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Griechische Inschrift: »Jesusgrabstein« zierte wohl eher Tyrannengrab

Als man das Jesusgrab leer vorfand, meißelten die Römer eine Warnung an Grabräuber in Stein. Eine schöne Geschichte zu einer schönen Inschrift. Nur hat sie leider einen Haken.
Nazareth-Stele

Im Jahr 1878 erweiterte der deutschstämmige Wilhelm Fröhner, Antikenkenner und Angehöriger der besseren Pariser Gesellschaft, seinen Bestand um eine Marmorplatte mit griechischer Inschrift, die er zeitlebens unter Verschluss halten sollte. Erst fünf Jahre nach seinem Lebensende 1925 analysierten Forscher das Stück – und waren elektrisiert.

Geschrieben steht auf dem 60 Zentimeter hohen und etwas mehr als halb so breiten Marmor eine eindringliche Warnung an Grabräuber. Wer ein Grab zerstöre oder Leichname schände, begehe ein Kapitalverbrechen. Autor: ein römischer Herrscher mit Namen »Caesar«. Entstanden ist die Inschrift irgendwann zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. Bei der Frage, woher die Inschrift stammte, konnte man sich nur auf die äußerst knappen Notizen Fröhners stützen. Sie sei, so schreibt dieser, »aus Nazareth geschickt«.

Alle Informationen zusammengenommen legten eine schier unglaubliche Möglichkeit nahe. Mit der Hinweistafel könnte die römische Besatzungsmacht in Palästina und Judäa auf die Gerüchte rund um den Tod Jesu reagiert haben. Wie die Evangelien erzählen, sei dessen Grab leer vorgefunden worden, für gläubige Christen ein Zeichen für die Auferstehung Christi, für die römische Herrschaft womöglich viel eher ein Anhaltspunkt, dass sich Menschen unrechtmäßig an Gräbern zu schaffen machten. Sie könnte mit einer Ermahnung reagiert haben. Fröhners Sammelstück wäre nichts weniger als einer der ganz seltenen außerbiblischen Hinweise für das Wirken des historischen Jesus.

Mit Hilfe einer naturwissenschaftlichen Analysemethode sind nun Forscher um Kyle Harper von der University of Oklahoma in Norman der Herkunft der Inschrift auf den Grund gegangen. Auch sie schließen nicht aus, dass die Inschrift im heutigen Israel entstanden sein könnte; zwar nicht gerade im verschlafenen Dörfchen Nazareth, doch wenigstens in einem der römischen Zentren des Landes. Denn Handel und Politik verbanden die Römer in der Provinz mit dem gesamten Mittelmeerraum. Schon im nächsten Atemzug bemühen sie jedoch Ockhams berühmtes »Rasiermesser«. Demzufolge sind einfachere Erklärungen gegenüber komplizierteren zu bevorzugen, und die einfachere Erklärung wäre in diesem Fall, dass der Stein auch dort beschriftet wurde, wo er abgebaut wurde, nämlich auf der Insel Kos.

Das habe ihre Analyse der Isotopenzusammensetzung zweifelsfrei ergeben. Der Marmor des Steins, der sich heute im Kabinett für Münzen, Medaillen und Antiken der Französischen Nationalbibliothek in Paris befindet, stammt aus dem so genannten Oberen Steinbruch der Insel aus der östlichen Ägäis, schreiben sie in ihrem Beitrag im Fachmagazin »Journal of Archaeological Science: Reports«. Eine Herkunft von Inseln wie Kos oder dem kleinasiatischen Festland hatten bereits andere vermutet, etwa auf Basis sprachlicher Besonderheiten.

Der Leichnam des Tyrannen wird ans Licht geholt

Der analytisch ermittelte Herkunftsort Kos lieferte nun den entscheidenden Anhaltspunkt, um die plausibelste Entstehungsgeschichte zu rekonstruieren: Wahrscheinlich habe Kaiser Augustus, der Adoptivsohn Julius Caesars, die Erstellung der Inschrift veranlasst, schreiben die Wissenschaftler. Zweck seiner Verlautbarung war es, das durch Jahre des Bürgerkriegs aufgewühlte Inselvolk zur Ordnung zu rufen. In den 30er Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. stritt der spätere Kaiser, noch unter dem Namen Octavian, mit Marcus Antonius um die Macht im Römischen Reich. Die Wirren betrafen auch die Insel Kos, wo ein Tyrann namens Nikias die Herrschaft an sich riss – vermutlich ein Parteigänger des unterlegenen Antonius. »Einige Jahre nach seinem Tod brachen aus unbekannten Gründen die Einwohner von Kos in das Grab des Nikias ein und schändeten seine Leiche«, schreiben Harper und Kollegen in ihrem Beitrag.

Diese Episode, die sich Jahrzehnte vor Jesus' Kreuzigung und hunderte Kilometer davon entfernt abspielte und von der auch ein zeitgenössischer Dichter, Krinagoras von Mytilene, berichtet, ist in den Augen von Harper und Kollegen der wahrscheinlichste Anlass für die Herstellung der Marmortafel.

Wilhelm Fröhner hingegen scheint einem alten Trick der Antikenhändler aufgesessen zu sein: Der Verkäufer trieb mit seinem Hinweis auf eine Herkunft aus dem Heiligen Land womöglich den Preis für das Fundstück in die Höhe. Ob der Sammler etwas davon geahnt hat und die Tafel deshalb unter Verschluss hielt, ist freilich nicht bekannt.

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