News: Iter oder nicht
In Science (21. November 1997) schreiben Norman Rostoker, Physikprofessor an der University of California, Michl Binderbauer, Physiker an der gleichen Universität, und der Physikprofessor Hendrik Monkhorst von der University of Florida, daß die Bauart des durch Kernfusion angetriebenen ITER erschreckend sei und eine Menge von technischen Problemen beständen. Hierzu zählten seine riesige Größe, Wartungsprobleme und die Notwendigkeit, ihn selbst und seine Umgebung vor den hochenergetischen Neutronen zu schützen, die er produzieren würde.
Drei Jahrzehnte lang sah die wissenschaftliche Gemeinde im Tokamak, einem experimentellen Kernfusionsreaktor, der mit einer Mischung aus Deuterium und Tritium angetrieben würde, eine mögliche Lösung des langfristigen globalen Energiebedarfs. Der ITER würde, so die Forscher damals, unter Verwendung des Tokamak-Aufbaus Energie produzieren. In den Forschungs- und Planungsphasen seit den späten 60er Jahren steht der ITER für eine nie dagewesene Zusammenarbeit zwischen Kernfusions-Wissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten, Europa, Japan und Rußland. Die Planungsphase soll 1998 beendet sein, während Ort und Zeitpunkt der Konstruktion bisher unbekannt sind.
Die Forschung, die zu den ITER-Plänen führte, brachte viele Informationen mit sich, und das Gros unserer Arbeit basiert auf eben dieser Forschung, sagte Rostoker. Doch wir glauben nicht, daß irgendeine Hoffnung besteht, daß diese Forschung zum Entstehen eines Reaktors führt, den irgend jemand wirklich haben will.
Rostoker, Monkhorst und Binderbauer schlagen statt dessen einen Kollisionsstrahl-Fusionsreaktor vor, der mit Protonen und Bor angetrieben würde und nicht – wie für den ITER geplant – mit einer Deuterium-Tritium-Mischung. Der Reaktor, den sie auf dem Papier entworfen haben, würde nur einen Bruchteil der Radioaktivität des ITER produzieren, und folglich wäre die Anlage nach Rostokers Worten viel kleiner, wartungsfreundlicher und für die Umwelt sicher.
Diese Reaktoren könnten alle Kraftwerke in der Welt – ob nun mit Gas, Kohle oder Öl betrieben – ersetzen, sagte Monkhorst. Sie würden sehr sicher und umweltfreundlich sein.
Das Team plant, mit Geld von privaten Investoren in den kommenden zehn Jahren einen kommerziellen Reaktor zu entwickeln. Ihre Arbeit – das Ergebnis von fünf Jahren Forschung – unterscheidet sich laut Rostoker von anderen Forschungsarbeiten dadurch, daß ihr Schwerpunkt hauptsächlich auf Fragen der Reaktorbauweise liegt und nicht so sehr auf Fusionsexperimenten und Theorien, die letztlich zu Reaktoren führen könnten.
Rostoker, Monkhorst und Binderbauer gehören zu einer wachsenden internationalen Gruppe von Wissenschaftlern, die Zweifel am ITER äußern. Das Projekt ist nach Rostokers Aussagen zunehmend umstritten – von den erwarteten technischen Problemen bis hin zur politischen Uneinigkeit über die gigantischen Kosten –, so daß starke Zweifel bestehen, ob es je realisiert wird.
Einer der Hauptnachteile von ITER, so schreiben die Forscher, ist die Brennstoffquelle Deuterium und Tritium, die hochenergetische Neutronen produzieren. Da die meiste produzierte Energie sich in den Neutronen befindet, stellt der Schutz des Gerätes vor sich selbst ein schwieriges technisches Problem dar, sagte Rostoker.
