Jesuiten: Im Bann der Verschwörung
Als es endlich so weit war, als zu guter Letzt die jahrelange Hatz mit einem päpstlichen Machtwort endete, war die Begierde nach neuen Ungeheuerlichkeiten bereits gesättigt. 15 Jahre lang hatten Zeitungen in ganz Europa die Vorwürfe, denen sich die Jesuiten ausgesetzt sahen, bis ins Detail seziert. Sie hatten 1759 das Verbot des Ordens in Portugal gemeldet und die Hintergründe erörtert, die Beschlagnahmung seines ganzen Vermögens, die Ausweisung der meisten seiner Mitglieder sowie die Einkerkerung oder Hinrichtung anderer geschildert.
Die Blätter hatten auch aus Frankreich berichtet, wo die Gesellschaft Jesu 1764 verboten und enteignet worden war, aus Spanien und dem Königreich Neapel 1767 sowie dem Herzogtum Parma im Jahr darauf. Die europäische Öffentlichkeit war mithin informiert darüber, dass die Societas Jesu in allen Ländern aufgelöst war, in denen Fürsten aus dem Geschlecht der Bourbonen regierten. Als schließlich die den Jesuiten eher freundlich gesinnte Kaiserin Maria Theresia (1717–1780) signalisierte, sich einer gänzlichen Aufhebung des Ordens nicht widersetzen zu wollen, schien dessen Ende nur noch eine Frage der Zeit zu sein.
Am 21. Juli 1773 ordnete Papst Clemens XIV. (1705–1774) diese mit seinem Brief »Dominus ac Redemptor« – zu Deutsch »Herr und Erlöser« – tatsächlich an. Diesmal blieb das große Medienspektakel jedoch aus, gab es kaum noch kontroverse Debatten in den europäischen Zeitungen. »Die Leser der zeitgenössischen Presse dürfte der Erlass … kaum überrascht haben«, meint Christine Vogel, Professorin für Europäische Geschichte an der Universität Vechta. »Die meisten hatten einen derartigen Beschluss schon lange erhofft oder befürchtet«, schreibt sie im Fachmagazin »Europäische Geschichte Online«.
Verhasst wie die Inquisition
Möglicherweise waren die Leserinnen und Leser in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dieser Geschichte auch schon überdrüssig geworden. Schließlich hatten die Jesuiten bereits seit Jahrzehnten einen schlechten Ruf – und eine ebensolche Presse. »Abgesehen von der Inquisition dürfte wohl keine andere kirchliche Institution vergleichbare Aversionen auf sich gezogen haben wie die Gesellschaft Jesu«, schreibt Markus Friedrich, Professor für Europäische Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg, in seiner Gesamtdarstellung des Ordens.
Die 1540 von Ignatius von Loyola (1491–1556), einem Ex-Militär, ins Leben gerufene Societas Jesu war schon bald nach ihrer Gründung von allen Seiten argwöhnisch beäugt worden. Es lag nahe, dass der ausgesprochen gegenreformatorische Orden bei Protestanten nicht gut gelitten war. Doch auch zahlreiche Katholiken sparten nicht mit Kritik an der selbst ernannten frommen Gesellschaft. Zunächst waren es Details, an denen man sich störte. Unter anderem erregte das ungewohnte Auftreten der Patres Misstrauen. Weder trugen sie eine einheitliche Tracht, noch pflegten sie das gemeinsame Chorgebet, das den Alltag in den althergebrachten Mönchsgemeinschaften so stark bestimmte.
Von Anfang an wurde jedoch mit Nachdruck der streng hierarchische Aufbau des Ordens kritisiert, an dessen Spitze nach militärischem Vorbild ein Ordensgeneral stand, dem die Mitglieder absoluten Gehorsam zu schwören hatten – und zwar ausschließlich diesem und dem Papst in Rom. Damit konnte der Orden in allen Ländern, in denen er Niederlassungen errichtete, vom jeweiligen Ortsbischof unabhängig agieren. Seine Mitglieder waren zudem einem ausländischen Souverän gehorsamspflichtig – einem, der überdies auf dem Heiligen Stuhl saß. Dieser Punkt forderte Kritik heraus, Streit war programmiert.
