertenkomitee kommt darin zu dem Schluss, dass es möglicherweise ein wirksames Mittel bei einer Reihe medizinischer Indikationen darstellt. Ferner sei es im Allgemeinen gut verträglich und berge kein Abhängigkeits- oder Missbrauchspotenzial.

THC macht high, CBD nicht

Letztere Erkenntnis beruht vor allem auf Versuchen mit Ratten, aber auch auf einigen klinischen Studien. So verglich Shanna Babalonis von der University of Kentucky 2017 die psychoaktive Wirkung von CBD mit der von CBD in Kombination mit THC sowie mit einem Placebo. Dazu befragte sie 31 Marihuana-Konsumenten nach deren subjektivem Rauschempfinden bei variierenden Dosen und testete zudem physiologische Effekte (wie die Herzrate) und Auswirkungen auf Psychomotorik beziehungsweise Aufmerksamkeit. In allen Bereichen schnitt Cannabidiol genauso ab wie das Scheinmedikament. Lediglich in Kombination mit THC bewirkte es bei den Probanden das Gefühl, »high« und auf Droge zu sein.

Das ist pharmakologisch gut erklärbar. THC entfaltet seinen berauschenden Effekt vor allem durch die Wechselwirkung mit den Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2 des Endocannabinoid-Systems im Gehirn. Im Gegensatz dazu bindet CBD weniger stark an sie, blockiert vermutlich eher ihren Signalweg. Allerdings interagiert es auch mit vielen anderen Signalwegen und Rezeptoren und kann daher auf mannigfaltige Weise wirken.

Als tatsächlich gesichert gilt der therapeutische Nutzen von CBD bislang nur bei Epilepsie. Mehrere Studien der Neurologen Orrin Devinsky und Elizabeth Thiele aus den Jahren 2016 bis 2018 mit Hunderten von Patienten belegten seine Effektivität bei der Behandlung schwerer, kindlicher Krampfanfälle. Deshalb wurde das Cannabinoid 2018 als Antiepileptikum (Epidiolex) für das Dravet- und das Lennox-Gastaut-Syndrom in den USA zugelassen, 2019 folgte schließlich die Zulassung in der EU. Forscher vermuten, dass CBD über verschiedene Mechanismen die Kalziumkonzentration innerhalb der Nervenzellen verändert und somit epileptische Spannungsimpulse unterdrückt. Ferner ist es wegen seiner entkrampfenden Eigenschaften Bestandteil des Wirkstoffs Nabiximols (Sativex), der gegen Spasmen bei multipler Sklerose zum Einsatz kommt.

Als wirklich gesichert gilt der therapeutische Nutzen von CBD bislang nur bei Epilepsie

Vorläufige Ergebnisse wecken Hoffnung, dass CBD auch Menschen mit einer Psychose helfen könnte. Mehrere Studien mit Schizophreniepatienten liefern Hinweise darauf, dass es Halluzinationen und Wahnvorstellungen genauso dämpfen könnte wie einige Antipsychotika – und das ohne die zum Teil schweren Nebenwirkungen. Dank seiner entzündungshemmenden Eigenschaften könnte CBD außerdem ein Kandidat für die Behandlung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen, aber auch von Arthritis oder Schuppenflechte sein. Experimente an Tieren und Zellkulturen deuten zudem darauf hin, dass das Cannabinoid möglicherweise der Vermehrung und Verbreitung von Tumorzellen bei bestimmten Krebsarten entgegenwirkt.

CBD gegen Schmerzen und Ängste

Doch wie sieht es mit Alltagsbeschwerden aus? Hersteller von CBD-Ölen preisen die heilsame Wirkung bei Kopfschmerzen und Migräne an. Tatsächlich hat die Selbstmedikation mit Cannabis bei diesen Leiden eine lange Tradition, wohl schon seit Jahrtausenden. Vorläufige Ergebnisse sowie plausible Theorien über mögliche Wirkmechanismen sprechen dafür, dass sich Cannabis in der Tat schmerzlindernd bei Kopfschmerzen auswirkt (inklusive Migräne und Clusterkopfschmerzen). Für Cannabidiol allein gibt es hierzu allerdings bislang keine Untersuchungen.

