Impakt-Gefahren: Benötigen wir einen "Asteroidentag"?
"Eine Million Asteroiden in unserem Sonnensystem haben das Potenzial, die Erde zu treffen und eine Stadt zu zerstören, doch wir haben erst ein Prozent von ihnen entdeckt", heißt es in der 100x-Deklaration der Initiative Asteroid Day, zu der sich Prominente, Astronauten und Forscher zusammengeschlossen haben. Ihr Aufruf: Statt derzeit 1000 sollen in zehn Jahren 100-mal so viele, also 100 000 Asteroiden pro Jahr entdeckt werden. Der 30. Juni, Jahrestag des Tunguska-Ereignisses von 1908, soll zum "Asteroidentag" erklärt werden. Wie genau diese Verhundertfachung erreicht werden soll, was sie kostet und wer zahlt, verrät die Erklärung nicht.
Unangemessenes Maß an Furcht
Eric Christensen, den Leiter des Suchprogramms Catalina Sky Survey (CSS), stört bereits die Prämisse: "Damit sind wohl 30 bis 50 Meter große Objekte gemeint, von denen es durchaus eine Million geben dürfte. Für weit mehr als 99 Prozent davon ist jedoch die Chance, während unserer Lebenszeit auf unseren Planeten zu treffen, praktisch null. Und wenn doch, beträgt die Chance eines Einschlags auf besiedeltem Gebiet gerade einmal drei Prozent. Ihr wahrscheinlichster Effekt: eine spektakuläre Lichtshow, die niemand sieht."
Christensen vermutet die private Stiftung B612 als eine treibende Kraft hinter der Initiative. Diese plant ein Weltraumteleskop für die Suche nach erdnahen Asteroiden. "Seit Jahren liefert die B612 Foundation einen Strom angstbasierter Pressemitteilungen, um Geld für ihr Projekt aufzutreiben," so Christensen. Auch die 100x-Deklaration gehe in diese Richtung: "Sie macht aus Asteroiden bedrohliche Killer und bringt ein unangebrachtes Maß an Furcht in eine Diskussion, die nüchtern geführt werden könnte." Eine Einschätzung, der sich Timothy Spahr, Direktor des Minor Planet Center, anschließt: "Meiner Meinung nach benötigen wir keinen Asteroid Day."
Clark Chapman vom Southwest Research Institute im US-Bundesstaat Colorado sieht das anders: "Ein gewisser Hype ist unvermeidlich, wenn man etwas voranbringen will. Die 100x-Deklaration ist kein wissenschaftlicher Aufsatz. Sie ist ein Aufruf an die Öffentlichkeit, die potenzielle Gefahr zu erkennen." Chapman hat die Erklärung unterzeichnet, so wie auch Apollo-9-Astronaut Rusty Schweickart, der Mitgründer der B612 Foundation ist: "Wir erkennen zunächst einmal die derzeit niedrige Asteroidenentdeckungsrate an und rufen zu einer Beschleunigung auf. Anders als von vielen Kritikern kolportiert, fordert unsere Deklaration nichts, und sie bewirbt auch kein spezifisches Projekt", sagt Schweickart.
Abwarten oder handeln?
Rund 95 Prozent der mehr als einen Kilometer großen erdnahen Asteroiden sind inzwischen bekannt – auf Kollisionskurs ist davon keiner. Doch unsere Kenntnis der kleinen Brocken ist zweifellos lückenhaft. "Natürlich können wir das Risiko eingehen und warten, bis die meisten kleineren Asteroiden von den derzeit laufenden Suchprogrammen gefunden wurden", sagt Alan Harris, Koordinator des EU-finanzierten NEOShield-Projekts. "Aber je kleiner die Objekte, desto länger dauert es, sie zu finden – für 30-Meter-Objekte derzeit 100 Jahre oder mehr." Schneller hieße teurer: Spahr schätzt, dass eine Verhundertfachung viele Milliarden Dollar kosten dürfte, und rät, sich auf Objekte mit 100 Meter Größe und darüber zu konzentrieren.
Asteroiden stellen ein weit geringeres Risiko dar als Krankheiten, Krieg und andere Naturkatastrophen. "Wir sollten es nicht überproportional aufbauschen, aber auch nicht ignorieren", meint Harris, der die 100x-Deklaration nicht unterzeichnet hat. Etwas mehr zu tun, schade aber nicht: Dabei dürfe die intensive Beobachtung (englisch: follow-up) bekannter Objekte und das Studium ihrer physikalischen Eigenschaften nicht zu kurz kommen. Übertreibungen seien jedenfalls nicht hilfreich, meint auch der ehemalige CSS-Mitarbeiter Edward Beshore: Asteroiden seien eine potenzielle Bedrohung, doch die wissenschaftliche Gemeinschaft müsse darauf achten, diese Bedrohung angemessen zu beschreiben.
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