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Artenvielfalt: Mehr Lerchen fürs Feld

Das F.R.A.N.Z.-Projekt soll konventionelle Landwirtschaft und Artenschutz unter einen Hut bringen. Erste Erfahrungen zeigen, dass das schon recht gut funktioniert und die Vielfalt wächst.
Feldlerche (Alauda arvensis)

Die Bauern gehen auf die Barrikaden. So sah es in den vergangenen Monaten mit diversen Traktordemonstrationen häufiger aus. Bei einer ganzen Reihe von Protesten und Diskussionen standen Landwirte und Naturschützer in letzter Zeit auf verschiedenen Seiten. Die eine Fraktion fühlt sich von ständig mehr Vorschriften gegängelt und für sämtliche Probleme vom Bienensterben bis zur Trinkwasserbelastung an den Pranger gestellt. Die andere verweist auf einen dramatischen Schwund von Amphibien, Insekten und einst häufigen Feldvögeln von der Feldlerche bis zur Grauammer, den die immer intensivere Nutzung von Äckern und Wiesen in den letzten Jahrzehnten mit sich gebracht hat.

Auf einen Nenner zu kommen, scheint auf den ersten Blick schwierig zu sein. Doch Anfangserfahrungen aus einem Projekt namens F.R.A.N.Z. (»Für Ressourcen, Agrarwirtschaft & Naturschutz mit Zukunft«), zeigen, dass beide Seiten durchaus gemeinsame Ziele verfolgen können. Und das mit beachtlichem Erfolg.

Die Idee für das Vorhaben kam ursprünglich von der Umweltstiftung Michael Otto in Hamburg: Es müsste doch möglich sein, auch auf konventionell bewirtschafteten Flächen die Artenvielfalt zu fördern, so die Überlegung. Und zwar ohne unzumutbare Belastungen für den jeweiligen Betrieb. Wie aber könnte das in der Praxis aussehen? »Dazu haben wir von Anfang an Vertreter der Landwirtschaft mit ins Boot geholt«, sagt Sibylle Duncker von der Umweltstiftung.

Ihre Organisation koordiniert das vor drei Jahren gestartete Projekt zusammen mit dem Deutschen Bauernverband. Bis Ende 2019 haben die Landwirtschaftliche Rentenbank und das Bundesamt für Naturschutz bereits rund 3,9 Millionen Euro dafür zur Verfügung gestellt; die Umweltstiftung Michael Otto steckte in diesem Zeitraum 800 000 Euro in das Projekt.

Umfangreicher Maßnahmenkatalog

Gemeinsam hat das F.R.A.N.Z.-Team einen Katalog von 14 Maßnahmen entwickelt, von denen die Tiere und Pflanzen der Agrarlandschaft profitieren können. Zehn über ganz Deutschland verteilte Demonstrationsbetriebe setzen inzwischen jeweils eine Auswahl davon um. Und Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen beobachten akribisch, wie sich diese Neuerungen auswirken. So untersuchen Ökologen des Thünen-Instituts für Biodiversität, der Universität Göttingen und des Michael-Otto-Instituts im NABU, ob und wie sich die Artenvielfalt, die Bestäubungsleistung und das Bodenleben verändern. Die Thünen-Institute für Ländliche Räume und für Betriebswirtschaft nehmen derweil die wirtschaftlichen Aspekte unter die Lupe. »So will das Thünen-Institut herausfinden, wie sich die einzelnen Ansätze in der Praxis am besten umsetzen lassen, wie teuer und aufwändig sie sind und welchen Nutzen sie bringen«, sagt Sibylle Duncker.

Das Rad erfinden sie dazu nicht neu. »Wir haben bewusst einige schon bekannte und bewährte Maßnahmen mit in das Vorhaben aufgenommen«, sagt die Projektkoordinatorin, wie die Anlage von blütenreichen Streifen, die mit regionalem Saatgut eingesät werden. Etliche Studien haben bereits gezeigt, dass solche kleinen Refugien nicht nur einen reich gedeckten Tisch für Insekten bieten. Sie werden ebenso von Feldhasen, Amphibien und anderen Tieren gern als Deckung genutzt. Trotzdem gibt es auch in dieser Hinsicht noch Forschungsbedarf. Zum Beispiel dazu, wie man einen derartigen Blühstreifen unter ökologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimal gestalten kann.