Wachsende Zahl, wachsender Einfluss
Der Orden expandierte indes rasant, trotz der hohen Ansprüche, die für eine Aufnahme zu erfüllen waren, etwa ein abgeschlossenes Studium der Theologie. Zwar hatte Ignatius ursprünglich die Mitgliederzahl auf 60 Mann begrenzt, doch schon 1546 fiel diese Schranke. Beim Tod des Stifters im Jahr 1556 war die Societas Jesu auf rund 1000 Angehörige angewachsen – sechs Jahrzehnte darauf waren es bereits mehr als 13 000. Die Gesellschaft war umtriebig, gründete Schulen und Hochschulen, errichtete Missionen auf dem amerikanischen Kontinent, in Indien, Japan und China, engagierte sich zudem in Europa an vorderster Front gegen den Protestantismus. So gewann die Gesellschaft schnell an Macht und Geltung. Umso mehr, da Jesuiten an zahlreichen europäischen Höfen als Beichtväter und Seelsorger fungierten und damit mehr als nur vertrauten Zugang zu Herrschern und ihren Familien hatten. Mit steigendem Einfluss und Vermögen wuchs allerdings auch der Zweifel an der Lauterkeit der jesuitischen Absichten.
»Der strikt hierarchische, zentralisierte, ja aus gegnerischer Sicht geradezu tyrannische Herrschaftsapparat des Ordens war ein häufig wiederkehrendes Thema«, schreibt Historiker Friedrich. »Dieser Gedanke führte schließlich zum grotesk überzeichneten Zerrbild vom Jesuitenorden als einer hypereffizienten, organisatorisch perfekt funktionierenden, blockartig agierenden Einrichtung mit einem unvergleichlich wirksamen weltweiten Informationsnetzwerk.« Einem Netzwerk, dem man zutraute, für den eigenen Vorteil alles in Kauf zu nehmen – selbst die Ermordung eines Fürsten.
Als 1594 in Paris der einstige Jesuitenschüler Jean Châtel (1575–1594) einen Anschlag auf König Heinrich IV. (1553–1610) unternahm, war die Societas Jesu umgehend als finstere Macht hinter dem gescheiterten Mordversuch ausgemacht. Der Orden wurde erstmals aus Frankreich vertrieben, durfte 1603 aber zurückkehren. In England beschuldigte man die Jesuiten, hinter dem Gunpowder Plot von 1605 zu stehen, dem vergeblichen Versuch britischer Katholiken, während der Parlamentseröffnung im November den protestantischen König Jakob I. (1566–1625) mitsamt seiner Familie, der kompletten Regierung und den versammelten Parlamentariern in die Luft zu sprengen.
Eine Fälschung, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen war
Nur wenige Jahre danach entstand die Blaupause für zukünftige Angriffe auf den Orden. 1614 veröffentlichte in Krakau der ehemalige Jesuit Hieronim Zahorowski sein Buch »Monita Secreta« (Geheime Ermahnungen), eine Fälschung, die vorgab, streng geheime Instruktionen des Ordensgenerals Claudio Acquaviva (1543–1615) an seine Mitbrüder zu enthalten. Demnach »ging es den Jesuiten um gezieltes und unlauteres Streben nach ökonomischem Reichtum und politischem Einfluss unter Hintanstellung aller moralischen und religiösen Prinzipien«, schreibt Historiker Friedrich.
Obwohl selbst Kritiker des Ordens das Werk als gefälscht erkannten, entfaltete es seine Wirkung. Die in der Folge auf dem ganzen Kontinent verbreiteten Erzählungen von der Jesuitenverschwörung zeichneten das Bild einer intriganten, raffgierigen, machthungrigen und unmoralischen Bruderschaft, die Einfluss auf Könige nimmt, im Hintergrund die Fäden spinnt, Witwen und Waisen um ihr Erbe prellt sowie die Geschicke ganzer Völker manipuliert. Im 18. Jahrhundert erwuchs dem Orden zusätzlich ein neuer Gegner: Den Denkern der Aufklärung galten die Jesuiten als Inbegriff rückständiger Unaufgeklärtheit.
Anfang 1759 gab die portugiesische Regierung bekannt, dass bereits im September des Vorjahres ein Anschlag auf den König missglückt sei, dessen Hintermänner sich in der Societas Jesu fänden. Bei dieser Gelegenheit konnte der Erste Minister des Landes, Sebastião José de Carvalho e Mello (1699–1782) – ab 1769 Marquês de Pombal –, auf bereits bestens eingeführte Stereotype zurückgreifen. Zwar war die Beweislage dünn, doch gelang es Carvalho e Mello, einem ausgesprochenen Feind der Jesuiten, den Verdacht auf den Orden als Ganzes zu lenken.
Demnach, so fasst es Historikerin Vogel zusammen, »hatten jesuitische Missionare in Paraguay portugiesisches Gebiet usurpiert, um dort eine unabhängige ›Jesuitenrepublik‹ zu errichten und die einheimischen Guaraní zu versklaven. Als der König im Begriff war, ihren Verrat zu entdecken, fassten die Jesuiten den Plan, ihn zu ermorden.« Um die Behauptungen zu stützen, sorgte Carvalho e Mello gezielt für die schrittweise und gezielte Publikation von Dokumenten und Protokollen, in denen einzelne Jesuitenpatres schwer belastet wurden.
