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Jerusalem: Lang gesuchter Kreuzritter-Altar stand unbemerkt in Grabeskirche

Der außergewöhnliche Altar aus der Frühzeit der Grabeskirche schien längst verschollen. Nun zeigt sich: Er war so gut sichtbar, dass Besucher ihn sogar mit Graffiti beschmierten.
Grabeskirche in Jerusalem
An der Grabeskirche wird seit dem vierten Jahrhundert gebaut. Nun stießen Fachleute auf eine bemerkenswerte Verbindung zum Vatikan.

Die Grabeskirche in Jerusalem ist eine der bedeutendsten Kirchen der Christenheit – so bedeutend, dass sie von einer Vielzahl von Konfessionen gleichzeitig beansprucht wird. Das hat mitunter kuriose Folgen. Beispielsweise steht über dem Hauptportal an einem Fenster eine kleine Leiter, von der niemand mehr weiß, in wessen Zuständigkeitsbereich sie einmal gehörte. Darum wurde sie auch seit inzwischen geschätzt 200 Jahren nicht weggeräumt.

Stoff für eine weitere Anekdote liefert nun die Frontplatte eines Hochaltars aus dem Mittelalter. Er bildete das Herzstück der Kirche, als sie 1149, genau 50 Jahre nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrerheere, bei Jubiläumsfeierlichkeiten erneut geweiht wurde. Seit einem Brand in diesem Teil der Kirche im Jahr 1808 war der Altar jedoch verschollen.

Nun zeigt sich: Zumindest die Frontplatte des Altars war nie weit weg, stand aber mit ihrer Schauseite an die Wand gelehnt in einem »hinteren Korridor« der Kirche, wie es in einer Pressemitteilung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) heißt. Die Rückseite verschwand im Lauf der Zeit unter den Graffitis von Besucherinnen und Besuchern. Sie hatte sich gewissermaßen als unbedeutende Steinplatte getarnt.

Die alte Rückseite | Als die Platte an der Wand lehnte, war nur diese unscheinbare Seite zu sehen. Auf ihr hinterließen zahllose Besucherinnen und Besucher ihre Schmierereien.

Erst als das Stück für Bauarbeiten umgedreht wurde, erkannten der Jerusalemer Bezirksarchäologe Amit Re’em von der Israelischen Behörde für Altertümer und der ÖAW-Historiker Ilya Berkovich, was sie vor sich hatten. Eine Beschreibung ihrer Entdeckung publizierten sie jetzt in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins »Eretz-Israel«.

Rund zwei Drittel der ursprünglichen Platte sind erhalten. Sie bezeugen, welche Bedeutung der Vatikan bereits damals dem Jerusalemer Gotteshaus beimaß. Die Platte ist mit Hilfe einer Technik verziert, die streng als Familiengeheimnis gehütet wurde und darum nur wenigen Handwerkern bekannt war. Die so genannten Kosmaten waren allesamt in Rom ansässig. Nur in wenigen Ausnahmefällen beauftragte der Papst sie für kunsthandwerkliche Arbeiten außerhalb der Stadt. Die Grabeskirche von Jerusalem zählte, wie die berühmte Westminster Abbey in London, offenbar dazu.

Die alte Vorderseite | Vom teuren und seltenen Marmor konnten mittelalterliche Kunsthandwerker nur Kleinstmengen verarbeiten, die sie von antiken Gebäuden abkratzten. Zu Einlegearbeiten kombiniert, ergaben sie trotzdem schillernde, eindrucksvolle Muster.

Verzierung im Kosmaten-Stil

Das nach der Kosmaten-Familie benannte Kosmatesk nutzt kleinste Marmorsplitter, die von antiken Bauwerken gewonnen wurden, für Intarsien auf einem steinernen Untergrund. Die Altarplatte zeigt das damals verbreitete Quincunx-Muster, eine Anordnung von fünf Elementen. In seinem Ursprungszustand dürfte der Altar damit eine eindrückliche, prachtvolle Wirkung erzielt haben. Es gebe Pilgerberichte aus mehreren Jahrhunderten, in denen der Altar Erwähnung finde, schreibt die ÖAW in ihrer Pressemitteilung.

Der wiederentdeckte Hochaltar belege damit eine bisher unbekannte Verbindung zwischen Rom und Jerusalem, die auch für die europäische Kunstgeschichte wichtig sei, heißt es weiter. »Mit einer ursprünglichen Breite von mehr als 3,5 Metern haben wir hier den größten mittelalterlichen Altar entdeckt, der derzeit bekannt ist«, sagt Berkovich.

Nach christlicher Überlieferung ist die Grabeskirche an demjenigen Ort errichtet worden, an dem Jesus Christus nach seiner Kreuzigung am Karfreitag bestattet wurde und den Evangelien zufolge am Ostersonntag wiederauferstanden ist. Der komplexe Bau soll zudem auch den Berg Golgatha umfassen, auf dem laut Neuem Testament die Kreuzigung stattfand. Ein Kirchenbau existiert an dieser Stelle, die in der Antike noch außerhalb der Stadtmauern Jerusalems lag, seit dem vierten Jahrhundert.

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