Feldlerchenfenster | Um Bodenbrütern in der Kulturlandschaft wieder eine Chance zu geben, sparen Landwirte beim Säen kleine Flächen aus. Auf ihnen wächst die Vegetation langsamer, weshalb sich Feldlerchen hier gerne einfinden.

Andere Maßnahmen dagegen sind in der Praxis bisher kaum erprobt worden. In diese Kategorie fällt beispielsweise die Anlage von so genannten Erbsenfenstern in Wintergetreide- oder Rapsfeldern. Pro fünf Hektar Fläche spart der Landwirt auf solchen Äckern ein 40 mal 40 Meter großes Stück aus, auf dem er im Frühjahr Erbsen sät und das er dann bis mindestens zum 15. August in Ruhe lässt. Gedacht sind jene Flächen als Brutplätze für Feldlerchen und andere Vögel, auch Hasen können sie als Rückzugsräume nutzen.

Fenster und Streifen

Nach drei Jahren gemeinsamer Projektarbeit haben Landwirte, Naturschützer und Wissenschaftler inzwischen einen ersten Eindruck davon gewonnen, wie sich solche Maßnahmen bewähren. Betriebsleiter Friedhelm Dickow vom F.R.A.N.Z.-Demonstrationsbetrieb im niederbayerischen Ruhsam ist zum Beispiel ein überzeugter Anhänger der Lerchenfenster. Dabei handelt es sich um etwa 20 Quadratmeter große, ungenutzte Lücken in Getreidefeldern. Feldlerchen steuern diese kleinen Flächen mit ihrer schütteren Vegetation gern als Landeplätze an und suchen von dort aus eine gute Stelle für ihr Nest.

So ein Fenster anzulegen, ist für Friedhelm Dickow überhaupt kein Problem: »Bei der Saat des Winterweizens wird einfach die Sämaschine ausgeschaltet, dort wo ein Feldlerchenfenster hinpasst«, erklärt der Landwirt. Nach etwa fünf Metern geht es dann weiter mit dem Säen und schon ist der Landeplatz für die Ackervögel angelegt. »Das kostet fast nichts, weil man einfach das Saatgut spart und keinen Aufwand damit hat«, sagt Friedhelm Dickow. »Und der Ertragsausfall von den 15, 20 Quadratmetern ist relativ bescheiden.« Daher sei diese Maßnahme für jeden leicht umzusetzen.

»Entsprechend beliebt ist sie bei vielen Landwirten«, sagt Geoökologe Philip Hunke, der als wissenschaftlicher Vertreter des Michael-Otto-Instituts im NABU am Projekt teilnimmt. In seinen Augen sind Lerchenfenster eine besonders niederschwellige Möglichkeit für Landwirte, um in das Thema Artenschutz in der Agrarlandschaft einzusteigen. Mit wenig Aufwand könne man auf diesem Weg schon gute Erfolge erzielen – selbst wenn es aus ökologischer Sicht sicher noch wertvollere Maßnahmen gebe. Aber es soll ja auch nicht bei einer einzelnen bleiben.

Lasst es blühen

Friedhelm Dickow kombiniert seine Lerchenfenster zum Beispiel mit Blühstreifen. Auf diese Weise könne man noch mehr erreichen als mit den Landeplätzen allein, betont der Landwirt. Die so entstehende Vegetation sei aus Sicht der Vögel genau richtig: nicht zu dicht und nicht zu schütter. »Außerdem sind in den Blühstreifen sehr viele Insekten, und die dienen als Nahrungsquelle für die Feldlerche. Es ist eine wunderbare Brutstätte.«

Damit die Blütenparadiese ihre volle Funktion entfalten können, gilt es allerdings einiges zu beachten. »Wichtig ist zum Beispiel, dass sie breit genug sind«, erklärt Philip Hunke. Denn sonst besteht nicht nur die Gefahr, dass Pflanzenschutzmittel aus benachbarten Äckern tief hineingetragen werden und die Insektenwelt schädigen. Auch die Cleverness von Raubtieren kann den Bewohnern zu schmaler Streifen zum Verhängnis werden. So haben Wissenschaftler schon mehrfach beobachtet, dass Füchse gern an solchen Biotopen entlang patrouillieren und die darin angelegten Vogelnester ausräumen. »Bei mehr als zehn Meter breiten Streifen ist diese Gefahr deutlich geringer«, sagt Philip Hunke.

