Jagdverhalten: See-Elefanten haben die absolute Informationshoheit
Während Wale und Delfine mit Hilfe ihres Sonars auf Jagd gehen können und darum über einen eigenen Sinneskanal im Ozean verfügen, kämpfen See-Elefanten im Grunde mit den gleichen Waffen wie ihre Beute: Sie können sehen und spüren, zum Beispiel die schwachen Turbulenzen, die ein im Ozean schwimmendes Lebewesen hinter sich herzieht. Aber wie es scheint, tun sie beides um Längen besser als ihre Beute. Dadurch können sie selbst in Gebieten mit geringem Fischbestand noch ausreichend Nahrung finden, ohne unnötig Energie aufzuwenden.
Das schreibt ein Team um Mathilde Chevallay vom französischen Forschungsverbund CNRS. Die Fachleute widerlegen mit ihrer Studie, die im Fachblatt »PNAS« erschienen ist, ihre eigene Vermutung, wonach See-Elefanten im Wesentlichen reaktive Jäger seien, die in den lichtlosen Tiefen der Ozeane auf gut Glück zuschnappen, wenn ihnen ein Stück Beute vor die Schnauze schwimmt.
Denn als Chevallay und Kollegen 25 Weibchen mit Sonar- und Beschleunigungsmessgeräten ausstatteten und über Tage bei der Jagd verfolgten, ergab sich ein ganz anderes Bild. Am Schwimmverhalten der Tiere beobachteten die Wissenschaftler, dass die See-Elefanten bereits fünf bis zehn Sekunden vor dem eigentlichen Zuschnappen auf ihre Beute aufmerksam geworden waren und sich regelrecht anpirschten. Dies entspricht einer Distanz von 7 bis 17 Metern.
Die Beute hingegen bemerkte den herannahenden Koloss im Schnitt erst bei 70 Zentimeter Entfernung. Dann zeigte sich das typische Wegzucken der flüchtenden Fische in den Messungen des Sonars, das die See-Elefanten auf dem Kopf trugen. Zum Verhängnis wird den kleinen Fischchen in diesem Moment, dass der Hals der Robben flexibel ist und ihnen ein blitzartiges Vorschnellen des Kopfes um ebenjene rund 70 Zentimeter ermöglicht. Mit weit aufgerissenem Schlund packen sie dann mitunter gleich mehrere Fische auf einmal. Rund 2000 Stück am Tag müssen sie erbeuten, um satt zu werden.
Zwei der besenderten Tiere offenbarten eine spezielle Jagdtechnik, die an Orcas oder Delfine erinnerte und fast nur zum Einsatz kam, wenn die Weibchen einen Schwarm ansteuerten: In diesem Fall vollführten sie eine Art Rückwärtssalto um den Beuteschwarm, vielleicht in dem Bestreben, die Tiere noch enger zusammenzutreiben. All das fand in fast völliger Dunkelheit statt.
Bereits bekannt war, dass See-Elefanten die lichtempfindlichsten Augen aller Säugetiere haben. Aber auch ihre Tasthaare im Gesichtsbereich scheinen zu Höchstleistungen in der Lage zu sein, anders lässt sich die Größe ihrer Wahrnehmungssphäre nicht erklären. Ergänzt werden diese Fähigkeiten durch ein leistungsfähiges, von warmem Blut durchflossenes Hirn. »So gesehen nutzen See-Elefanten zwar dieselben Sinnesmodalitäten wie ihre Beute, verfügen jedoch über Informationsdominanz«, fassen Chevallay und Kollegen zusammen: Sie werten also die vorhandene Information besser aus.
Die 25 Tiere, die das Forscherteam beobachtete, legten pro Tag Strecken von rund 100 Kilometern zurück und tauchten bis zu 800 Meter tief. Die See-Elefanten gehörten der südlichen Variante der Gattung (Mirounga leonina) an und stammten aus Populationen der Kerguelen-Inseln und der argentinischen Valdes-Halbinsel. Ohne die hochauflösenden Daten solcher Sensoren, wie sie Chevallay und Team verwendeten, lässt sich kaum etwas über das Verhalten der Tiere auf ihren Beutezügen in Erfahrung bringen. Bei den Tauchgängen bleiben die Tiere rund 20 Minuten unter Wasser.
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