Direkt zum Inhalt

Japan: Die künstlich verformten Schädel von Hirota

Scans an menschlichen Schädeln, die an einer japanischen Fundstätte zu Tage traten, verrieten: Man hatte dort die Köpfe vor rund 1800 Jahren absichtlich verformt.
Schädel aus dem Gräberfeld von Hirota.
Typisch für die Skelette aus dem Gräberfeld von Hirota, Japan, ist ein flacher hinterer Schädelbereich. Der Friedhof stammt aus der Zeit vom 3. bis 7. Jahrhundert.

Die Menschen vieler Kulturen der Weltgeschichte veränderten ihre Kopfgestalt, indem sie den Schädel von klein auf verformten. Häufig presste man dafür die Schädelteile zusammen, so dass sie sich turmartig nach oben verlängerten. Eine solche Praxis ist etwa für die nachchristlichen Jahrhunderte bei Kulturen in Mittel- und Südosteuropa belegt oder für präkolumbische Zivilisationen in Amerika wie die Maya und Inka. Für die japanische Hirota-Kultur war die Sitte bislang nicht gesichert – doch nun konnten Fachleute um die Anthropologin Noriko Seguchi von der Universität Kyushu mit Hilfe von Scans nachweisen: Auch diese Menschen, die zwischen dem 3. und 7. Jahrhundert lebten, verformten ihren Kopf. Sie flachten den hinteren Schädelbereich ab, wie Seguchi und ihre Kollegen im Fachblatt »PLOS ONE« berichten.

Die Skelettreste, die das Wissenschaftlerteam untersuchte, stammen von einem Gräberfeld in Hirota, einem Ort auf der Insel Tanegashima im Süden Japans. Zum Vergleich scannte die Forschergruppe auch die Schädelformen und -konturen von Toten aus anderen südjapanischen Fundorten des 1. Jahrtausends v. Chr., so aus Doigahama und Kyushu. Man wollte herausfinden, ob die flachen Hinterköpfe in Hirota tatsächlich absichtlich herbeigeführt wurden oder doch zufällig entstanden, weil die Menschen beispielsweise als Kleinkinder auf Wiegenbretter geschnallt wurden.

Doch wie sich zeigte, sind die Hirota-Schädel immerzu am hinteren Schädelbereich, am Hinterhauptsbein und dem angrenzenden Scheitelbein, deutlich flacher und nahezu quadratisch geformt. Einige Partien weisen zudem Schäden auf, brüchige Stellen, oder auch so genannte Worm-Knochen. Dabei handelt es sich um Knochenstückchen, die in den Schädelnähten gewachsen sind. Von menschlichen Überresten aus mittel- und südamerikanischen Kulturen ist Ähnliches bekannt: Die Verformungen konnten den Knochen stellenweise brüchig werden oder absterben lassen. Die Auffälligkeiten an den Hirota-Schädeln könnten daher ebenfalls durch absichtliche Deformation im Kleinkindalter entstanden sein, vermuten Seguchi und ihr Team.

Wozu der flache Schädel?

Warum die Menschen von Hirota ihre Köpfe von klein auf abflachten, konnten die Forschenden nicht aufklären. Da die Schädel sowohl bei Männern als auch Frauen verformt wurden, scheint das Geschlecht für die Sitte keine Rolle gespielt zu haben. Verglichen mit anderen Kulturen, die Schädeldeformationen praktizierten, könnte der flache Hinterkopf einen besonderen Status gekennzeichnet haben. Doch dafür, dass die Gemeinschaft von Hirota einst hierarchisch gegliedert war, gab es bislang keine Hinweise in den Gräbern. Neue Grabungen könnten dazu aber weitere Erkenntnisse liefern.

Grab in Hirota | In den 1950er und 2000er Jahren wurde das Gräberfeld von Hirota ausgegraben. Hunderte Tote aus der Zeit vom 3. bis 7. Jahrhundert kamen ans Licht. Die Skelette waren meist mit Muschelschalen übersät, die wohl als Schmuck dienten.

Bis es so weit ist, vermuten die Fachleute um Seguchi einen Zusammenhang mit einer prominenten Fundgruppe aus Hirota: In den Gräbern fanden sich massenhaft Schmuckteile aus Muschelschalen, die teils aus Orten tausende Kilometer entfernt herbeigeschafft worden waren. Vielleicht sollten die flachen Schädel anzeigen, so die Forschenden, welcher Gruppe man angehörte, was wiederum für den Tausch der Muscheln bedeutend gewesen sein könnte.

Möglicherweise sind aber schlicht weitere archäologische Arbeiten in Hirota nötig, um dem Rätsel der flachen Köpfe auf die Spur zu kommen. In dem Gräberfeld hatten Archäologen in den Jahren von 1957 bis 1959 sowie von 2005 bis 2006 gegraben. Dabei förderten sie hunderte Skelettreste zu Tage.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.