Auch bei neuropathischen und entzündungsbedingten Schmerzen ist die Lage unklar. Zwar zeigte Barbara Costa 2007 an der Universität Mailand, dass tägliche Gaben von CBD die Schmerzempfindlichkeit von Ratten senken können. Wie zwei Doppelblindstudien aus den Jahren 2003 und 2004 jedoch vermuten lassen, hilft es nicht bei sämtlichen Formen des chronischen Schmerzes. So kam es lediglich in jener Studie zu einer Schmerzreduktion, in die vor allem Patienten mit multipler Sklerose eingeschlossen waren. Bei dieser Erkrankung sowie bei Krebs wird CBD inzwischen als Bestandteil von Sativex (das allerdings auch THC enthält) unter anderem gegen Schmerzen eingesetzt.

Viele Konsumenten erhoffen sich angstlösende, entspannende und schlaffördernde Eigenschaften vom CBD. Experimentelle Studien mit Ratten weisen tatsächlich darauf hin, dass es den Serotoninstoffwechsel beeinflusst und so einen angstlösenden und antidepressiven Effekt hat. Auch vorläufige Untersuchungen an gesunden Erwachsenen scheinen das zu bestätigen. Antonio Zuardi von der Universität in São Paulo setzte 2017 zwölf gesunde Erwachsene einer beängstigenden Situation aus: Er ließ sie vor Publikum einen Vortrag halten. Sowohl nach Gabe eines angstlösenden Medikaments als auch nach Einnahme von Cannabidiol fühlten sich die Teilnehmer weniger ängstlich und gestresst als nach Gabe eines Placebos.

Eine umgekehrte u-förmige Wirkungskurve

Die Forscher konnten hier und in weiteren Studien zeigen, dass der Effekt dosisabhängig ist. So wirkt CBD bei 300 bis 600 Milligramm pro Tag angstlösend, nicht jedoch bei 100 oder 900 Milligramm; das weist auf eine umgekehrte u-förmige Wirkungskurve hin. Ferner bestätigte die Arbeitsgruppe mit Hilfe eines ähnlichen Experiments, dass CBD auch bei Patienten mit sozialer Phobie die Ängstlichkeit reduziert.

Die Befunde zum Schlaf sind dünn und uneindeutig. Einiges deutet darauf hin, dass das Cannabinoid in höheren Dosen sedierend und schlaffördernd sein kann, in niedriger Dosierung jedoch eher anregend wirkt.

Dafür könnte Cannabidiol aber vielleicht Menschen helfen, die mit dem Rauchen aufhören wollen – das legt zumindest eine Doppelblindstudie aus dem Jahr 2013 nahe. Celia Morgan vom University College London ließ dafür 24 Raucher eine Woche lang entweder ein Placebo oder CBD inhalieren – und zwar immer dann, wenn ihnen danach war. Die CBD-Gruppe rauchte in diesem Zeitraum 40 Prozent weniger Zigaretten als vor der Behandlung, bei der Placebogruppe machte sich hingegen kein Unterschied bemerkbar. Auch das Verlangen nach THC könnte CBD dämpfen. Im Jahr 2019 kam Yasmin Hurd, Direktorin des Addiction Institute at Mount Sinai in New York City, zu ähnlichen Ergebnissen – allerdings bei Heroinabhängigen. Sie zeigte, dass CBD das so genannte »Craving« verringert und somit die Süchtigen dabei unterstützt, clean zu werden.

Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen

Es gibt demnach eine Menge Hinweise darauf, dass CBD tatsächlich über pharmakologisches Potenzial verfügt. Für die allermeisten Indikationen ist die Studienlage jedoch dünn, die Forschung steckt quasi noch in den Kinderschuhen. Die überwiegende Zahl von Untersuchungen wurde bislang nur an wenigen Teilnehmern durchgeführt – ihre Aussagekraft ist also begrenzt. Auch Langzeitstudien zu den Nebenwirkungen fehlen. Grundsätzlich scheint Cannabidiol zwar sicher und nebenwirkungsarm zu sein. In den Schizophrenie- und Epilepsiestudien litten die Teilnehmer (bei Dosen von bis zu 50 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht) in manchen Fällen jedoch trotzdem an Übelkeit, Durchfall, Müdigkeit, Appetitverlust und vorübergehender Benommenheit. Im Vergleich zu den Nebenwirkungen der gängigen Antiepileptika und Antipsychotika werden diese Nebeneffekte aber als vertretbar bewertet.

Epidiolex steht allerdings im Verdacht, die Leber zu schädigen. Mediziner sind gerade dabei, dem genauer nachzugehen. Außerdem kann es zu Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten kommen. Schwangere sollten vorsorglich ganz auf CBD verzichten. So haben zumindest Zellexperimente ergeben, dass die Substanz die Funktionsfähigkeit der Plazenta beeinträchtigen kann. Die Fahrtauglichkeit wird, etwa durch die Einnahme von Sativex, nicht negativ beeinflusst. Doch bevor man sich ins Auto setzt, sollte man bedenken, dass CBD in hohen Dosen zu leichter Benommenheit führen kann.

In der Form, in der es momentan im Handel zu kaufen ist, stellt CBD vermutlich nicht mehr als ein teures Lifestyle-Produkt dar

Das Problem der meisten handelsüblichen CBD-Öle gegen Stress oder Schlaflosigkeit dürfte eher ein anderes sein: Sie weisen in aller Regel sehr geringe Mengen CBD auf, die pharmakologisch vermutlich nicht relevant sind. So enthalten drei Tropfen eines zehnprozentigen Hanföls nur etwa 15 Milligramm CBD. Das liegt zum Teil weit unter den in Studien getesteten Mengen. Ob die Produkte – selbst unter der Prämisse, dass Cannabidiol grundsätzlich gegen Schlafprobleme, Schmerzen und Ängste hilft – überhaupt eine Wirkung entfalten, ist deshalb unklar.

Und auch die Rechtslage ist derzeit unsicher. Im März 2019 hat das EU-Parlament entschieden, dass Hersteller für jedes CBD-Erzeugnis entweder eine Zulassung als Arzneimittel oder als neuartiges Lebensmittel beantragen müssen. Im zweiten Fall würde dann die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) seine Sicherheit prüfen. Doch bisher ignorieren Hersteller und Verkäufer diese Regelung. Forscher aus Italien haben vor Kurzem anhand von Stichproben gezeigt, dass bei zwei Dritteln der in Europa gekauften Produkte der angegebene CBD-Gehalt nicht dem tatsächlichen entsprach und die THC-Menge zum Teil höher war als erlaubt (in Deutschland dürfen es nicht mehr als 0,2 Prozent sein). Außerdem können Produkte mit Pestiziden verunreinigt sein.

Wer CBD einmal ausprobieren möchte, sollte sich also darüber im Klaren sein, dass es in den meisten Fällen weder zu Wirkungen und Nebenwirkung noch zur richtigen Dosierung eindeutige wissenschaftliche Befunde gibt. Die Sicherheit der im Internet erhältlichen Produkte ist darüber hinaus nicht gewährleistet. In der Form, in der es momentan im Handel zu kaufen ist, stellt CBD vermutlich nicht mehr als ein teures Lifestyle-Produkt dar. Ganz bestimmt ist es kein Wundermittel und ersetzt weder den Gang zum Arzt noch eine medikamentöse Therapie bei schweren Erkrankungen.

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