Besonders wertvoll sind diese blütenreichen Refugien, wenn sie einige Jahre lang stehen bleiben und so auch längerfristig Nahrung, Unterschlupf und Überwinterungsmöglichkeiten bieten. Und je mehr Abwechslung dort herrscht, umso besser. Während solche Blühstreifen bisher meist nur einmal angelegt und später wieder gemäht werden, setzen die F.R.A.N.Z.-Mitarbeiter daher auf eine Zeitverzögerung: Im ersten Jahr wird nur die Hälfte der vorgesehenen Fläche eingesät, der Rest folgt ein Jahr danach. So steht dann frische und besonders blütenreiche Vegetation direkt neben älterer und dichterer. Letztere sieht zwar nicht mehr so schön aus, bietet aber gute Deckung und hohe Stauden, die Vögel wie das Braunkehlchen gern als Singwarten nutzen.

Untersaat im Sommergetreide | Eine blühende Untersaat im Getreide, zum Beispiel mit Kleearten und Leindotter, verbessert nicht nur das Bodengefüge und die Bodenfruchtbarkeit, sondern bietet vor allem auch Nahrung für Bestäuber.

Das Nebeneinander von Alt und Neu hat daher für viele Arten seine Vorteile. »Rebhühner zum Beispiel profitieren sehr davon«, sagt Philip Hunke. Denn in den älteren Bereichen finden die Tiere die besten Brutplätze, in den neu eingesäten führen sie gern ihre Küken spazieren, weil es dort etwas trockener ist und reichlich schmackhafte Insekten gibt.

Mehr Vögel, mehr Hasen

Auch bei anderen Maßnahmen sind oft die Details entscheidend für den Erfolg. Und der lässt sich schon messen. Als das Projekt im Jahr 2016 begann, haben die Forscher in jedem der beteiligten Betriebe erst einmal eine Bestandsaufnahme der bereits vorhandenen Pflanzen und Tiere gemacht. Seither wiederholen sie diese ökologische Volkszählung jedes Jahr und analysieren die Veränderungen. Das ist eine ziemlich aufwändige Sache. Philip Hunke und seine Kollegen sind unter anderem für das Monitoring der Wirbeltiere zuständig. Das bedeutet zum Beispiel, dass sie in jedem der zehn Betriebe achtmal pro Jahr nach Vögeln fahnden müssen. Auf insgesamt etwa 2500 Hektar Fläche. Jeder gefiederte Bewohner, der dort zwitschert oder sich blicken lässt, muss protokolliert werden. Nur so können die Forscher einen Überblick darüber gewinnen, ob die Maßnahmen mehr Brutvögel auf die Betriebsflächen locken.

Um die Feldhasen zu erfassen, sind sogar nächtliche Einsätze gefragt. Dann fahren Hunke und seine Kollegen langsam über Feldwege oder gefrorene Ackerflächen und leuchten mit starken Scheinwerfern die Umgebung ab. Aus der Zahl der dabei entdeckten Hasen können sie den Bestand pro 100 Hektar hochrechnen und die Zahlen mit den aus der Umgebung bekannten Jagdstrecken vergleichen. So lässt sich herausfinden, ob sich die Populationen der Langohren auf den Projektflächen besser entwickeln als in der Umgebung.

Die ersten Ergebnisse stimmen die Ökologen optimistisch. Der Demonstrationsbetrieb in Zinzow in Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel ist mit einer sehr geringen Dichte von durchschnittlich fünf Hasen pro 100 Hektar gestartet, inzwischen hat sich der Wert verdoppelt. In der Lüneburger Heide hoppelten noch vor drei Jahren im Schnitt 23 Langohren über die gleiche Fläche, mittlerweile sind es 30.