Die Vertreibung der Jesuiten aus Portugal
»Die Veröffentlichung dieser offiziellen Dokumente provozierte eine Flut von Nachdrucken, Übersetzungen, Bearbeitungen und Gegenschriften in ganz Europa«, schreibt Vogel. In der Folge brachten nicht nur Zeitungen, sondern auch anonyme Autoren in Portugal, Frankreich, Italien, den Niederlanden und Deutschland Berichte und Flugschriften heraus, »ergriffen Partei für oder gegen die Gesellschaft Jesu«, so Vogel. Ein königliches Edikt vom September 1759 beschuldigte schließlich alle portugiesischen Jesuiten des Hochverrats – und verfügte ihre Ausweisung aus dem Land und allen portugiesischen Territorien in Übersee sowie die Konfiszierung ihres gesamten Besitzes.
In Portugal schwelte schon seit einigen Jahren ein Konflikt zwischen Carvalho e Mello und dem Jesuitenorden. 1755 hatte ein Erdbeben Lissabon erschüttert, bei dem die Stadt fast komplett zerstört wurde und dem mindestens 50 000 Menschen zum Opfer fielen. Der Erste Minister, ein Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, wollte dem Naturereignis mit einem ambitionierten Aufbauprogramm begegnen. »In seinen Augen war die schreckliche Katastrophe ein Moment, in dem der Staat frei von Beeinträchtigung, allein nach rationalen und planerischen Kriterien handeln musste«, meint Friedrich. Ganz anders sahen es die portugiesischen Jesuiten, nach deren Überzeugung das Beben eine Strafe Gottes war, die ausschließlich auf »unsere unduldbaren Sünden« zurückging, vor allem auf die eines unmoralischen Königshauses. Das gescheiterte Attentat auf den König diente Carvalho e Mello als gute Gelegenheit, den Orden zu zerschlagen.
In Frankreich, wo sich die Societas Jesu schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts in einem heftigen Konflikt mit den Janseniten befand, einer streng moralischen, im Rückblick fundamentalistisch zu nennenden katholischen Laienbewegung, waren die Voraussetzungen anders – das Resultat jedoch ähnlich wie in Portugal. »Als die französischen Patres außerdem durch ungeschickte Spekulationen eines Ordensmitglieds auf Martinique kollektiv in die Zahlungsunfähigkeit abzugleiten drohten, war eine explosive Situation entstanden«, erklärt Friedrich. Das landesweite Verbot des Ordens war die Folge. In Spanien nahmen König und Regierung eine Hungerrevolte in Madrid und einigen umliegenden Provinzen zum Anlass, die Societas Jesu der Aufwiegelei zu beschuldigen und den Orden aufzulösen. Das Königreich Neapel zog mit, wie auch das ebenfalls von einem Bourbonen regierte Herzogtum Parma – und schließlich auch der Papst.
Als die Jesuiten ihrerseits Verschwörungstheorien verbreiteten
Für den Orden war die Aufhebung durch das Oberhaupt der katholischen Kirche eine Katastrophe – wenngleich eine letzten Endes überschaubare. Im Russischen Reich überdauerte die Gesellschaft Jesu ebenso wie in den protestantischen Niederlanden oder in Maryland, in den eben erst entstehenden demokratischen und säkularen Vereinigten Staaten von Amerika. Verteilt über den Globus saß der Orden sein Verbot aus, bis er 1814 wieder zugelassen wurde.
Dazwischen lag ein Vierteljahrhundert von Revolution und einem Krieg, der ausgehend von Frankreich ganz Europa überzog und in Napoleons Kaiserreich gipfelte. In diesen Jahren formulierten Ex-Jesuiten ihrerseits Verschwörungserzählungen darüber, wer für all die Wirren verantwortlich sei – nämlich eine sinistre Verschwörung zur Zerschlagung aller Monarchien Europas sowie des Christentums.
Der erste Schlag gegen die eigentlich natürliche Weltordnung, so erzählte es beispielsweise der Geistliche Augustin Barruel (1741–1820), sei die Aufhebung der Societas Jesu gewesen, der zweite die Volkserhebung in Frankreich. Als Verantwortliche für den allgemeinen Umsturz meinte der Jesuit die Philosophen der Aufklärung ausgemacht zu haben – sowie ganz allgemein die Juden, Freimaurer und Illuminaten.
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