Ihm zufolge müßte man beim ITER eine ausgeklügelte Abschirmtechnik anwenden, wodurch die Anlage selbst sehr umfangreich würde, nämlich ca. fünf mal so groß wie die heutigen auf Kernspaltung basierenden Kraftwerke. Die Radioaktivität des ITER in Kombination mit seiner Größe würde einen sehr abgelegenen Errichtungsort bedingen. Folglich müßte Strom über große Entfernungen transportiert werden, was unausweichlich zu einem Energieverlust führen würde.
Ferner bedingt die für den ITER vorgeschlagene Konstruktionsweise, der Tokamak, bedeutende Probleme für den Zugang und die Wartung von Spulen, Vakuumsystemen und anderer innerer Bestandteile, da diese radioaktiv sein würden.
Rostoker, Monkhorst und Binderbauer schlagen eine Konstruktion vor, die die Montage bestimmter Reaktorbestandteile auf Schienen ermöglicht und die Wartung viel leichter und kostengünstiger als beim ITER gestalten würde. Der Reaktor könnte sich direkt in Großstädten befinden, was bedeutende Übertragungsverluste verhindern würde.
Der neue Reaktor würde folgendermaßen funktionieren: Bor- und Wasserstoffstrahlen werden in den Reaktor gesandt und dort durch Magnete umgelenkt, wodurch die Kerne kollidieren und verschmelzen. Die Fusion würde energetisch geladene Partikel erzeugen, deren Energie direkt in elektrischen Strom umgewandelt werden könnte.
Der Konversionsprozeß des vorgeschlagenen Reaktors wäre doppelt so effizient wie eine Wärmeumwandlung, bei der Kohle zum Aufheizen von Wasser verbrannt wird und mit dem entstehenden Dampf Turbinen zur Stromerzeugung betrieben werden. Rostoker und seine Kollegen erklärten, daß ihr Reaktor fast 90 % der durch ihn erzeugten Partikelenergie in Elektrizität umwandeln würde, verglichen mit den höchstens 40 % bei einer traditionellen Kraftanlage unter Kohleverbrennung oder einem Tokamak auf Deuterium-Tritium-Basis.
Noch wichtiger sei, so die Forscher, daß die jährlichen Betriebskosten des Reaktors nur halb so groß wie bei einer auf Kohleverbrennung beruhenden Anlage wären; hauptsächlich weil der Brennstoff verfügbar und preiswert ist und weil die Sicherheitsmaßnahmen aufgrund der stark reduzierten Radioaktivität minimal sind. Monkhorst zufolge würde man pro Tag für den Betrieb eines 100-Megawatt-Reaktors ungefähr 200 Gramm Bor benötigen: die Kosten betrügen dafür nur ein paar Dollar. Auch würde der Reaktor keine sogenannten Treibhausgase erzeugen, die die globale Erwärmung vorantreiben. Die einzigen Produkte des Reaktors wären Energie in Form von Elektrizität und Heliumgas. Bei Komplikationen im Betriebszustand würde sich der Reaktor schnell selbst abschalten.
Die Entwicklung von sicheren und kosteneffektiven Energiequellen ist nach der Ansicht der Forscher ein absolutes Muß. Die auf Kernspaltung beruhenden Nuklearkraftwerke, die in den 50er und 60er Jahren gebaut wurden, müssen innerhalb der nächsten zehn Jahre geschlossen werden, weil ihre Betriebslizenz abläuft. Eine typische Lizenz ist 40 bis 50 Jahre gültig; die Anlagen müssen aufgrund von Strahlungsschäden geschlossen und viele Komponenten wegen ihres hohen Radioaktivität vergraben werden. Diese Probleme, so Rostoker, Monkhorst und Binderbauer, würde es in ihrem mit Kollisionsstrahlen und Proton-Bor-11-Brennstoff arbeitenden Kernfusionsreaktor nicht geben.
Der Heidelberger Verlag Spektrum der Wissenschaft ist Betreiber dieses Portals. Seine Online- und Print-Magazine, darunter »Spektrum der Wissenschaft«, »Gehirn&Geist« und »Spektrum – Die Woche«, berichten über aktuelle Erkenntnisse aus der Forschung.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.