Auch bei den Vögeln gibt es solche positiven Trends. »Arten wie das Braunkehlchen und die Grauammer kamen auf dem Gelände einiger Betriebe anfangs gar nicht vor«, berichtet Philip Hunke. »Inzwischen sind sie aber zurückgekehrt.« Andere Höfe konnten die Zahl der schon vorhandenen Bewohner deutlich steigern. So verzeichnet der Betrieb in Zinzow inzwischen sieben bis acht statt nur zwei Grauammerreviere.

Zu den Maßnahmen, von denen laut bisherigen Erfahrungen besonders viele Feldvögel profitieren, gehört auch das Extensivgetreide. Bei dieser Maßnahme säen die Landwirte das Getreide nicht so dicht wie normalerweise und verzichten auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. »In diesen Bereichen sind die Vogeldichten oft bis zu fünfmal so hoch wie auf anderen Flächen des gleichen Betriebs«, sagt der Ökologe.

Ableger gesucht

Maßnahmen, die sich im Rahmen des Projekts besonders bewähren, sollen langfristig auf möglichst viele weitere Betriebe übertragen werden. Deshalb beschäftigt sich das F.R.A.N.Z.-Team mit der Frage, wie sich das am besten bewerkstelligen lässt. »Der Knackpunkt ist dabei oft die Finanzierung«, sagt Sibylle Duncker. Zwar können Landwirte zumindest für einige Maßnahmen heute schon eine Förderung aus den Töpfen der Agrarumweltprogramme beantragen. Nur sind damit oft strenge Vorschriften verbunden, die in der Praxis mitunter schlecht umsetzbar sind. Deshalb haben viele Landwirte wenig Lust, sich darauf einzulassen, zeigt eine bundesweite Befragung.

»Die Förderprogramme in Deutschland und der EU sind bisher einfach nicht flexibel genug«, erklärt Sibylle Duncker. »Da muss sich künftig einiges ändern.« Es gibt zum Beispiel die Vorgabe, dass die Flächen bis zum 31. März eingesät werden müssen. »Das verhindert zwar Störungen bei der Vogelbrut«, erklärt die Projekt-Koordinatorin. »Aber es ist natürlich nicht sinnvoll, wenn zu dem Zeitpunkt noch Eis und Schnee liegen.«

Derlei für die Praxis manchmal schwierige Vorgaben gibt es im F.R.A.N.Z.-Projekt nicht. Jeder der zehn Landwirte bekommt eine Beratung, die speziell auf seinen Betrieb zugeschnitten ist. Und da sich alle Beteiligten regelmäßig an einen Tisch setzen, lassen sich in der Regel Lösungen finden, die sowohl aus landwirtschaftlicher als auch aus ökologischer Sicht sinnvoll sind. »Einige Teilnehmer hatten anfangs schon Bedenken, ob das alles funktionieren würde«, erinnert sich Sibylle Duncker. Und so mancher Nachbar der Demonstrationsbetriebe unkte, ob man dort denn künftig Unkraut züchten wolle. Inzwischen jedoch hat sich die Skepsis in einigen umliegenden Betrieben bereits in Interesse gewandelt.

Zwar können aus den Mitteln des Projektes keine weiteren Teilnehmer finanziert werden. Das Team will aber die gewonnenen Erfahrungen nutzen, um der Politik Empfehlungen zu geben – zum Beispiel, was die rechtlichen Rahmenbedingungen für Fördermaßnahmen angeht. »Wenn sich diese ändern, werden mehr Landwirte mitmachen«, sagt Sibylle Duncker. »Dann kann FR.A.N.Z. Ableger bekommen.« Die Motivation, etwas für die Artenvielfalt zu tun, sei bei vielen Landwirten durchaus vorhanden, manche seien sogar mit Begeisterung dabei. Und diese Chance müsse man nutzen.

Ganz ähnliche Stimmen gibt es auch von Seiten der Bauern. »Wir arbeiten gerne mit der Forschung und ebenso mit dem Naturschutz zusammen“, sagt Jochen Hartmann vom F.R.A.N.Z.-Betrieb Lüneburger Heide im niedersächsischen Rettmer. »Wir haben damit sehr gute Erfahrungen gemacht.« Zumindest hier scheinen keine Barrikaden mehr in Sicht.

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